Zur bevorstehenden Heiligsprechung von Escrivá de Balaguer
Aus umfangreicher glaubwürdiger Literatur (Maria del Carmen Tapia, Klaus Steigleder, Javier Ropero, Peter Hertel und andere) geht hervor, daß Escrivá de Balaguer ein despotischer Psychopath war und die Grundsätze der von ihm gegründeten Bewegung in vieler Hinsicht nicht nur menschenverachtend, sondern auch den uns in der Heiligen Schrift vermittelten Anliegen Jesu diametral entgegengesetzt sind.
Dennoch würde es angesichts der durch Papst Johannes Paul II. ausgelösten Inflation von Selig- und Heiligsprechungen kein besonderes Aufsehen erregen, sollte diese Heiligsprechung unter "ferner liefen" vorgenommen werden. Der um die nun für 6. Oktober 2002 geplante Heiligsprechung herum zu erwartende Pomp - man spricht ja schon von einer Zugehörigkeit zum "Mainstream" der Kirche - und nicht zuletzt auch die von Kardinal Schönborn mit teils lächerlichen Mitteln (Tafel neben dem Maria-Pötsch-Altar) versuchte Aufwertung Escrivás dürfte jedoch u.a. die Gefahr einer völligen Kursänderung der Kirche auf einem sensiblen Gebiet anzeigen, nämlich was die Einstellung der Kirche zu den Sekten betrifft.
Der "Vatikanische Zwischenbericht" aus dem Jahre 1986, der auch vom Referat für Weltanschauungsfragen der Erzdiözese Wien als Heft 69/1994 der Werkmappe "Sekten, religiöse Sondergemeinschaften, Weltanschauungen" mit dem Titel "Sekten und neue religiöse Bewegungen" herausgegeben wurde, ruft dazu auf, nicht nur die "spirituellen, sondern auch ... die physischen, psychologischen, sozialen, kulturellen, wirtschaftlichen und politischen Aspekte" dieses Problems zu sehen und verweist andererseits auch auf das sektenartige Verhalten mancher innerkirchlicher Gruppen. In diesem Bericht heißt es u.a.: "Da wir hier auch von besonderen Gruppen sprechen, die gewöhnlich eine Bedrohung der Freiheit der Menschen und der Gesellschaft im allgemeinen darstellen, sind Kulte und Sekten auch als Gruppen mit einer Reihe von Unterscheidungsmerkmalen gekennzeichnet worden. Damit ist oft gemeint, daß sie eine autoritäre Struktur haben, gewisse Arten der Gehirnwäsche und Gedankenkontrolle praktizieren, daß sie Gruppenzwang ausüben sowie Schuld- und Angstgefühle wecken usw."
Das Opus Dei und seine Befürworter machen sich nun immer wieder die Thesen des italienischen Rechtsanwalts und selbsternannten "Religionswissenschaftlers" Massimo Introvigne, Leiter des Instituts CESNUR in Turin, zu eigen, die besagen, theologische Kritik an Sekten sei zwar erlaubt, aber wer Sekten aus anderen - etwa den im "Vatikanischen Zwischenbericht" angesprochenen - Gründen kritisiere, sei ein "Feind jeder Religion". So auch in einem Aufsatz Introvignes im "Heft 9 aus der Schriftenreihe der Karlskirche" mit dem Titel "Zur Sektendebatte". Darin wird staatliche und private Sektenaufklärung als "laizistisch-atheistisch orientierte Anti-Sekten-Bewegung" bezeichnet, die "jede überdurchschnittliche Religiosität" ablehnt und bekämpft, um den "Haß der Gesellschaft gegen bestimmte Gruppen zu lenken", die "kirchliche negative Statistiken mit Wohlgefallen registriert" und sogar "zum Kampf gegen die Religion überhaupt aufruft". In demselben Heft ist übrigens auch Kardinal Schönborn durch seinen Beitrag "Gibt es Sekten in der katholischen Kirche?" vertreten (seine Antwort ist natürlich "Nein") und er beruft sich dort folgerichtig auf Introvigne und den gleichgesinnten Amerikaner Gordon Melton. Letzterer reiste kurz nach dem Giftgasanschlag der AUM Shinrikyo-Sekte im Jahre 1995 nach Japan und protestierte dort gegen deren "religiöse Unterdrückung". Weitere im Bunde sind die Britin Eileen Barker und der Amerikaner Richardson, die 1997 bei einem Prozeß einiger Sekten gegen den Sektenbeauftragten der Russisch-Orthodoxen Kirche, Prof. Alexander Dvorkin, als Zeugen gegen den Letzteren aussagten, die "Neuen religiösen Gemeinschaften" seien so tolerant, daß man "zur gleichen Zeit Mitglied von Mun-Bewegung, Boston Church, ISKCON, Jehovas Zeugen, Scientology und Family (Kinder Gottes) etc. sein könne". Den Unsinn dieser Behauptung erkannte auch der russische Richter und sprach Prof. Dvorkin frei, obwohl auch Introvigne und Melton schriftliche Stellungnahmen gegen Dvorkin geschickt hatten.
Mit der Herausgabe dieses Heftes hat das Opus Dei übrigens auch der im Frühjahr 1997 erfolgten positiven Stellungnahme der österreichischen Bischofskonferenz zu sektenspezifischen Maßnahmen der Regierung (u.a. Herausgabe der Broschüre "Sekten - Wissen schützt!" im November 1996) inhaltlich diametral widersprochen, ohne daß ein einziger Bischof es gewagt hätte, den Standpunkt der Bischofskonferenz gegenüber dem Opus Dei zu verteidigen.
Kardinal Schönborns Sekretär sagte damals zwar zu, in seinem Aufsatz den Hinweis auf Introvigne und Melton zu streichen. Der Aufsatz wurde aber auch später mit dem Hinweis neu publiziert.
Auch im Opus-Dei-freundlichen Buch "Der 'Fall' Opus Dei" von Vittorio Messori (MM-Verlag, 1994) wird im Kapitel 3, "Viele Sekten, eine Prälatur" Introvigne im obigen Sinn zitiert: "Da ist auf der einen Seite die traditionelle Abneigung gegen die neuen Religionen, die von den herkömmlichen Kirchen und Glaubensgemeinschaften ausgeht, deren negatives Urteil vorwiegend doktrinären Charakter besitzt ... Dieser aus religiösem Mutterboden stammenden Kritik steht entgegen - mehr als zur Seite - die 'Antisekten-Bewegung', deren Ursprünge gewöhnlich außerhalb des religiösen Milieus liegen. Diese 'Bewegung' benutzt die von den neuen Religionen ausgelöste soziale Unruhe, um kritisch gegen alle 'starken' religiösen Erfahrungen vorzugehen ... Während die sozusagen 'religiös begründete Kritik' an den neuen Religionen die fragwürdigen Aspekte der 'Sekten' im Namen der Wahrheit und der Werte betont, betrachtet das Anticult Movement dagegen jeden als 'Sektierer', der den Relativismus nicht akzeptiert und beharrlich daran glaubt, daß auch im religiösen Bereich eine Wahrheit existiert".
Wenn das Opus Dei mit Berufung auf Introvigne die psychosozial schädlichen Praktiken, die betroffenen Angehörigen von Sektenmitgliedern nur allzu gut bekannt sind, pauschal als nicht existent bezeichnet, dann möchte es wohl verschleiern, daß es selbst solche Praktiken benützt, um Mitglieder zu werben und unter Kontrolle und Abhängigkeit zu halten. Daß solche Praktiken beim Opus Dei tatsächlich benützt werden, geht - wie schon erwähnt - aus einer Reihe glaubwürdiger veröffentlichter und unveröffentlichter Berichte hervor. Man mag vielleicht solche Berichte als für die Vergangenheit, nicht aber für die Gegenwart als zutreffend vermuten. Dem steht jedoch entgegen, daß das Opus Dei meint, im Gegensatz zur Kirche selbst niemals einer Reform zu bedürfen, da es eben "das Werk Gottes" sei und daher nicht verändert werden dürfe.
Zitate aus Escrivás "El camino" ("Der Weg") zeigen übrigens auch seine Geringschätzung von Ehe und Familie; eine noch weitergehende Abwertung dieser innerhalb der Kirche, als sie ohnehin schon erfolgt, wäre geradezu katastrophal. Auch ein Konflikt der Kirche mit den staatlichen Autoritäten wäre vorprogrammiert, da sich letztere immer mehr auf ihre Schutzaufgabe auf diesem Gebiet besinnen - ich verweise auf ein am 12. Juni 2001 erlassenes französisches Gesetz (im Internet zu finden unter http://www.legifrance.gouv.fr/citoyen/jorf_nor.ow?numjo=JUSX9903887L, Deutsche Übersetzung: http://griess.st1.at/gsk/frgesetz.htm und auf ein derzeit in Beratung befindliches italienisches Gesetz (http://www.antiplagio.org/2001.htm ---> Petizione sulla riformula del reato di plagio), dessen erster Paragraph in Übersetzung lautet:
"Jeder, der jemanden derart in einen Abhängigkeitszustand versetzt, daß die Handlungsfreiheit, die Selbstbestimmungsfähigkeit und die Fähigkeit, sich gegen Fremdbestimmung zu wehren, ausgeschlossen oder eingeschränkt sind, indem er durch Gewalt oder Drohungen oder Suggestionen oder durch jedes andere Mittel die Willensentfaltung Dritter bedingt und erzwingt, wird durch Freiheitsentzug von 6 bis 12 Jahren bestraft."
Solche Gesetze werden natürlich von Introvigne und Konsorten als "Religionsverfolgung" bezeichnet.
Erfreulicherweise gibt es jedoch selbst in Rom gewichtige Gegenstimmen. Dr. Michael Fuss, Professor an der päpstlichen Universität Gregoriana und mit der Sektenproblematik vertraut und befaßt: "In Zusammenarbeit mit akademischen Instituten in verschiedenen Ländern ist auf europäischer Ebene vor allem das weltweit operierende Institut CESNUR (Turin) als direkte Lobby einer undifferenzierten Gleichstellung aller sich selbst im weitesten Sinn als Religionen proklamierenden Gruppierungen hervorgetreten. Sein Sendungsanspruch einer rigorosen Wissenschaftlichkeit richtet sich in polemischer Frontstellung vor allem gegen die Dominanz der Kirche sowie gegen Organisationen von Elterninitiativen, deren kritische Beiträge zur Problematik schlichtweg als unwissenschaftlich disqualifiziert werden. Allerdings sind die Aktivitäten von CESNUR mittlerweile immer deutlicher in ihrer Parteilichkeit als massive Stellungnahmen zugunsten der konfliktträchtigen Orientierungen entlarvt." (Aufsatz "Neue religiöse Bewegungen - Perspektiven der internationalen Auseinandersetzung" im Heft 3/4-99 der Zeitschrift "Berliner Dialog", http://www.religio.de/dialog/399/19_13-17.htm).
Auch in Österreich gibt es Schützenhilfe von akademischer Seite: Univ.-Prof. Dr. Anton Bucher, Leiter des Instituts für praktische Theologie an der Universität Salzburg, stellt in seinem Buch "Braucht Mutter Kirche brave Kinder? - Religiöse Reifung contra kirchliche Infantilisierung" (Kösel-Verlag, 1997) im Kapitel 6.1.2, "Bedenkliche Parallelen: 'Opus Dei' - 'Kinder Gottes', Zitaten aus dem schon erwähnten Buch "El camino" fast wortidente Zitate aus der Literatur jener Sekte gegenüber, die einst u.a. durch die "flirty fishing" genannte Prostitution auch minderjähriger Mädchen zwecks Mitgliederfang Aufsehen erregte.
Es müßte im Zuge der - wohl kaum mehr verhinderbaren - Heiligsprechung Escrivás vonseiten der Kirchenleitung zumindest ausdrücklich darauf hingewiesen werden, welche seiner Ideen und Praktiken auf keinen Fall nachahmenswert und welche Bundesgenossen nicht akzeptabel sind.
Ich schließe noch einen von mir entworfenen "Fragebogen für geistliche Bewegungen" an, der meiner Meinung nach zu helfen geeignet wäre, die Spreu vom Weizen zu trennen.
Friedrich Griess