Svenska Dagbladet, 18.7.2000
Opus Dei nicht ohne Widerstand
Für wohlorientierte Katholiken gab es in den großangelegten Artikeln nichts Neues, welche die Zeitung Expressen der halbgeheimen Gesellschaft Opus Dei widmete, konstatiert Gunnel Vallquist. Sie sind dadurch nützlicher Lesestoff, daß sie vieles beleuchten, was sonst im Dunkel versickert, aber die Zeitung irrt völlig, wenn sie behauptet, die Sekte könne ihre Propaganda unwidersprochen verbreiten.
Eine Woche lang hat der "Express" den schwedischen Lesern eine angemessene Menge Material über die "katholische Sekte Opus Dei" vorgestellt. Es ist überraschend, daß die Zeitung da hinein soviel Arbeit investierte und täglich zwei Kulturseiten diesem Vorhaben widmete. Dieses erschien dadurch gerade so bedeutungsvoll, als es zu sein beanspruchte. Aus katholischer Perspektive ist diese Bedeutung erheblich zu relativieren. Für wohlorientierte Katholiken gab es in den Artikeln auch nichts Neues: Alle Angaben stimmten in allem Wesentlichen mit den Untersuchungen und Zeugnissen überein, die durch eine große Anzahl seriöser Veröffentlichungen - von denen es in der Zeitung ein ordentliches Verzeichnis gab - vorgelegt wurde. Einige Fehler kamen vor, aber erstaunlich wenige. Mir scheint es, daß die Artikel nützlich waren, wenn zu nichts anderem, dann deshalb, weil sie viel beleuchteten, was ansonsten im Dunkel verblieben wäre.
Das Opus Dei ist eine Vereinigung mit zahlreichen Aktivitäten. Es nennt sich eine Laiengesellschaft und von den 80.000 Mitgliedern sind nur 2% Priester. Aber es sind die Priester, die es mit eiserner Hand leiten. Es wendet sich nicht zuletzt an die Jugend, veranstaltet Klubs für verschiedene Hobbytätigkeiten, Studienzirkel und Vorträge. Es nimmt mit bedeutenden Persönlichkeiten in der Gesellschaft Kontakt auf und baut ein Netzwerk von Interessenten auf. Es besitzt unzählige Schulen in der ganzen Welt, in den Entwicklungsländern auch unter der ärmsten Bevölkerung. Es besitzt Krankenhäuser und andere wohltätige Einrichtungen. Es will die Menschen dazu erziehen, in der Gesellschaft Verantwortung zu übernehmen und ihr geistliches Leben zu entwickeln. Es macht also eine Menge Nützliches. Aber gleichzeitig gibt es all das, was der "Express" vorgelegt hat: Man entscheidet sich dafür, unter Decknamen zu agieren, welche die Identität der Gesellschaft nicht verraten, man rekrutiert Anhänger mit listigen Methoden, isoliert sie von der Außenwelt und hindert sie am Austritt, indem man ihnen Angst- und Schuldgefühle einimpft.
Eines ist sicher: die Sekte erzeugt Spaltung, wo auch immer sie sich etabliert. Ich benütze das Wort "Sekte" deshalb, weil das Opus auf eine fast vollkommene Weise der Definition einer solchen entspricht: Es ist eine geheime oder halbgeheime Gesellschaft, es erhebt den Anspruch, ihren Anhängern das Heil zu vermitteln, es verlangt deren vollständige Unterwerfung, und es indoktriniert. Die Zeugnisse darüber sind Legion, und nicht von allen zeugnisgebenden Aussteigern kann man behaupten, sie seien Verrückte. Das Opus brüstet sich ja ganz im Gegenteil damit, vor allem Akademiker, möglichst mit Doktorgrad, zu rekrutieren. Der "Express" irrt sich völlig, wenn er behauptet, die Sekte habe "bisher ihre Propaganda unwidersprochen verbreitet". Gewiß hat sie ihre überzeugten Anhänger, aber auch ihre Gegner haben wahrlich nicht geschwiegen, was ja bereits aus der ausgezeichneten Literaturliste der Zeitung hervorgeht. Auch wenn in Schweden bisher nicht viel darüber geschrieben wurde, wissen Katholiken zur Genüge dafür oder dagegen, oft leidenschaftlich, Partei zu ergreifen.
Das Opus Dei hat also seine Anhänger und seine Gegner, beide gleich überzeugt. So war es vom ersten Anfang an. Unter dem Francoregime in Spanien hatte die Sekte große Macht und großen Einfluß, aber gleichzeitig war der spanische Episkopat in deren Beurteilung am kritischsten. In vielen Ländern, besonders in Lateinamerika, aber auch in Europa, herrschen große Gegensätze zwischen opusfreundlichen Bischöfen - derzeit noch in der Minderheit, aber imer mächtiger werdend - und den übrigen.
Die nordische Bischofskonferenz, also die Bischöfe in den fünf nordischen Ländern, beschlossen einst in den Sechziger- oder Siebzigerjahren, dem Opus Dei in ihren Diözesen keine Niederlassungsrechte zu gewähren. Die Sekte hatte damals bereits begonnen, hier Leute anzusprechen und Sympathisanten zu werben. Bischof Hubertus Brandenburg trat sein Amt in Stockholm zum Ende der Siebzigerjahre an; er war nicht dabeigewesen, als der Beschluß gefaßt wurde, und fühlte sich nicht daran gebunden, als der Priestermangel in der Diözese akut wurde, nicht zuletzt wegen des starken Zustromes von Einwanderern. 1984 öffnete er das Tor für die Gesellschaft, nachdem er die Stimmung in Pfarren und in kirchlichen Räten erkunden ließ. Es gab in der Diözese wegen dieses Schrittes bedeutende Unruhe. Eine Gruppe Intellektueller schrieb einen offenen Brief an den Bischof und bat ihn, davon Abstand zu nehmen. Vergebens.
Einige Jahre vorher hatte Kardinal Hume in England, besorgt über das, was er vom Opus Dei gehört hatte, in einem öffentlichen Schreiben "Richtlinien" für die Tätigkeit der Gesellschaft in seiner Diözese Westminster erlassen: Vier Punkte: 1. Niemand unter 18 Jahren sollte gegenüber dem Opus Dei irgend ein Gelübde ablegen. 2. Jugendliche, die sich dem Opus Dei anschließen wollten, mußten die Angelegenheit zuerst mit ihren Eltern oder Erziehungsberechtigten besprechen. 3. Jedem Individuum müsse Freiheit sowohl für Eintritt in als auch Austritt aus der Organisation garantiert werden, und jeder müsse das Recht haben, seinen geistlichen Leiter entweder im oder außerhalb des Opus Dei selbst zu wählen. 4. Jede Tätigkeit der Organisation in der Diözese müsse klar "sponsorship and management" angeben - also keine Tarnorganisationen. Von diesen vier Punkten wurde der erste in der Diözese des Kardinals wohl formell respektiert, aber auch wenn niemand unter 18 irgendwelche Gelübde ablegte, begannt das Opus sein "Fischen" - sein eigener Ausdruck - schon unter den jüngsten Teenagern, durch Klubtätigkeit und dergleichen. Über Verletzungen der Freiheit des Individuums wurde oft berichtet, und Eltern wurden gewöhnlich aus den Überlegungen von Adepten bezüglich eines Eintritts ausgeschlossen.
Darüber, wie sich die Organisation in Schweden bezüglich dieser vier Gebote verhält, weiß ich nicht viel, aber der "Express" hat gezeigt, wie man sich systematisch Tarnorganisationen nutzbar macht und wie man um Spenden ansucht, ohne daß der Spender ahnen sollte, daß hinter dem Ansuchen das Opus Dei steckt. (Die gewöhnliche Ausrede, daß es sich nur um ein einzelnes Mitglied oder einen "Freund" des Opus handle, der tätig sei, und nicht um das Opus selbst - verdient nicht einmal, beantwortet zu werden). Der "Express" hat auch Zeugenaussagen einer ehemaligen Anhängerin vorgelegt, die lange genug dabeigewesen war, um Auskünfte geben zu können. Da ihre Berichte mehr oder weniger identisch mit Berichten aus so vielen verschiedenen anderen Ländern sind, finde ich keinen Anlaß, sie in Frage zu stellen. Nichts Böses ahnende Katholiken können darüber berichten, wie sie zufällig im Beichtstuhl eines Opus-Dei-Priesters landeten und diesen nach intensiver und extrem langer Befragung und Bearbeitung schockiert verließen. Eine Anzahl Konvertiten hat gleichzeitig damit, daß sie das Opus Dei verließen, die Kirche verlassen. Es ist auch bekannt, daß eine Anzahl von Opus-Dei-Konvertiten auf der eingeschlagenen Linie weitergegangen waren, einige Schritte in dieser Richtung fortgesetzt hatten und außerhalb der katholischen Kirche gelandet waren.
Die Besonderheiten im Lebensstil und in den Frömmigkeitsübungen, die im "Express" beschrieben werden, sehen wie ein Überrest von Klosterkasteiungen einer vergangenen Zeit aus. Die körperlichen Bußübungen mit stacheligen Ketten und neunschwänzigen "Geißeln" kamen in vielen der strengeren Orden vor der Mitte des 20. Jahrhunderts vor, aber mit den neuen psychologischen Ansichten der modernen Zeit wurde einem das Bedenkliche dieser Art masochistischer Übungen bewußt und sie sind praktisch aus dem normalen Ordensleben verschwunden. In Spanien schockieren sie möglicherweise weniger als im Rest von Europa, aber solche Sitten in nordische Länder zu exportieren zeugt von einer eigenartigen Urteilsschwäche.
Vom ersten Anfang an war es das Bestreben der Gesellschaft, so hoch und so weit wie möglich in die leitenden Organe der katholischen Kirche einzudringen. Wie der "Express" berichtete, verhielten sich frühere Päpste zu diesen Bestrebungen ziemlich reserviert. 1982 erreichte der Nachfolger des Gründers Balaguer die erstrebte Erhebung des Opus zu "Personalprälatur", eine ganz neue Erscheinung in der Kirche. Zum Unterschied von Diözesen und Pfarreien ist diese nicht territorial festgelegt, sondern im Prinzip weltumspannend, wie die religiösen Orden. Aber sie hat eine ganz andere Selbständigkeit gegenüber der Leitung einer Diözese und hat einen eigenen Bischof. Ich erinnere mich an meine Bestürzung, als ich die neuen Konstitutionen erfuhr (die zum Unterschied von den früheren veröffentlicht wurden). Plötzlich ging man von Grundsätzen ab, die ich und wohl die meisten in der katholischen Kirche für unverrückbar gehalten hatten. Ein solcher Grundsatz war der beharrliche und leidenschaftliche Widerstand gegen geheime Gesellschaften aller Art. Geheimnistuerei und Schummelei hat es unter Christen immer gegeben, aber man wußte, da es nicht so sein solle, daß soetwas mit dem Evangelium unvereinbar sei. Nun hat man eine Organisation gutgeheißen, die programmatisch Tarnnamen, Halbwahrheiten und Verschleierungstaktiken benützt
Das Klosterwesen ist fast ebenso alt wie die Kirche. Aus dieser Quelle floß im Laufe der Jahrhunderte das Höchste im Denken und Beten der Kirche und viel Heiligung. Auch Mißstände kamen vor, nicht zuletzt dann, wenn die geistige Integrität verletzt oder durch mächtige Leiter bedroht wurde. Deshalb hat die Kirche eingehende Vorschriften ausgearbeitet und erlassen, die vor Machtmißbrauch schützen.
Die wichtigste von allen Vorschriften ist die Garantie für geistige Freiheit und für das Beichtgeheimnis. Dies ist etwas so Heiliges, daß man niemals träumen hätte können, daß daran gerüttelt werden könnte. Das kanonische Recht bekräftigt mit Schärfe, daß niemand und vor allem jene nicht, die in streng geschlossenen Gemeinschaften leben, der Freiheit beraubt werden dürfen, den Beichtvater selbst zu wählen. Die Kirche garantiert, daß jedes Kloster außer zu seinem normalen Seelsorger Zugang zu einem oder mehreren anderen haben soll, damit kein Gewissenszwang ausgeübt werden kann. Dieses Verbot der Zwangszuteilung von Beichtvätern wurde zur Bestürzung vieler bezüglich des Opus Dei aufgehoben, das seinen Anhängen verbietet, bei Priestern außerhalb der Gesellschaft zu beichten. Außerdem ist es verpflichtend, jede Woche alles, was man auf dem Gewissen hat, bis ins kleinste Detail seinem Vorgesetzten offenzulegen. Ist dieser kein Priester, was die Regel in den weiblichen und normal in den männlichen Gemeinschaften ist, so fallen die anvertrauten Dinge nicht unter das kanonisch geschützte Beichtgeheimnis, sondern gehen an das System weiter. Die Integrität des Einzelnen ist also völlig ungeschützt.
Der Diözesanbischof steht praktisch völlig machtlos den Mißständen gegenüber, die entstehen können. Er kann dem Opus verbieten, ein Zentrum zu errichten, aber wenn eines errichtet ist, dann hat er keine Kontrolle über dessen Tätigkeit oder dessen Gemeinschaftsleben. Der Bischof führt in Klöstern und Ordenshäusern regelmäßig "kanonische Visitationen" durch. Beim Opus Dei kommt er nicht weiter als in den Kirchenraum. Er kann dem Opus Dei verbieten, unter den Laien der Diözese tätig zu sein, aber nicht unter solchen, die bereits der Sekte angehören. Im Prinzip kann eine Person ihr ganzes kirchliches Leben ohne irgend einen Kontakt mit einem Priester außerhalb der Sekte verbringen. Das Opus Dei kann auch unter den Diözesanpriestern rekrutieren, die ohne ausdrückliche Aufforderung nicht darüber sprechen müssen, daß sie beitreten, nicht einmal gegenüber dem Bischof. Da die Opus-Dei-Priester das Recht haben, dem Priesterrat anzugehören, und dort stimmberechtigt sind, könnte die Priesterschaft einer Diözese durch das Opus Dei dominiert werden.
Wie kann man es erklären, daß Menschen sich einer Gesellschaft wie dieser anschließen wollen? Niemand tritt einer Partei oder einer Bewegung wegen deren negativer Seiten bei, sondern man hat das Gute entdeckt, das es dort gibt. Die Zeit ist chaotisch, die Normen sind in Auflösung, alles wird in Frage gestellt, die Sicherheit verschwindet und das Dasein erscheint vielen sinnlos. Da wird eine fest strukturierte, im Detail reglementierte und autoritäre Institution wie das Opus Dei anziehend. Man weiß endlich, woran man sich zu halten hat. Im Leerraum, nachdem der Kommunismus und andere Utopien in Rauch aufgegangen sind, macht sich der religiöse Bedarf geltend, wenn man gerade vom religiösen Glauben ergriffen wurde. Das Opus Dei kann ein solides Programm täglicher Andachtsübungen und Gebetes anbieten; geistliches Training ist etwas, was man in unserem Land durch mehrere Generationen hindurch entbehrte; hier kann ein wirklicher Bedarf zufriedengestellt werden. Junge Menschen werden oft von radikalen Herausforderungen angezogen; zu versuchen, ein Heiliger zu werden, ist eine Lebensaufgabe, die Tugend heißt. Das Opus Dei betont sehr, daß Heiligkeit eine Aufgabe und ein Ziel für jeden einzelnen ist, für Laien und nicht nur für Priester, Mönche und Nonnen. Daß man von jungen Anhängern der Sekte oft stolz die Behauptung hört, Escrivá de Balaguer sei der Erste gewesen, der dies verkündete, und das Zweite Vatikanische Konzil habe es von ihm übernommen, zeigt auf jeden Fall, daß es mit der kirchengeschichtlichen Information im Opus Dei nicht weit her ist.
Die Stärke der katholischen Kirche ist die, daß sie für so unerhört viele verschiedene Lebens- und Frömmigkeitsformen Raum hat. Jede Zeit gebiert neue Gemeinschaften, um die Anforderungen der Zeit zu erfüllen. Einige dieser Gemeinschaften florieren einige Jahrzehnte oder Jahrhunderte lang, um dann zu verwelken; erst die Erfahrung kann zeigen, was lebenstauglich ist und was nicht. Einige haben lange bestanden und versprechen noch immer einiges für die Zukunft. Die Regel des Benedikt ist immer noch die Lebensform, welche viele heute wählen, wenn sie eine neue Gemeinschaft gründen. Die Bettelorden des Mittelalters bieten ebenso wie der Jesuitenorden Ideale und Arbeitsformen an, welche großzügige und intellektuell bewußte junge Menschen anlocken. Die kontemplativen Orden haben die meisten Berufungen. Aber in unserer Zeit dominieren die Laienbewegungen, und in diesen Strömungen entstehen sektiererische Gruppen, die sich dann zu einer Kirche in der Kirche entwickeln, zu exklusiven Erlösungsunternehmen mit speziellen inneren Verhältnissen. Wenn sie expansiv und machtbestrebt sind, stellen sie eine Bedrohung der katholischen Einheit in der Vielfalt dar.
Es wurde hoffentlich klar, daß man die katholische Kirche nicht mit dem Opus Dei gleichsetzen kann. Das Opus ist eine von vielen Bewegungen, die es in der Kirche gibt, seine Mitglieder müssen ja das Recht haben, die Lebensform zu wählen, die ihnen selbst zusagt, und wir Außenstehende brauchen uns da nicht einzumischen. Für Katholiken einer anderen Richtung kann das Opus Dei als warnendes Beispiel nützlich sein. Wogegen wir uns jedoch verwahren müssen, sind unberechtigter Proselytismus (der Gründer benützte dieses Wort in positivem Sinn) und das Agieren unter einem Deckmantel. Samt allen Versuchen, sich in der Kirche oder in der Gesellschaft Macht anzueignen.
Gunnel Vallquist
Übersetzung: Friedrich Griess