In "Vad väntar vi egentligen på?" ("Worauf warten wir eigentlich?"), dem vorläufig letzten Buch der nunmehr 85-jährigen Gunnel Vallquist, einer unermüdlichen schwedischen Vorkämpferin für die Ökumene, finden sich verschiedene Texte zur christliche Einheit und ein NACHWORT, dessen deutsche Übersetzung lautet (man beachte, daß im Schwedischen der Ausdruck "nattvard", Abendmahl, für beide Konfessionen benützt wird und ein fataler Satz wie "Wir haben die Eucharistie und die anderen nur das Abendmahl" schon rein sprachlich undenkbar wäre):
In diesen Texten konnte man eine schrittweise Veränderung im umgebenden ökumenischen Klima ablesen. Eine Menge geschah seit 1968, sowohl in der offiziellen Ökumenik als auch in den Gewohnheiten des Kirchenvolkes. Theologische Gespräche zwischen den verschiedenen Gemeinschaften sind eine Selbstverständlichkeit geworden und dabei wurden wirkliche Fortschritte gemacht. Ein großes Ereignis war die katholisch-lutherische gemeinsame Erklärung über die Rechtfertigung. Daraus kann man sehen, daß ein Hauptmotiv für das Schisma zwischen Katholiken und Lutheranern zum Großteil auf Mißverständnissen begründet war: Die Katholiken hatten die Theologie ihrer besten Kirchenlehrer über die unverdiente Gnade vergessen und die Lutheraner hatten ihre Rede von den guten Werken falsch aufgefaßt. Dieses Dokument war natürlich ein wichtiges Ereignis, nicht zuletzt als Symbol für das Einheitsstreben - aber für wie viele war 1999 die eigentliche Frage brennend aktuell?
Es ist ein gewohnter Anblick geworden, daß Vertreter verschiedener Gemeinschaften gegenseitig an den Gottesdiensten teilnehmen. So geschieht es in unserer Stadtkirche, so geschieht es in der Peterskirche in Rom. In den Fünfzigerjahren, als ich ernstlich über die Kirchenspaltung nachzudenken begann, war so etwas völlig undenkbar. Unsere Kirchenführer gehen nun auf allen Ebene nicht nur höflich miteinander um, was früher ungewöhnlich war, sondern freundschaftlich, was die Regel geworden ist. Jedoch innerhalb bestimmter Grenzen, von denen die Abendmahlsgrenze die fühlbarste und am meisten infrage gestellte ist.
Unterdessen hat sich das Kirchenvolk in gewissem Maß emanzipiert: die Sechzigerjahre haben ihre Spuren hinterlassen. Die christliche Jugendbewegung hat in verschiedenen Varianten ihre eigene Ökumenik entwickelt. Bei internationalen Treffen wie den Taizétreffen oder bei gemeinsamen Wallfahrten und Einkehrtagen hat es sich als schwer oder unmöglich erwiesen, die Trennung zwischen den Kommunikanten aufrecht zu erhalten. Katholische Führer haben oft über die Schwierigkeit geklagt, besonders Jugendliche die Wichtigkeit dieser Trennung verstehen zu lassen. Kein Wunder, denn die Begründungen sind nicht besonders überzeugend für jene, die nicht theologisch ausgebildet sind, sondern "nur" die Evangelien lesen. Dort hat man ja niemals gesehen, daß Jesus jemanden weggewiesen hätte, der zu ihm gekommen war. Was "die Schriftgelehrten und Pharisäer" ihm ständig vorwarfen, war ja gerade, daß er mit allen, die dabei sein wollten, Mahlgemeinschaft hielt. Mit der Zeit konnten viele nicht vermeiden, gewisse Schlüsse zu ziehen, und es wurde immer mehr üblich, vom Verbot abzusehen. Das geschah in aller Stille, ohne es an die große Glocke zu hängen.
Aber nun kam tatsächlich ein neues Argument gegen uneingeschränkte Offenheit hinzu. Und dies ist der verbreitete Durst nach Spiritualität, den man überall in der nachchristlichen Gesellschaft merkt, nicht zuletzt in Schweden. Damit haben wir eine neue Art von Gottesdienstbesuchern, die mehr oder weniger unkundig darüber sind, was in einer Messe vor sich geht, und die nach vorne zum Abendmahl wie zu einem reinen Gemeinschaftsritus gehen. Das bereitet sogar mir Bedenken!
Eine Anspannung auf katholischer Seite wurde in den letzten Jahren hier in Schweden festgestellt: Beim Eingang zu Kirchen und Kapellen wurden (nicht immer freundlich formulierte) Mitteilungen angebracht, daß nur Katholiken beim Abendmahl willkommen seien. In England gab es etwa zur gleichen Zeit warnende Erinnerungen, die dort offen auf innerkatholische Kritik stießen.
Mit Hinweis auf das Ökumenismusdekret des 2. Vatikanischen Konzils benützt man gerne das Argument, "sakramentale Gemeinschaft darf nicht als Mittel benützt werden", um die Einheit wieder herzustellen. Aber man zitiert nicht den eigentlichen Text, der von unterschiedsloser Anwendung spricht, mit einem wichtigen Zusatz, daß die Umstände der Einheit oft gegen ein gemeinsames Abendmahl sprechen, während das Bedürfnis, der Gnade teilhaftig zu werden, bisweilen dafür sprechen kann. Wie das zu handhaben ist, wird der klugen Beurteilung des örtlichen Bischofs überlassen.
Einige Beispiele für eine solche Klugheit möchte ich anführen.
In Notre-Dame in Paris, die Kardinal Lustigers Domkirche ist, gab es vor einigen Jahren einen versteckten aber bedeutungsvollen Anschlag. Hier wurde erklärt, daß katholische Christen glauben, daß Jesus Christus in der Eucharistie wirklich gegenwärtig ist. "Wer diesen Glauben nicht teilt, wird gebeten, von einer Teilnahme Abstand zu nehmen." Damit ist ja gesagt, daß, wer diesen Glauben teilt, teilnehmen kann. - Jetzt gibt es keinen diesbezüglichen Anschlag mehr. Man hat ihn wohl in unseres Herren Hände gelegt.
Kardinal Schönborn, Erzbischof von Wien, erhielt einen Brief von einem protestantischen Freund und Theologenkollegen, der mit tiefem und unruhigem Ernst die Frage stellte, ob er nicht am Abendmahl teilnehmen könne, wenn er an einer katholischen Messe teilnehme. Der Kardinal antwortete in einem Brief, der allgemein bekannt wurde, daß der Freund, wenn er, nachdem er innerlich die Kanongebete der Messe verfolgt habe, in das abschließende Amen einstimmen könne, auch das Amen des Abendmahlsritus aussprechen könne.
Dazu ist zu sagen, daß beide Kardinäle als konservativ gelten. Aber sie haben sich in diesem Fall dafür entschieden, ihre "Schlüsselgewalt" anzuwenden, um zu öffnen statt zu schließen.
Licht gibt es trotz allem, aber die Zeit läuft davon.
Aus:
Gunnel Vallquist, Vad väntar vi egentligen på?
Texter om kristen enhet 1968-2002
Bokförlaget Cordia AB, Örebro, 2002