Britta Rasmussen: Tvind - von innen her gesehen.

Der persönliche Bericht einer ausgestiegenen Tvind-Lehrerin über das Leben an den Schulen 1976 - 1984.

Titel des Originals: Tvind - set indenfra.
En afhoppet Tvindlærers personlige fortælling om livet på skolerne 1976 - 1984.
Forlaget Tommeliden ApS, Måre Byvej 30, DK-5853 Ørbæk, 1996. ISBN 87-7831-070-9

Kommentar des Übersetzers:

Das Buch wurde 1996 herausgegeben und berücksichtigt daher nicht die dramatischen Ereignisse der letzten Zeit.

In den Kapiteln

Einleitung
Hintergrund
Tvind
Der Kinderkurs - die Freischule
Christianshede Mini Zoo
USA

berichtet die Autorin, wie sie einige Zeit mit Feuereifer dabei war, Tvinds Ziel - die revolutionäre Umgestaltung der Gesellschaft nach marxistisch-maoistischem Vorbild - zu verwirklichen. Aus diesen Kapiteln folgen (vorläufig) Abschnitte, die mir wichtig erscheinen.

Der Konflikt bahnte sich an, als die Autorin bei ihrem Aufenthalt in den USA durch zwei Umstände den Zielen Tvinds untreu wurde:

Sie erwartete ein Kind und wollte es auch bekommen - Tvind verlangte Abtreibung.
Ihre Mutter war schwer erkrankt, sie fühlte sich zur Heimkehr verpflichtet, aber Tvind erlaubte solche Rücksichten nicht.

Dennoch wäre die Autorin nach der "Flucht" aus den USA noch immer bereit gewesen, Tvind in Dänemark zu dienen. Erst die Behandlung, die sie dort erfuhr, öffneten ihr die Augen. Denn wer nicht immer 100%-ig zur Verfügung steht, wird hinausgeekelt. Die Überlegungen und Schlußfolgerungen dazu sind im letzten Kapitel

Das Leben nach Tvind

enthalten, das vollständig übersetzt ist.

Die Seitenangaben betreffen die Seiten im Original. Kommentare sind in eckiger Klammer [] beigefügt.


Seite 9:

Einleitung

Im Keller unter dem Gerichtshaus in Odense saßen einige Damen im Alter zwischen 25 und 60 Jahren. Sie tranken Kaffee und wunderten sich. - Wie manipuliert man erwachsene Menschen, ein sicheres Dasein zu verlassen und sich damit abzufinden, in einem Scheuerwagen zu wohnen, während die Leiter in Saus und Braus leben? Am Abend vorher war im Fernsehen eine Sendung über einen früher bekannten Fußballstar, Lars Elstrup, der seine Fußballkarriere aufgegeben hatte und sich von der Gesellschaft abgemeldet hatte. Er lebte nun in der neureligiösen Sekte "De wilden Gänse". Die gewöhnlichen Mitglieder der Sekte wohnten unter primitiven Verhältnisse, die Leitung hingegen auf einem Schloß in Frankreich.

9 Jahre lang war ich in den Tvindschulen gewesen, daher wollte ich gerne versuchen, meinen Arbeitskolleginnen zu erklären, warum ich mich damals von der Gesellschaft abmeldete und zu Tvind zog, wo wir auch unter primitiven Verhältnissen wohnten, aber wir hatten nur mehr 10 Minuten Kaffeepause übrig.

Daheim begann ich statt dessen, dieses Buch zu schreiben. Viele nette Menschen haben das Manuskript gelesen und ihre Kritik, ihre Kommentare und Aufforderungen dazu geäußert, die Geschichte darüber, was eigentlich bei Tvind vor sich geht, - sowohl positiv als auch negativ - herausgeben zu lassen, damit alle die Möglichkeit bekommen können, selbst Stellung zu beziehen, weil es meist die Skandale sind, die aus der geschlossenen Gesellschaft, die Tvind ist, publik werden.

Auch wenn ich mich in meiner Zeit bei Tvind wenig um meine Familie kümmerte, so hat sie doch immer viel für mich bedeutet. Meine Erzählung ist deshalb dicht mit dem zusammengewebt, was da in meiner Familie geschah.

Die Jahre hindurch habe ich mir ab und zu Zeit genommen, Briefe an meine Familie darüber zu schreiben, was mit mir geschah. Charakteristisch für diese Briefe ist, daß ich mit Tvind immer sehr solidarisch war und über Probleme und Unbehaglichkeiten erst erzählte, wenn sie gelöst waren - einige Dinge erzählte ich nie.

Ich verließ ein Universitätsstudium, verschenkte alle meine lieben Bücher und Platten und entschloß mich für ein Leben, in dem ich in Gemeinschaft mit einer Menge Kameraden für eine bessere Welt kämpfte. Erst an dem Tag, als das Wohlergehen meiner Familie bedroht war, brach ich aus Tvind aus.

Seite 11:

Hintergrund

Seite 17:

Det Nødvendige Seminarium [Das Notwendige Seminar]

Meine Cousine Tove war bei einer der ersten Gruppen der Reisenden Hochschule dabei gewesen. In alten Bussen waren sie durch die Türkei, den Irak, den Iran, Afghanistan und Pakistan nach Indien gefahren. Nachher hatten sie ein Produktionskollektiv, Skræp, gegründet, das Kleidung herstellte. Durch Tove hatte ich die Adresse von Tvind bekommen, und lange Zeit hindurch bekam ich Berichte von den Reisen der Busse des Notwendigen Seminars nach Indien zugesandt. Das war sehr spannende Lektüre und nährte meine Abenteuerlust.

Im Frühjahr 1975 war ich über ein Wochenende auf Besuch in einem Haus in Helsingør, wo einige aus der ersten Gruppe des Notwendigen Seminars wohnten. Dort hielten sie ein Vorbereitungstreffen für die nächste Seminargruppe ab, die im September 1976 beginnen sollte. Für mich bedeutete Tvind Abenteuer. Die Chance zu erhalten, in die Welt hinaus zu kommen und andre Leute und ihre Kultur zu erleben. Nun hörte ich Näheres über das Programm für die Ausbildung von Volksschullehrern auf ein andere Weise:

Det Nødvendige Seminarium - DNS

Praktische und theoretische Vorbereitungen während zwei Monaten auf eine viermonatige Studienreise im Bus durch eine Reihe von asiatischen Entwicklungsländern, darauf drei Monate Nachbearbeitung der Reise samt Studien Dänemarks. Erwerbsarbeit und Sparen in dänischen Städten während drei Monaten, darauf neun Monate weitere Arbeit und sozialwissenschaftliche Studien, bei denen die Gruppen in eigenen Häusern wohnen. Training, das zu tun, was man am richtigsten findet, während drei Monaten, mit Rücksicht darauf, daß man sich zum Lehrer ausbilden möchte. Zweijähriges Training im Erlebnis und in der Erkenntnis der Wirklichkeit der Schule, kombiniert mit Studien jener Fächer, die zur Lehrerausbildung gehören. Die Studenten wohnen ständig in eigenen Häusern in den Städten, wo sie im letzten Jahr arbeiteten, aber sind nun am Vormittag in der Praxis in den Schulen der Städte und lernen am Nachmittag Fächer. Während zwei Perioden ist das ganze Seminar auf Tvind für einige der Fächer und für Prüfungen versammelt.

Im Laufe des Wochenendes wurde es für uns alle deutlich, daß diese Ausbildung nur für jene bestimmt war, die ein brennendes Verlangen und eine Berufung hatten, Lehrer in der Volksschule zu werden und ihr Leben dieser Aufgabe zu weihen. Wenn wir nur wegen allgemeiner Abenteuerlust gekommen waren, dann war DNS nichts für uns, statt dessen sollten wir zur Reisenden Hochschule gehen.

Nach einigen Überlegungen fand ich heraus, daß ich nicht danach brannte, Lehrerin zu werden. Es war die Reise, die mich angezogen hatte, aber da ich mich nicht heraussah, das Geld zu beschaffen, das ein Aufenthalt bei der Reisenden Hochschule kostete, blieb ich an der Universität.

Seite 20:

Tvind

Gründung

Der Gründer der Tvindschulen Mogens Amdi Petersen stammt aus Ringe in Mittefynen. Er war ausgebildeter Volksschullehrer. In den Sechzigerjahren wurde er in Dänemark eine bekannte Person, weil er von einer Volksschule in Odense wegen seiner lange Haare gefeuert wurde, die er nicht schneiden lassen wollte. Mehrere Jahre hindurch hatte Amdi Petersen "das Haus" am Hunderupvej in Odense - ein Versammlungsort für Linksorientierte. Hier wurden viele Ideen geboren, und die ursprüngliche Lehrergruppe darin, die sich später zu Tvind entwickelte, wurde gegründet

Die Auswahl der Personen, die zur Aufnahme in den Kreis um Amdi Petersen würdig befunden wurden, ging auf sehr unbehagliche Weise vor sich, was mir später von jemandem erzählt wurde, der damals im "Haus" wohnte, als es geschah. Jede einzelne Person wurde mehrere Stunden lang im Zug der gemeinsamen Versammlungen durchdiskutiert. Alles wurde umgedreht. Die Persönlichkeit des Einzelnen wurde seziert und der öffentlichen Beschau und Beurteilung vorgelegt. Nichts war privater Bereich. Entweder war man für die Sache und die Kameraden oder dagegen, es gab keine weichen Mittellösungen.

Die ausgewählten Menschen gelobten einander, für den Rest ihres Lebens alle ihre Zeit, Kräfte und Geld zu verwenden, um Amdis Ideen für den Weg zum Sozialismus in Dänemark zu verwirklichen. Er wollte Schulen gründen, die den Ausgangspunkt in der Wirklichkeit hier und draußen in der Welt nahmen, und durch die Konfrontation mit der Wirklichkeit revolutionäre Menschen erschaffen.

Die erste Gruppe der Reisenden Hochschule wohnte zu Beginn an der Weiterbildungsschule Rantzausminde bei Svendborg. Während sie auswärts auf der Reise waren, kaufte Amdi gemeinsam mit den Kameraden das Strandhotel Fanø, das vom Staat als Hochschulgebäude genehmigt wurde. 1971 gab es drei Hochschulgruppen und das Gebäude auf Fanø war zu klein geworden. Immer wenn eine Hochschulgruppe aufhörte, kamen einige Lehrer in die Lehrergruppe. Die Lehrer nannten sich damals "Veteranen". Jene Lehrer, die nicht als Lehrer in einer Hochschulgruppe fungierten, gehörten zu einer Gruppe, die "Tjen Folket" [Diene dem Volk] hieß und die praktische Aufgaben hatte, wie gemeinsamen Einkauf von Lebensmitteln, Essenszubereitung, Reparatur von Bussen, Drucken von Berichten usw.

1972 kaufte die Lehrergruppe einen alten kleinen Hof, der einige Kilometer außerhalb von Ulfborg in Westjütland lag. Der Hof hieß Tvind - daher stammt der Namen Tvindschulen. Im gleichen Jahr erteilte das Unterrichtsministerium die Erlaubnis zum Start der alternativen Lehrerausbildung "Das Notwendige Seminar". 1974 begannen die Weiterbildungsschule Tvind und der Realkurs, bei dem die Schüler die halbe Zeit theoretisch und die andere halbe Zeit praktisch in gewerblichen Gruppen arbeiteten. 1975 begann eine Alternative zum HF-Studium und Gymnasium, "PTG" - Praktisch-Theoretische Grundausbildung - in 23 Monaten kamen die Teilnehmer dazu, nach Afrika zu reisen und ein HF-Examen abzulegen. 1974 begann Tvind, die größte Windmühle der Welt zu bauen.

Seite 21:

Vorbereitende Versammlung bei Tvind

Seite 22:

Einmal war es sehr spät geworden - 3 Uhr früh. Zwei von uns hatten sich leise unterhalten: Nun würden wir gerne zu Bett gehen. Das war ein langer Tag. Wir erhoben uns, aber wurden durch Irene aufgehalten: Was hatten wir uns gedacht? Man konnte doch nicht so einfach weggehen. Es war Versammlung. Die ganze Versammlung sollte Stellung dazu nehmen, ob wir gehen durften.

Seite 24:

Konsequenz

Seite 25:

Die Sache war wichtiger als der Mensch.

Seite 28:

Kollektives Denken

Seite 29:

Zu diesem Zeitpunkt waren wir alle dazu erzogen, kollektiv zu denken . Selbst die freien Tage wurden von der Gemeinschaft geplant. Alles ging die Gruppe an. Es war streng verboten, die Gesellschaft seiner selbst oder der einer einzelnen anderen Person vorzuziehen. Das war egoistisch und nützte nicht der Gemeinschaft.

Mein Feriengeld fiel der gemeinsamen Ökonomie zum Opfer, aber das waren nur 1000 Kronen. Schlimmer war es für mein Schwester Eva. Sie war nun Lehrerin in der Produktionsschule in Kullerup geworden. Die waren dabei, einen größeren Besitz in Vamdrup in Südjütland zu kaufen. Einmal hatte sie die Möglichkeit, ihr Sparguthaben, etwa 10.000 Kronen, zu beheben, die unsere Eltern jahrelang eingezahlt hatten. Sie lieh es der Schule einfach so und hat es nie wieder gesehen.

Seite 47:

Gehirnwäsche!

Ich war durch meinen Aufenthalt auf Tvind bereits tief geprägt. Meine Haltungen waren verändert. Mein eigenes Leben war nicht mehr wichtig,. Die Sache war wichtiger. Indem wir "oben ohne" am Strand lagen, könnten wir die Leute von Tvind abstoßen - also lagen wir nicht "oben ohne". Wenn wir Wein oder Bier tranken, könnten schwache Kameraden über ihr Vermögen versucht werden und in Trunksucht verfallen, also tranken wir nicht. Alle waren per Definition gleich gute Kameraden, also durfte ich nicht einen den anderen vorziehen. Alle waren gleich, deshalb baute man nicht auf seine Weiblichkeit, um etwas zu erreichen oder sich vor einer Aufgabe zu drücken. Man zog keine Kleider an oder flirtete, sondern trug praktische Overalls und Holzschuhe.

Wen man sich voll für die Sache einsetzte, dann schaffte man auch alle Aufgaben. Man zeigte nicht seine Schwächen oder gab zu, daß es etwas gebe, was man nicht schaffte, denn dann wurde man nur verhöhnt. Alle Arbeit auf Tvind war gleich revolutionär. Alle Aufgaben waren gleich wichtig auszuführen, damit die Schulen ihre Expansion fortsetzen und mehr Revolutionäre anwerben konnten, deshalb mußte man jene Arbeit tun, die am meisten benötigt wurde. Wenn man in der großen Versammlung etwas sagte, wurde man ganz sicher niedergetrommelt, daher war es das Beste, sich zurückzuhalten. Was ich auch tat.

Alle die Eindrücke, die ich von unserer Reise erhalten hatte, machten es noch deutlicher, daß es wichtig sein, für die Änderungen der Ungerechtigkeiten in der Welt zu arbeiten. In den Ländern, die wir besucht hatten, waren die Bedingungen für Sozialisten nicht gut. Ich könnte den Kampf für eine bessere Welt dadurch unterstützen, daß ich bei Tvind blieb. Ich wollte dies tun, es war notwendig, dort zu sein, wo meine Kräfte gebraucht wurden.

Heute kann ich sehen, daß ich eine sehr romantische Ansicht davon hatte, Revolutionärin zu sein. Ich verband Revolution mit Abenteuer, Erlebnissen, den armen unterdrückten Kerlen ringsum in der Welt zu helfen. Für mich und für viele andere wurde Tvind der Ort, wo wir als Revolutionäre arbeiten und den Kapitalismus bekämpfen konnten, indem wir Schulen betrieben, aus denen neue Menschen hervorgehen und die Welt verändern sollten. Zu meinem abgebrochenen Universitätsstudium zurückzukehren erscheint mir keine Möglichkeit für meine Zukunft. Das war keine Alternative.

Seite 49:

Der Kinderkurs - die Freischule

Seite 50:

Meine erste Tvindversammlung

Seite 51:

Torben Søe sagte etwas darüber, daß er stolz sei, nun der Lehrergruppe bei Tvind anzugehören, und wurde wegen dieses Ausspruchs von einigen leitenden Tvindlehrern verhöhnt und kritisiert. Amdi ließ ihn wissen, daß dies der harte und dreckige Kampf gegen die bestehende Gesellschaft war und kein Nähklub, bei dem er Mitglied geworden war. Meine Schwester sagte etwas darüber, daß sie hoffe, die Produktion in Vamdrup könne weitergehen, denn Produktion war solch eine gute Idee. Auch das wurde gründlich kritisiert. Waren wir nicht fast in Konkurs gegangen? Die Produktion habe sich nicht als tragfähiger Weg erwiesen, um die Voraussetzungen für eine revolutionäre Entwicklung in Dänemark zu schaffen.

Ich hatte früher nur positive Erfahrungen in der Zusammenarbeit mit der Lehrergruppe beim Bau der neuen Gebäude für Tvind gehabt, daher war diese unbekannte feindliche Stimmung für mich sonderbar. Das Wichtigste war offenbar, den Mund zu halten, zuzuhören und zu lernen, wenn man nicht niedergesäbelt werden wollte.

In Wirklichkeit war ich konfliktscheu, aber das war mir damals nicht bewußt. Konfliktscheu zu sein war das ärgste Schimpfwort bei Tvind, denn das war dasselbe wie reaktionär sein, da jede revolutionäre Entwicklung ihren Theorien zufolge nur durch Konflikte und Kampf gedeihen konnte.

An dem Tag, als wir den Schülern der Hochschulabteilung in Vamdrup berichten sollten, daß wir uns der Lehrergruppe bei Tvind angeschlossen hätten, war ich krank und hatte Fieber. Die anderen Lehrer befahlen mir, aufzustehen und bei der Versammlung dabei zu sein. Sie sagten, die Leitungsgruppe habe von Tvind aus angerufen und gesagt, ich müsse bei der Versammlung anwesend sein. Amdi sei nach einem Autounfall mit einem Rücken umhergegangen, der an 4-5 Stellen gebrochen war, also könne ich wohl auch bei einer konfliktreichen und beschwerlichen Versammlung dabei sein.

Seite 54:

Gemeinsame Ökonomie, gemeinsame Beschlüsse!

Die Abrechnungsgruppe bestand aus Henning Bjørnlund und Stina Fernström. Diese sorgten dafür, die Ökonomie nach festgelegten Richtlinien zu verwalten. Auch unsere Steuererklärungen ordneten sie. Der Lohn ging direkt an die gemeinsame Kasse. Wir sahen den nie. Der Privatverbrauch der Lehrer war, soviel ich wußte, null. Kost und Logis erhielten wir in der Schule, wo wir arbeiteten. Wenn ich zwei- bis dreimal im Jahr an einem Heimreisewochenende zu meinen Eltern heimreisen sollte, fuhr ich per Anhalter oder als blinder Passagier mit dem Zug. Wir bekamen nie Geld für neue Kleidung, wir mußten mit dem auskommen, was wir hatten oder was wir uns von Verwandten und Freunden beschaffen konnten.

.......

Eines der Prinzipien in der Lehrergruppe war, daß alle Beschlüsse einstimmig gefaßt werden mußten. Wenn es in einer Frage Uneinigkeit gab, mußte die Versammlung weitergehen, bis alle einig waren. Es sei keine Demokratie, wo Uneinigkeit durch Abstimmungen entschieden werde.

In Wirklichkeit war es Amdi, der die Visionen und alle Ideen hatte und der Einwände und Gegenargumente akzeptierte oder verwarf. Er legte die Linien unserer Arbeit fest. Seine Ansichten wurden von der Gruppe rings um ihn und von allen gewöhnlichen Tvindlehrern kräftig unterstützt. Wir applaudierten viel und riefen zu guten Vorschlägen und Plänen "Hört, hört!" Der Inhalt unserer Versammlungen war immer geheim. Wir durften den Schülern und anderen Außenstehenden nur das erzählen, worüber wir uns einig geworden waren, es zu veröffentlichen.

Leute mit selbständigen Ideen verschwanden schnell wieder aus der Lehrergruppe, wenn sie sich nicht einordnen konnten. Sie wurden verächtlich als antiautoritäre Personen bezeichnet - ein Überbleibsel der Sechzigerjahre, wo die Studenten sich gegen die Autoritäten auflehnten. Wir waren sehr autoritätsgläubig. Amdi kannte den Weg für die Weiterentwicklung der Schulen und bestimmte die günstigste Verteilung der Lehrer auf die verschiedenen Schulen. Wenn man anderswo arbeiten wollte, sollte dies mit Amdi vereinbart werden. Er wußte, was das Beste für uns alle war.

Seite 58:

Die pädagogischen Prinzipien

Seite 65:

Das übergeordnete Ziel der Schulen war, revolutionäre Menschen zu erschaffen, die in aktiver Gemeinschaft für eine sozialistische Gesellschaft unter Amdis Leitung kämpften. Das Wort 'sozialistisch' wurde wohlgemerkt nicht öffentlich ausgesprochen. Solange nämlich kein Etikett drauf ist, können die meisten Menschen nicht durchschauen, was der politische Inhalt ist. Ohne Etikett klingen die pädagogischen Prinzipien wie gesunde Vernunft. Wer wollte schlapp, stillsitzend und immer allein sein?

Seite 65:

Viele spannende neue Tätigkeiten

Seite 67:

Später wurden die Zielgruppen klarer definiert, und UFF unterstützte ausschließlich sozialistische Befreiungsbewegungen wie ZANU und ANC samt dem Aufbau sozialistischer Staaten wie Simbabwe, Mosambik, Angola und Namibia.

Seite 68:

Die Ärzte bei Tvind

Knud und Per waren zwei Ärzte, die 1976 gemeinsam mit ihren Familien zu Tvind übersiedelten. Sie hatten als normale praktische Ärzte erlebt, daß sie nicht Zeit hatten, bezüglich der Ursachen der Krankheiten der Patienten in die Tiefe zu gehen. Bei Tvind bekamen sie die Möglichkeit, anders zu arbeiten, die gesellschaftlichen Hintergründe zu finden. Die Ärzte fanden heraus, daß Krankheit nicht einfach aus der blauen Luft entsteht, sondern im Leben, das die Patienten führen, konkrete Ursachen hat. Die Behandlung der Krankheit muß daher gegen das Leben gerichtet sein, das die Patienten führen, und gegen die Menschen, mit denen sie beisammen sind. Der Patient muß verstehen, daß Krankheit kein privates Anliegen ist.

Als Folge davon durften wir als Patienten nicht allein zur Konsultation kommen. Wir sollten die Krankheit auch mit den anderen Lehrern durchbesprochen haben, bevor wir zum Arzt gingen. Knud und Per meinten, daß dies wichtig sei, weil der Patient auf diese Weise selbst die Verantwortung für seine Heilung übernahm. Jede Krankheit wurde verdächtigt. Es war wohl ein Konflikt in der Gruppe die Ursache und kein Virus. Ich habe es nie gemocht, daß über mich bei einer Versammlung diskutiert wurde, daher ging ich zu keinem Arzt, auch wenn ich krank war - außer um geimpft zu werden.

Die Ärzte Knud und Per fielen in das andere Extrem, und wie so viele bei Tvind pflegten sie die Verherrlichung der Konflikte. Meiner Meinung nach gibt es andere Ursachen für Krankheiten als Konflikte in der Gruppe. Es gibt gebrochene Beine, Stirnhöhlenentzündungen und Virusinfektionen, von denen man sich nicht durch Reden befreien kann.

Jacob, Rasmus und Hans waren nicht reinlich. Sie pischten die ganze Zeit in die Windeln, auch als sie schon 3 Jahre alt waren. Alles würde für sie und für uns leichter werden, wenn sie reinlich würden. Sie konnten nicht selbst herausfinden, wohin sie pischen sollten. Wir kamen darauf, sie alle 1 1/2 Stunden gemeinsam draußen im Badezimmer auf den Topf zu setzen. Jan spielte für sie auf der Gitarre. Ich las ihnen Geschichten vor. Es schien nett zu sein und wir fühlten uns gemütlich.

Hans war ein Sohn Knuts, des einen Arztes. Er hatte Frau und 4 Kinder. Hans war das Jüngste. Wir hatten oft darüber gesprochen, daß es schade um Hans war, weil er nie bei unseren Touren dabei sein durfte. Er mußte zu einer bestimmten Zeit am Nachmittag daheim sein, um mit seinen Eltern beisammen zu sein, während wir z.B. ins Schwimmbad gingen oder zur Feuerwehr in Holstebro.

Einmal erhielt ich von Grethe Flintegaard von der Leitungsgruppe Bescheid, ich solle zu einer Arbeitsbesprechung mit den Ärzten kommen. Bei der Besprechung kamen viele Punkte auf die Tagesordnung. Wir kamen zum Punkt Kinderkurs, und ich sollte vom Alltag in der Gruppe mit den kleinsten Kindern berichten. Als ich erwähnte, daß wir versuchten, den Kindern Reinlichkeit beizubringen, wurde ich von zwei sehr wütenden Ärzten verbal überfallen. Das sei ja der reinste Faschismus. Sie waren empört. So etwas solle man nicht lehren. Das müsse von selbst kommen. Alles andere sei unnatürlich. Das sollten wir jedenfalls nicht ihrem Kind Hans bieten.

Ich war in meinen Grundfesten erschüttert. Das war unverständlich. Jan und ich waren überhaupt keine Faschisten. Eher das Gegenteil. Wir wollten ja das Beste für die Kinder. Wie könnten sie darauf kommen, so etwas zu sagen? Wenn wir nicht gut genug waren, auf ihren Hans aufzupassen, dann könnten sie ihn ja in eine gewöhnliche Tagespflege oder in einen Kindergarten geben, aber dafür sollten sie bezahlen und wir machten es gratis.

Hans kam weiterhin einige Stunden täglich zu uns. Er war niemals ganz dabei. Ich hörte auf, zu weiteren Treffen mit den Ärzten zu gehen.

Seite 70:

Amdi entmachtet!

Früher war Tvinds Verhältnis zur Presse gut gewesen. Amdi hatte sich ausbedungen, Artikel und Interviews zu genehmigen, bevor sie in Druck gingen. Nun gab es in der Presse verstärkte Hinweise auf unsere Arbeit und insbesondere persönliche Angriffe auf Amdi Petersen. Der Grund für die ersten Skandale war, daß einige Schüler einer Weiterbildungsschule von Irland allein per Anhalter heimgeschickt wurden. Die Lehrergruppe wurde deshalb konsequent davon abgehalten, Zeitung zu lesen. Unsere einzige Nachrichtenquelle aus der umgebenden Welt waren die Tvind-Versammlungen, bei denen Amdi in phenomenaler Weise politische Analysen der Situation in der Welt erstellte und Visionen und Pläne für unsere Arbeit und die Entwicklung der Schulen heraufbeschwor.

Die Galionsfigur und Tvinds Aushängeschild nach außen wurde nun Poul Jørgensen, der gegenüber persönlichen Angriffen sehr dickhäutig ist, während Amdi, der für das Hervorbringen genialer Ideen und die politischen Analysen zuständig war, sich aus dem Rampenlicht zurückzog.

Poul Jørgensen wohnte mit seiner Familie in Fredericia. Er war gut darin, die juristische Seite von z.B. von Liegenschaftsverhandlungen zu ordnen und Fonds zu errichten. Als Tvinds Sprecher der Presse gegenüber war er ein Fund. Er wiederholte ausschließlich die Antworten, auf die sich die Leitungsgruppe um Amdi geeinigt hatte, und ließ sich nicht provozieren.

Gerüchte darüber, daß Amdi kassiert - entmachtet - worden war [und die wohl von ihm selbst in Umlauf gesetzt wurden], breiteten sich in den folgenden Jahren in der Presse aus. Aber Amdi war ebenso aktiv wie früher, wenn nicht noch mehr, da er nun seine Kräfte auf die Entwicklung der Schulen und auf andere neue Projekte konzentrieren konnte.

Bei der Gemeindewahl stimmten wir auf seine Aufforderung alle für einen lokalen Vertreter der Venstre-Partei [eigentlich "Links-Partei", ist nach heutigen Begriffen liberal], welche die Tvindschulen unterstützte. Viele von uns traten aus der Volkskirche aus, da wir weder an Gott glaubten noch Kirchensteuer bezahlen wollten. Das ersparte Geld sollte eher für Schulbauten verwendet werden. An den Wochenenden und in den Ferien nahmen alle Tvindlehrer, denen es möglich war, gemeinsam an der Wartung der Gebäude und Schiffe oder an deren Neubau teil.

Seite 70:

Sabotage, Spione und Registrierung

Seite 71:

Wir studierten die Verhaltensregeln, welche die Widerstandsbewegung während des 2. Weltkrieges befolgte. Ein Beispiel zur Abschreckung war der Kommunist Aksel Larsen, der mit seiner Frau vereinbart hatte, daß eine bestimmte Vase im Fenster stehen sollte, wenn die Luft rein war. Als er eines Tages heimkam, stand die Vase nicht dort. Nun, dachte er, das ist wohl ein Fehler. Er ging hinein und wurde von der Gestapo arretiert, die auf ihn gewartet hatte.

Es wurde uns abgeraten, etwas am Telefon zu sagen, was wir nicht veröffentlicht haben wollten. Ich habe auch die Klicke von der unprofessionellen Abhörung unserer Telefone durch die Polizei gehört. An der Weiterbildungsschule in Bustrup hatten wir eine telefonische Bombendrohung erhalten. Jemand hatte auf Amdis Mercedes geschossen, als sie durch einen Wald fuhren.

Unter den Lehren herrschte Furcht vor Sabotage und Attentatsversuchen, daher etablierten wir bei Tvind eine Wachordnung rund um die Uhr. Während wir Lehrerversammlungen abhielten, stand jemand die ganze Zeit über da und wusch die Autos der Leitung, um Sabotage zu verhindern. Andere hielten die Nacht über in der Umgebung Wacht. Alle Papiere, die während der Lehrerversammlungen verteilt wurden, waren numeriert und mußten wieder eingesammelt und kontrolliert werden, bevor jemand die Versammlung verlassen durfte. Der Nachrichtendienst konnte ja einen Spion unter uns haben, der versuchen würde, Dokumente hinauszuschmuggeln.

Bei einer Lehrerversammlung wurden wir aufgefordert, zu unseren Eltern heimzugehen und alle alten Bilder zu verbrennen, die dazu benützt werden konnten, unsere Familie oder Freunde auszukundschaften - vielleicht müßten wir sehr bald in den Untergrund gehen, wenn (und nicht falls) die Faschisten in Dänemark die Macht übernahmen. Wenn einige von uns nun beabsichtigten, eigene Wege zu gehen, weil wir bange geworden waren, so würde es nichts nützen, sich von Tvind loszusagen, denn alle Mitglieder der Lehrergruppe waren vom Nachrichtendienst der Polizei als Revolutionäre registriert. Nach einem faschistischen Cup würde der Nachrichtendienst die Listen den neuen Machthabern übergeben und wir würden einzeln ausgeforscht werden. Es war besser, zusammenzustehen und zu kämpfen. Unsere Schicksale waren für immer miteinander verknüpft. Es gab viele Gründe, in der Lehrergruppe gegen die umgebende feindliche Gesellschaft zusammenzuhalten. All dies erwähnte ich selbstverständlich gegenüber niemandem außerhalb von Tvind.

Damals zweifelte ich nicht an der Richtigkeit der politischen Analysen unserer Situation. Amdi wußte ja, was vor sich ging. Ich hatte blindes Vertrauen zu ihm. Heute kann ich sehen, daß er viele Gründe gehabt haben mag, uns einzubilden,. wir seien von Feinden umgeben. Wir würden zusätzlich Motivation erhalten, für die Schulen zu kämpfen. Wer wollte davonlaufen, um dann allein den Faschisten gegenüberzustehen? Also war es sicherer, zusammen zu bleiben. Es war besonders wichtig, die alten Denk- und Lebensweisen zu bekämpfen. Wir mußten alle 100% leisten, um die Faschisten zu bekämpfen und die Schulen zu fördern.

Mir schien es absolut nicht, daß wir auf diese Weise hinters Licht geführt wurden. Das Feindbild, das uns Amdi vormalte, war falsch und ohne Grundlage in der Wirklichkeit - möglicherweise wurde Tvind vom Nachrichtendienst untersucht, es würde später enthüllt, daß der Heeresnachrichtendienst eine Kartei über 60.000 linksorientierte Bürger errichtet hatte, vielleicht verfolgten uns einige rechtsgerichtete Gruppen mit Bombendrohungen, aber die Faschisten waren 1978 nicht dabei, die Macht in Dänemark zu übernehmen! Für mich zeigt das die Geringachtung von uns gewöhnlichen Lehrern durch die Leitung. Auf uns war offenbar kein Verlaß - wir waren politisch nicht reif genug, um eigene Schlüsse zu ziehen. Die Leitung mußte ja glauben, daß wir alle davonlaufen würden, wenn wir die wahre Situation kannten, daß für einen faschistischen Cup in Dänemark kein Risiko bestand. Der Zweck heiligt die Mittel!

Ich ging ebenfalls heim, um meine Bilder zu verbrennen, aber ich wählte kräftig aus und verbrannte nur jene aus meinen wilden Tagen beim RUC, die ich nicht mochte. Bilder unserer alten Nachbarin Kirstine, meiner Großmutter in Nyboder, meiner Eltern und Geschwister rührte ich nicht an. Meine Schwester war pflicherfüllender. Sie verbrannte alles. Das bedauert sie heute.

Seite 72:

Kindesmißhandlung?

Eine Gruppe von acht Kindern zwischen 3 und 6 Jahren und drei Erwachsene aus dem Kinderkurs waren in den Sommerferien 1978 einen Monat auf Bornholm. Die ersten 14 Tage fuhren wir per Rad von Rønne aus quer über die Insel. Wir wohnten auf Höfen und mitten im Wald bei einem Oberförster. Wir kamen nach Svaneke und Nexø, wo wir Jacobs Großeltern besuchten, und nach Gudhjem.

Es war endlich recht schönes Sommerwetter geworden. Für den nächsten Tag hatten wir vereinbart, auf den Campingplatz bei Hammeren an der Nordspitze Bornholms zu übersiedeln. In der letzten Nacht wollten wir versuchen, im Freien in einem Talkessel in den Dünen zu schlafen, der vor dem Wind geschützt war. Dort schlugen wir das Lager auf. Wir sollten auf einigen Decken in unseren warmen Schlafsäcken liegen. Die Kinder wollten gerne Würstchen mit Spaghetti haben. Zwei der größeren Mädchen von 5-6 Jahren gingen mit einem Kochtopf zu einem Haus hinüber, um zu bitten, die Spaghetti gekocht zu bekommen, denn da würde es schneller gehen. Sie kamen stolz mit den fertigen Spaghetti zurück. Wir hatten inzwischen die Würstchen über dem Feuer gebraten, das Essen war also fertig. Das Letzte war es nun, einzuschlafen.

Plötzlich kamen Leute mit Lichtern, die uns aufscheuchten. Es waren die Polizei und einige Damen. Es zeigte sich, daß ein verärgerter Nachbar die Kinderwacht angerufen hatte. Man könne Kinder nicht draußen schlafen lassen. Die Polizei erhielt unsere Erklärung, daß wir am nächsten Tag auf den Campingplatz übersiedeln wollten und daß wir versuchen wollten, im Freien zu schlafen. Das konnte sie nicht zulassen. Die Fürsorge wurde eingeschaltet. In der Finsternis der Nacht kamen sie mit einem großen Zelt, das sie neben dem Platz aufstellten, wo wir schliefen - oben auf dem Gipfel der Düne. Hier blies es kalt vom Meer herauf. Wir mußten die schlafenden Kinder dort hinauf übersiedeln. Etwas später schliefen alle wieder.

Etwa eine Stunde später wachte ich dadurch auf, daß die Hälfte des Zelts zusammengefallen war. Es lag über einigen Kindern. Das war völlig unverantwortlich. Wir mußten die Kinder wieder übersiedeln. Am nächsten Tag fuhr uns die Polizei zum Campingplatz. Dort wohnten wir die letzten 14 Tage auf Bornholm, wo wir eine Heringräucherei, einen Glasmacher, ein Altersheim, den Flugplatz und den Fischereihafen besuchten. Die Kinder spielten und lernten eine Menge.

Wir hörten von anderen, daß wir in den Lokalzeitungen beinahe als Kindesmißhandler ausgerichtet worden waren, aber wir lasen diese natürlich nicht selbst. Daheim auf Tvind erhielten wir Lob von einigen anderen Lehrern. Sie meinten, es sehe so aus, daß die Kinder wirklich auf dieser Tour etwas gelernt hätten, im Gegensatz dazu, wie langweilig sie es im Alltag hätten. Eigentlich konnte ich weder die Kritik verstehen, daß es Kindesmißhandlung gewesen sein soll, die Kinder im Freien schlafen zu lassen, noch das Lob, daß es besonders lehrreich gewesen sei, daß die Kinder im Dunkeln von unbekannten Personen mit Lichtern umhergestoßen wurden. Wir machten doch täglich gemeinsam viele andere spannende Dinge!

Seite 77:

Ein typischer Tag

Seite 79:

Der Alltag bei Tvind war von unzähligen Aufgaben geprägt, die man lösen mußte. Es war normal, daß man so große Pläne hatte, daß es unmöglich war, sie zu erfüllen, denn auf diese Weise wurden wir gezwungen, alle unsere Kräfte einzusetzen. Sobald der Alltag zu funktionieren begann, sorgten Amdi und die Leitungsgruppe um ihn dafür, daß die Pläne revidiert und die Ziele gesteckt wurden.

......

Wie waren keine Übermenschen und erreichten das Ziel auch nie. Wir waren sehr pflichtbewußt und taten unser Bestes, um die Ziele zu erreichen. Da dies nicht glückte, fühlten wir, daß wir Amdi im Stich gelassen hatten, der die strahlenden Pläne entwickelt hatte. Weil wir nicht gut genug waren, mußten wir uns noch mehr anstrengen. Nie stellten wir die Pläne in Frage.

Seite 79:

Zellen-Organisation

Alle Lehrer waren in kommunistisch inspirierten Zellen organisiert - die sogenannten 3er. Der Gedanke war, den Zusammenhalt in der nun ziemlich großen Lehrergruppe durch häufige Treffen in den 3ern zu stärken. Hier sollte die erste Kritik der Pläne der Lehrer erfolgen. Diese Einheit war unser sozialer Kontakt zu den Lehrern an den anderen Schulen. Wir waren nun eine ziemlich große Lehrergruppe, die selten versammelt wurde.

Wenn wir nach der Machtübernahme der Faschisten in Dänemark in den Untergrund gehen sollten, konnten wir einander in den 3ern gegenseitig helfen. Wir wollten auch nicht so viele andere Lehrer genauer kennen, die wir zu verraten gezwungen sein könnten, wenn wir von den Faschisten gefangengenommen wurden.

Die feindliche Wirklichkeit, die Amdi um uns herum geschaffen hatte, konnten wir nicht in Frage stellen. Wir konnten und durften sie auch nicht mit jemandem außerhalb von Tvind diskutieren, das war völlig ausgeschlossen. Niemand durfte Einblick bekommen in die entsetzlichen Kräfte, die gegen uns waren, denn dann würden sie Angst bekommen und sich von uns abwenden. Gegenüber Verwandten, Nachbarn und allen anderen wurden wir sehr tüchtig darin, unsere innersten Gedanken zu verbergen und uns als frohe Optimisten geben. Niemand durfte die entsetzliche Wahrheit kennen.

Seite 82:

Abschaffung der Apartheid

Wenn man eine Eisenkette brechen will, dann sollte man das schwächste Glied finden und es äußerstem Druck aussetzen. Eine Tages zerbricht das Glied und damit zerbricht die Kette. Das übergeordnete politische Ziel war, die rassistischen Regierungen im südlichen Teil Afrikas abzuschaffen. Amdi schätzte, daß das schwächste Glied Rhodesien sei.

Tvind unterstützte die Befreiungsbewegung Zanu im Kampf gegen Ian Smith und sein weißes Regime. Kleider, Decken, Proteinkeks und Geld von allen UFF-Geschäften wurden an Zanu und an die Flüchtlingslager in Sambia und Mosambik geschickt. Junge landflüchtige Schwarze wurden nach Dänemark eingeladen, um in verschiedenen Fertigkeiten ausgebildet zu werden, damit sei besser imstande seien, die Macht in dem neuen Land Simbabwe zu übernehmen, wenn Ian Smith von der Macht abgesetzt war.

Seite 83:

Das funktioniert nicht richtig

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Die Lehrer durften auch nicht rauchen. Das ist teuer und gesundheitsschädlich. Ich hatte vor Tvind geraucht, hatte aber in der Bauschule aufgehört. Nun bekam ich den Drang, wieder zu rauchen, und tat dies heimlich. Der Alltag mit den Kindern war unzufriedenstellend und chaotisch. Es gab niemanden, der entdeckt hätte, daß ich rauchte. Wenn man raucht, wird man ansonsten unaushaltbaren Zuständen und Verhältnissen gegenüber gleichgültiger. Es ist so wie das Einnehmen von Nerventabletten. Das weiß jeder, der mit dem Rauchen aufgehört hat. Dann ist man nämlich nicht mehr so tolerant. Ich mußte rauchen, denn der Alltag war manchmal nicht auszuhalten.

Seite 84:

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Ich war mit meiner Arbeit nicht mehr zufrieden. Es war nicht besonders spannend, immer mit Kleinkindern beisammen zu sein.

Meine Schwester Eva war nach Ihrer Schiffsreise Lehrerin an der Weiterbildungsschule Bustrup geworden. Es ging ihr und den Weiterbildungsschülern nicht sehr gut, aber darüber sprachen wir damals nicht. Ich erzählte auch nicht von meinen Frustrationen, an denen ja nur meine mangelnden Fähigkeiten als Lehrerin schuld waren. Probleme zu verschweigen und nach außen hin eine optimistische Fassade zu haben war wichtig, um bei Tvind zu überleben.

Seiten 86:

Ewigkeitsvertrag

Zu Pfingsten war die ganze Lehrergruppe in der Weiterbildungsschule Asserbohus in Nordseeland versammelt. Wir arbeiteten an der Instandsetzung der Schule. Einmal sollten wir in kleineren Gruppe miteinander reden und uns über die Zukunft aussprechen. Ich war in eine Gruppe mit Britt Wullf, ursprünglich vom Kinderkurs, Birgit Søe und Flemming Gustavsen, ursprünglich von Vamdrup, gekommen. Als ich an die Reihe kam, murmelte ich etwas davon, daß ich für immer dabeibleiben wollte. Das hatten wir ja abgesprochen, daß wir das sollten, bereits als die Lehrer von Vamdrup um Aufnahme in die Lehrergruppe bei Tvind ansuchten, und das wußten Birgit und Flemming.

Auch wenn ich zeitweise recht frustriert darüber war, daß ich immer mit Kindern zusammen sein sollte, hatte ich nicht daran gedacht, aufzuhören, auch wenn es jetzt möglich gewesen wäre, da mein Zweijahresvertrag abgelaufen war. Ich war davon überzeugt, daß die Ideen hinter Tvind richtig waren und es wichtig war, sie zu unterstützen, und ich hatte keine Lust auf irgend ein anderes Dasein. Aber das eine war die Theorie, etwas anderes die Praxis!

Seite 87:

Die neue Widerstandsbewegung

In den Christi Himmelfahrts-Ferien war ich mit all den anderen Lehrern beisammen. Wir machten gemeinsam einen sehr langen Ausflug entlang der ehemaligen Eisenbahn zwischen Horsens und Silkeborg, wo sich nun ein Fahrrad- und Wanderweg befand. Unser Gepäck wurde mit Autos transportiert. In Intervallen erhielten wir Speise und Trank. Wir schliefen im Freien. Auf der Wanderung konnte ich mit vielen sprechen.

Im Schein des Lagerfeuers hörte ich über die neuen Pläne von der Schaffung von Atemlöchern für gewöhnliche Menschen. Rings herum in Dänemark sollten wir Zentren errichten, wo gewöhnliche Menschen es aushalten und wo sie auf eine gute Weise mit uns zusammen sein könnten. In den kommenden Krisenzeiten würden die Leute dann wissen, wo sie ihre Freunde hatten und wohin sie sich zurückziehen könnten, wenn die Zeit wieder käme, um Widerstandsgruppen für den Kampf gegen die Faschisten zu bilden. Die UFF-Zentren waren ein guter Beginn. Diese gab es nun in vielen Städten ringsum im Lande. Hier sammelten sich Kinder, ältere Menschen, Frühpensionisten und Arbeitslose, die einen Einsatz für Leute in der dritten Welt leisten wollten. Das würde der Beginn der Widerstandsbewegung sein.

Der Ausflug war ein großes Erlebnis. Wir waren nun in der Lehrergruppe richtig viele geworden und wir waren ringsum mit vielen verschiedenen Projekten beschäftigt. Mao hatte gesagt: Laßt hunderte Blumen blühen. Wir waren voll damit beschäftigt, diese zu säen. Der Ausflug endet in Virklund beim Reitzentrum Peterslyst, das die Lehrergruppe gerade gekauft hatte. Auch das Reitzentrum sollte ein Atemloch sein.

Seite 89:

Christianshede Minizoo

Seite 95:

Er hatte ja die grüne Karte!

Zu Weihnachten 1979 sollte ich zusammen mit Poul auf den Minizoo aufpassen. Alle anderen waren zu ihren Familien in die Weihnachtsferien gefahren. Ich hatte die Tiere gefüttert und kam nun in die Stube hinein. Poul saß mit einer Menge leerer Bierflaschen vor sich und war sehr betrunken und laut. - Bald kommt einer meiner guten Freunde und holt mich, und dann wird es ein Fest geben.

Ich war tief erschüttert. Niemand beim Minizoo hatte gewußt, daß Poul Alkoholprobleme hatte. Was sollten ich nun mit ihm tun? In meiner Not rief ich Sune in der Weiterbildungsschule in Tvind an und erklärte die Situation. Er fragte, ob ich die Tiere versorgt habe. - Ja, aber was ist mit Poul. - Ja, da blieb nichts zu tun. Sie hatten gewußt, daß es ein Problem war. Aber Poul hatte ja die grüne Karte. Sune meinte, ich sollte mit einem guten Buch früh zu Bett gehen, dann würde sich das Problem am nächsten Tag gelöst haben.

Tags darauf ging es mir nicht besser. Ich lernte niemals damit zu leben, daß Tvinds Leitung verschiedene Anforderungen an verschiedene Personen stellte, je nachdem wozu man sie im großen Zusammenhang benützen sollte. Ich glaubte, wir alle seien Kameraden in einem gemeinsamen Kampf für eine besser Welt. Warum sollten wir an Poul nicht die Forderung stellen, mit dem Trinken aufzuhören? Und warum hatte man uns über das Problem nicht von vornherein informiert?

Die Leiter auf Tvind benötigten Pouls grüne Karte. Er als Person war ihnen völlig gleichgültig. Er war ein Mittel, um Besitz zu erwerben. Ein Baustein im Spiel. Die Sache war wichtiger als der einzelne Mensch.

Seite 96:

Lehrerversammlung über Sicherheit und Ökonomie

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Amdi und die Gruppe um ihn herum wohnten nicht mehr längere Zeit an einem festen Ort. Sie übersiedelten immer wieder im In- und Ausland wegen der Gefahr eines Attentats auf Amdi Als gewöhnliche Lehrerin auf Tvind wußte ich nicht, wo er war.

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Ebenso aus Sicherheitsgründen würde die gesamte Ökonomie der Schulen nicht mehr bei den Lehrerversammlungen veröffentlicht werden - unsere Feinde sollten der Möglichkeit beraubt werden, uns in die Karten zu schauen. Der Verwaltung der Ökonomie würde sich die Leitungsgruppe in Zusammenarbeit mit Henning Bjørnlund und Stina Fernström annehmen. Mißtrauen hatte sich in die Lehrergruppe eingeschlichen: Wer von den Kameraden war es, dem wir nicht mehr vertrauen konnten? Wer würde unseren Feinden über unsere Ökonomie berichten? Nichts kam bei den Lehrerversammlungen öffentlich heraus. Nur die Leitungsgruppe wußte die Antwort.

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Als etwas Neues wollte die Leitungsgruppe in Zukunft Wochenkurse für Lehrer im Hotel Lakolk auf Rømø veranstalten - hier würden wir uns in Themen wie die revolutionären Khmer Rouge in Kambodscha, den Kampf der Sandinisten in Nicaragua, die Kulturrevolution in China, Seidenmalen und Lithographie vertiefen können. Das klang spannend.

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Alle sollten alle Aufgaben beherrschen: Mauern, Bus fahren, Bilder malen, Budgets erstellen, Versammlungen leiten usw.. Wir waren gezwungen, tüchtiger als unsere Feinde zu sein. Es wurde nicht akzeptiert, daß nicht alle nicht immer für alles gleich gut waren und daß jeder Mensch verschieden ist und eigene Lüste, Fähigkeiten und Interessen hat.

Seite 102:

Ulandshjælp fra Folk til Folk [Entwicklungshilfe von Volk zu Volk]

Im Sommer 1980 feierte Die Reisende Hochschule ihren zehnten Geburtstag im Küstenkrankenhaus in Juelsminde, wohin Eltern und Freunde eingeladen waren - meine Eltern waren auch dabei. Vertreter für die vielen Ulandshjælp fra Folk til Folk-Zentren berichteten über ihre Fortschritte. In vielen Städten eröffneten die UFF-er Geschäfte, wo sie örtliche Leute - besonders ältere Damen und Schulkinder - dazu brachten, Kleider und andere Dinge zu sammeln, sie in den Geschäften zu verkaufen, Flohmärkte zu organisieren und die Kleidung zur Versendung in Ballen zu pressen. Die UFF-er waren die Initiatoren. Die Empfänger waren Leute und Volksbewegungen im südlichen Afrika, die gegen Unterdrückung kämpften.

Ringsum in den Städten gab es viele Menschen, die gerne mit dabei sein wollten, eine gute Sache zu unterstützen. Durch persönliche Berichte aus Flüchtlingslagern und Schulen in den Empfängerländern konnten die UFF-er Skeptische davon überzeugen, daß die gesammelten Mittel bei den richtigen Empfängern ankamen. Es hatte um die traditionellen Hilfsorganisationen viele Skandale gegeben, wo enthüllt worden war, daß ein große Teil der gesammelten Mittel von der Administration aufgefressen worden war.

Viele Menschen, welche die Gesellschaft als unbrauchbar weggeworfen hatte - Arbeitslose, Frühpensionisten und Pensionisten - fanden durch ihre Arbeit bei UFF einen Sinn im Leben, am Morgen aufzustehen. Sie gewannen neue Kameraden und fanden, daß man gemeinsam viel erreicht.

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Seite 104:

Verbotene Liebe

Auf Tvind waren zeitweise Militärdienstverweigerer stationiert. Wir bekamen einen solchen im Minizoo. Er war 18, hieß Thorleif und war ein netter und fescher Bursche. Thorleif sollte bei allen anfallenden Arbeiten helfen. Er war tüchtig bei seiner Arbeit und kam auch mit den Schülern gut aus, besonders mit Marianne, die sonst gegenüber Erwachsenen ziemlich feindlich eingestellt war. Ich konnte ihn leiden und war etwas neidisch auf Jenny, die mit ihm ins Bett ging. Ihr Verhältnis dauerte einige Monate.

Eines Tages wurden Jenny und ich zu einer Versammlung auf Lindknut Kro einberufen, wo sich die Kommandozentrale der Kleinschulen befand. Die Leiterinnen der Kleinschulen waren Lena und Lotte vom DNS [Det Nødvendige Seminarium - Das Notwendige Seminar] II. Von hier aus kommandierten sie die Kleinschullehrer ringsum in der Welt, gaben Rat in Krisensituationen, hielten Kontakt mit den Sozialberatern, den Eltern und der Polizei. Sie schrieben Berichte über die Schüler an die bezahlenden Behörden und beschafften neue Schüler und Lehrer. Zuerst kam Jenny an die Reihe. Ich sollte vor der Türe warten. Nach langer Zeit wurde ich hineingerufen.

Der ganze Raum war voller Leute. Die Fragen hagelten auf mich nieder. - Warum hatte ich nicht gemeldet, daß Jenny mit jemandem außerhalb der Lehrergruppe ein Verhältnis hatte? War dies in Wirklichkeit deshalb, weil auch ich in ihn verliebt war? Das war dort sehr ernst! Eigentlich sei ich die Schuldige, die große Schurkin, weil ich Jenny nicht davon abgehalten hatte. Könne ich den Ernst der Lage verstehen? Ich hatte Jenny und die Lehrergruppe im Stich gelassen! Ich murmelte etwas davon, daß es nicht sehr gut gewesen sei. Ich zog den Kopf ein und entkam nach einiger Zeit weiteren Anklagen.

Zuinnerst schien es mir, als seien die Anklagen gegen mich zutiefst unberechtigt, denn ich war ja nicht mit Thorleif im Bett gewesen. Ich hatte auch nicht gewußt, daß es verboten war, einen Geliebten zu haben, der nicht zur Lehrergruppe gehörte. Später verstand ich von den anderen Lehrern, daß sie ganz sicher waren, daß Thorleif entweder dem Nachrichtendienst der Polizei oder des Heeres angehörte. Warum hatten die darüber bei der Versammlung nichts gesagt? Glaubten sie, ich sei ganz dumm? Als ich zum Minizoo zurückkam, war er verschwunden.

Seite 119:

Glaube den Experten nicht!

Als Hauptregel erhielten wir keine Vorabinformation über die Schüler - oder irgendwelche Papiere, die etwas über ihre bisherige Geschichte berichten konnten. Wir erhielten nur die Information, die sie uns selbst geben wollten. Ich glaube, der Sinn dessen war, daß wir Lehrer nicht auf Grund von sogenannten Expertenaussagen Vorurteile bezüglich des Charakters der Schüler haben sollten, sondern uns unsere eigenen Eindrücke von ihnen machen und ihnen mit offenem Sinn und offenen Armen begegnen sollten. In der Theorie kann das auch sehr richtig sein, aber es kann auch fürchterlich daneben gehen. Das sollte ich später merken.

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Wir bekamen einen Schüler, der Grönländer und von einer dänischen Familie in Århus adoptiert worden war. Er war früher an den Weiterbildungsschulen Juelsminde und Tvind gewesen. Er wurde Thorsager genannt.

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Meine Aufgabe war es nun, die Schüler zum Aufstehen zu bewegen und die Tiere zur Abreise vorzubereiten. Der einzige, der nicht aufstehen wollte, war Thorsager. Die anderen Schüler gingen hinunter, um nach den Tieren zu sehen. Ich weckte Thorsager nochmals. Plötzlich fuhr er wütend aus dem Bett. Er schlug mich mit Faustschlägen auf den Kopf und auf den Bauch, so daß ich zu Boden fiel. Ich versuchte, meinen Kopf zu beschützen, aber er trat und trat. Daß Thorsager mich plötzlich überfiel, kam wie ein Schock, da er früher auf unserer Tournee mit den Tieren kein aggressives Benehmen gezeigt hatte. Nach einer Zeit, die mir unendlich lang vorkam, ging die Türe auf. Ole und Poul kamen herein. Thorsager verschwand, bevor sie zu begreifen begannen, was hier vor sich ging.

Ich kam auf die Unfallstation. Einmal lag ich in einem Bett draußen am Gang, immer noch etwas benommen. Plötzlich entdeckte ich, daß Ole im Bett neben mir lag. Als sie mich zum Krankenhaus gebracht hatte, war Ole in die Stadt gegangen, um Thorsager zu finden und zu versuchen, ihn zur Vernunft zu bringen. Er hatte ihn schließlich in einem Hinterhof gefunden. Ole war ein großer Mann, über zwei Meter und ziemlich kräftig gebaut. Thorsager war einen Meter sechzig. Es gab keinen Zweifel in Oles Bewußtsein, daß er Thorsager überwältigen könne. - Wenn du nicht deines Weges gehst, steche ich dich nieder. Thorsager hatte ihm sein Messer gezeigt. Ole glaubte nicht einen Augenblick, daß er seine Drohungen ernst machen würde, aber plötzlich steckte das Messer tief in seinem Oberschenkel.

Ich erhielt meine gebrochene Nase operiert und lag einige Tage im Krankenhaus zur Beobachtung wegen Gehirnerschütterung. Danach wurde mir eine Woche Erholung daheim bei meinen Eltern bewilligt, während ich den Gips hatte, der das meiste von meinem Gesicht bedeckte. Zu Weihnachten erhielt ich von Thorsagers Eltern ein Paar Strümpfe als Entschuldigung für seine Tat, aber sonst geschah nichts. Thorsager blieb an der Schule.

Von anderen Lehrern hörte ich später, daß er an den anderen beiden Tvindschulen, die er früher besucht hatte, ebenfalls Lehrer niedergeschlagen hatte. Ich war einigermaßen erzürnt darüber, daß wir bezüglich seiner gewalttätigen Neigungen nicht gewarnt worden waren, aber ich sagte nichts laut. Ich träumte auch nicht davon, Thorsager wegen des Überfalls bei der Polizei anzuzeigen. Das taten wir niemals! Ich hatte ja wohl auch das eine oder andere falsch gemacht, was den Überfall auslöste! Lena und Lotte vom Kleinschulsekretariat belehrten uns oft darüber, daß die Schüler sich deswegen schlecht aufführten, weil die Lehrer ihre Arbeit nicht gut genug machten. Es was daher meine Schuld, daß Thorsager zuschlagen mußte. Ich war die Schuldige und nicht er! Ich war eine schlechte Lehrerin, eine schlechte Kameradin.

Heute meine ich, daß es ein ernster Fehler der Leitung der Kleinschulen war, uns nicht über Thorsagers gewalttätige Vorgeschichte informiert zu haben, so daß wir auf der Wacht sein hätten können. Tvinds Theorien zufolge sollten die Überfälle von den Lehrern provoziert worden sein. Die Dinge wurden auf den Kopf gestellt. Das Opfer war schuld. Daran glaube ich überhaupt nicht. Es ist völlig falsch, die Lehrer wegen des schlechten Benehmens der Schüler zu beschuldigen. Dies stammt von vielen schlechten Erlebnissen in ihrem früheren Leben. Es ist auch falsch, Thorsager einfach weiterhin in die Schule gehen zu lassen, als ob nichts geschehen wäre. Er hätte wegen des Überfalls und der Gewalttätigkeit bei der Polizei angezeigt werden sollen. Er hätte vor Gericht für seine Taten zur Verantwortung gezogen werden sollen. Es nützt nichts, gegenüber solchen kriminellen Tendenzen nachgiebig zu sein!

Seite 121:

Minderwertigkeitsgefühle

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Seite 122:

Unser Bus hatte Kontakt mit zwei Politikern der ETA, der baskischen Befreiungsbewegung, mit denen wir uns in Bilbao trafen.

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Der Schiffsuntergang

Nach der Eselstour kontaktierte Benny das Sekretariat der Kleinschulen in Lindknud, um von daheim Nachrichten zu hören. Als er wieder in den Bus kam, konnte ich ihm ansehen und merken, daß etwas völlig schief gelaufen war. Ich fragte, was geschehen sei, und er sagte mir, daß ich das früh genug erfahren werde. Statt dessen setzte er sich neben jemanden anderen vom DNS [Das Notwendige Seminar] und erzählte. Das verstärkte meine Minderwertigkeitsgefühle, die seit dem Überfall sehr zugenommen hatten. Ich konnte nicht einmal dazu benützt werden, daß man mir schlechte Nachrichten mitteilte. Es war nicht so sonderbar, daß Thorsager mich niedergeschlagen hatte.

Als wir endlich bei Zentrum ankamen, teilte Benny den versammelten Lehren mit, daß [das Schiff] Activ, mit dem er und Stump gesegelt waren, aus unbekannten Ursachen mit Mann und Maus vor der holländischen Insel Texel im Englischen Kanal untergegangen waren. Keines der 8 Besatzungsmitglieder wurde gerettet. Alle waren tief schockiert, und dies prägte den Rest der Reise.

Ich habe später gehört, daß das Schiff trotz Sturmwarnungen von England abgefahren war. Es war zutiefst tragisch, daß so viele ihr Leben lassen mußten - sicher deshalb, um einen Plan einzuhalten, zu einer vereinbarten Zeit an einem bestimmten Ort zu sein und keine schlechte Wetteraussicht bestimmen zu lassen, ob sie es erreichen würden.

Seite 125:

Verteilungsversammlung

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Wir hörten von einem tragischen Unglück. Ein junges Mädchen auf PTG war ertrunken. Die Geschichte dahinter war, daß Linda Epileptikerin war. Die Lehrer, die das PTG betrieben, hatten ihr die Medizin weggenommen, denn diese machte sie stumpf, so daß sie in der Gemeinschaft nicht das Äußerste leisten konnte. Ohne Medizin bekam sie einen epileptischen Anfall, während sie dabei war, sich in einem Wasserbehälter zu waschen. Sie fiel so unglücklich, daß ihr Gesicht lange genug unter Wasser kam, sodaß sie ertrank.

Seite 128:

USA

Seite 134:

Freie Zeit

Ich hatte in den USA mehr Freie Zeit, als ich jemals während meiner Zeit bei Tvind gehabt hatte. Wenn ich ganz erschöpft war, hatten die anderen Lehrer Verständnis dafür, daß ich lag und schlief. Dann übernahm ein anderer Lehrer meine Pflichten. Ich hatte zum Schlafen mein eigenes Zimmer. Wenn ich einkaufte, war ich allein und konnte soviel Zeit brauchen, wie ich wollte. Es gab im Laufe eines Tages viele Augenblicke, wo ich meine eigenen Gedanken denken konnte. Das war schön. Ich hatte Zeit, viele Briefe zu schreiben, Bücher zu lesen und fernzusehen. Das war neu.

Wir waren weit weg von Dänemark und der übrigen Lehrergruppe, die unseren Alltag nicht unter Kontrolle halten und gegenüber mangelnder Disziplin nicht eingreifen konnte. Wir hatten freiere Zügel und mehr Freiheit als Personen.

Seite 145:

Allein

Seite 149:

Die Zeit bei Tvind war seit meinem Beginn in den Zwanzigern im Flug vergangen und ich war nun 30. Ellen und Benna waren in meinen Augen alt, 45 - 50. Sie hatten niemals Kinder bekommen.

Ich wollte sehr gerne ein Kind haben, bevor ich zu alt wurde. Ich wollte nicht plötzlich 50 werden und entdecken, daß ich meine Chance verpaßt hatte, ein Kind zu bekommen. Das waren für mich neue Gedanken. Niemals zuvor hatte ich mir gewünscht, ein Kind zu bekommen. Ich hielt viel von Geir und wollte, daß er der Vater meines Kindes sein sollte.

Es waren zugleich illegale aufrührerische Gedanken, die ich gefaßt hatte, denn als Tvindlehrerin war ich nicht selbst Herrin über meine Zeit, und ein Beschluß, schwanger zu werden, stand mir nicht zu. Eine Lehrerin konnte ganz ausnahmsweise von der gesamten Gruppe die Erlaubnis erhalten, ein Kind zu bekommen. Das erforderte, daß man die Frage bei einer gemeinsamen Versammlung aufwarf, und es konnte Einigkeit darüber entstehen, daß dies eine gute Idee sei. Eine der Frauen in der Leitungsgruppe hatte im Vorjahr bei einer Tvindversammlung die Erlaubnis bekommen, zu versuchen, ein Kind zu bekommen.

Ich hatte nicht gedacht, jemanden um Erlaubnis zu fragen

Seite 151:

Nicht alle sind gleich bei Tvind

Eines Nachts wurde ich von Erik geweckt, der sagte, in 5 Minuten würden wir eine Versammlung im Raum nebenan abhalten. Als ich dort eintrat, konnte ich sehen, daß einige Lehrer fehlten. Weder Geir, Vidar, Vivian, Brian noch Dale waren da. Ich fragte, ob ich sie holen sollte. Von Erik erfuhr ich, daß dies hier eine Versammlung ausschließlich für Leute war, die auf unbegrenzte Zeit der Lehrergruppe angehörten. Wir hatten absolute Schweigepflicht und durften den Lehren mit Zweijahresvertrag nichts von der Versammlung erzählen. Erik berichtete, daß über Brian Zweifel laut geworden waren. Die Leitungsgruppe hatte Jane, als sie in Dänemark war, mitgeteilt, Brian sei uns wahrscheinlich vom CIA, dem amerikanischen Nachrichtendienst, hineingesetzt worden. Er müsse nun seinen Zweijahresvertrag entweder verlängern oder abschließen, daher sei es wichtig, daß wir uns alle klar machten, daß er nicht dazu aufgefordert werden dürfe, weiterhin in der Lehrergruppe zu bleiben. Da war nichts darüber zu diskutieren. Ende der Versammlung!

Ich war noch nie bei etwas Derartigem dabeigewesen. Niemals hatte ich erlebt, daß wir in Lehrer mit Zweijahresvertrag und Lehrer auf unbegrenzte Zeit aufgeteilt wurden. Für mich waren wir alle gleich, aber es zeigte sich, daß manche dennoch gleicher waren als andere.

Ich dachte daran, daß es vielleicht andere Male ähnliche Versammlungen gegeben hatte, zu denen ich nicht eingeladen wurde, da mein Status als Lehrer "auf unbegrenzte Zeit" nicht recht vielen bekannt war. Kurz bevor ich in die USA zog, fragte Sune von der Weiterbildungsschule in Tvind mich direkt, welche Absprachen ich eigentlich mit der Lehrergruppe habe.

Es erschütterte mich, daß es auf diese Weise vor sich gehen könne und daß ich mit Geir und Vidar nicht darüber reden dürfe.

Heute bin ich davon überzeugt, daß bei Tvind nicht alle gleich waren. Es gab eine Hierarchie, an der Amdi als unbestrittener Leiter an der Spitze stand. Unmittelbar unter ihm kam die Leitungsgruppe - danach die Vorsteher der verschiedenen Schulen. Die Lehrer mit Ewigkeitsvertrag waren eine Gruppe für sich. Danach kamen die Lehrer mit Zweijahresvertrag. Außerdem waren Lehrer, Ärzte, Steuerleute und Handwerker angestellt, die nie an Lehrerversammlungen teilnahmen, sondern denen Beschlüsse mitgeteilt wurden, die direkt ihre Arbeit betrafen.

Auf den verschiedenen Ebenen wurden Versammlungen abgehalten, deren Inhalt per Definition geheim war. Die Lehrer auf einer niederen Ebene erfuhren weder etwas über die Abhaltung der Versammlung noch über deren Inhalt.

Wenn man uns bei einer Lehrerversammlung einen Vorschlag über neue Projekte machte, so waren diese bereits auf den höheren Ebenen beschlossen worden. Dies erfuhren wir nur nicht, denn es war für die Leitungsgruppe wichtig, daß wir die Illusion behielten, wir seien alle gleich, aber wie in der "Animal Farm" von George Orwell waren einige gleicher als andere.

Daß es notwendig war, die Leitungsstruktur geheim zu halten, sagt viel über das mangelnde Vertrauen der Leitung zu den gewöhnlichen Lehrern aus. Die Struktur ist eine Kopie des Aufbaus einer kommunistischen Partei mit Zentralkomitee, Kadern und gewöhnlichen Mitgliedern. In den kommunistischen Parteien ist es öffentlich bekannt, daß bei den Leuten Unterschiede herrschen. Bei Tvind war das verborgen!

Seite 157:

Abort

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Jane, die amerikanische Lehrerin, die mit Bjarne zusammenlebte, hatte an einer Klinik einen Abort durchführen lassen. In der Lehrergruppe gab es keine Diskussion darüber, ob sie eventuell ihr Kind gerne bekommen hätte. Kinder benötigten Zeit, und Zeit hatten wir selbst nicht. Die Zeit war gemeinsam, und wir konnten mit ihr nicht tun, was wir selber wollten. Daher war es selbstverständlich, daß man einen Abort durchführen ließ, wenn es schief ging.

Trotz allem wollte ich immer gerne ein Kind haben, auch wenn es den geltenden Normen bei Tvind zufolge nichts war, was ich selbst bestimmen konnte. Ich schlief im Laufe des Mai und Juni einige Male mit Geir, aber beim letzten Mal bat er mich, nun Ruhe zu haben. Ich beschloß, ihn nun nicht mehr aufzufordern. Wenn er mehr mit mir zu tun haben wollte, dann müßte er es sagen. Ich wollte und konnte ihn zu nichts zwingen. Aber ich war sehr traurig darüber und konnte nicht verstehen, daß er so abweisend war. Was war geschehen?

Seite 159:

Krise in der Familie

Ich wurde im August von Dänemark aus angerufen. Mutter hatte Brustkrebs bekommen und sollte operiert werden. Es gab in dieser Zeit viele Gespräche über den Atlantik hinweg mit Vater und Anette. Ich versuchte, meine Schwester Eva zu mobilisieren, sich der Mutter anzunehmen. Sie war ja trotz allem nur in Göteborg. Aber sie hatte keine Zeit, für längere Perioden heimzukehren, denn sie sollten ein großes neues UFF-Zentrum errichten. Ich wollte heim und mit Mutter zusammen sein. Erik und Jane wollten mich nicht heimreisen lassen. Sie sagten, Mutter würde glauben, sie sei daran zu sterben, wenn ich überhastet aus den USA heimkehre. Einige der anderen Lehrer meinten, ich solle heimreisen. Anette und Vater baten mich, heimzukommen, wenn ich mit ihnen am Telefon sprach. Ich antwortete, wir müßten nun sehen. Ich fühlte mich sehr allein und hilflos, so weit weg von der Familie.

Der Alltag begann wieder mit Essenszubereitung, Zeichenklub, Gute-Nacht-Geschichten und Wochenendtouren, aber mein Herz war nicht mehr bei dem dabei, was ich tat. Ich wollte weder meine Kameraden und unseren gemeinsamen Kampf noch meine Familie im Stich lassen. Oft weinte ich sehr, denn es war eine unmögliche Situation: Ich wollte heim, und die anderen Lehrer meinten, daß ich nicht sollte. Ich wollte mich ihnen nicht widersetzen, und gleichzeitig fühlte ich, daß es völlig falsch war, in den USA zu sein, wenn meine Mutter mich in Dänemark brauchte. Was sollte ich tun?`

Mutters eine Brust war entfernt worden, aber der Krebs hatte sich zur Lymphe und zu den Lungen ausgebreitet. Mein Visum konnte erst im Dezember in Ordnung sein. Wieder nahm ich mit Erik und Jannie die Diskussion darüber auf, aber nochmals ließ ich mich überreden zu bleiben und zu warten. Erik sagte einmal, wenn ich heimreiste, dann käme ich ja nicht mehr zurück. Dieser Gedanke hatte mich nicht gestreift, daß ich bei Tvind aufhören wollte. Ich wollte nur heim und mit meiner Mutter beisammen sein.

Seite 161:

....... Zurück in der Schule bekam ich von Niels Schelte, weil ich nicht berichtet hatte, daß ich am vergangenen Wochenende einen Kratzer in den Bus gemacht hatte. Ich bekam auch Schelte, weil ich etwas Wäsche weggeworfen und einige nicht zusammengelegt hatte, weil ich einen Brief geschrieben hatte. Nun konnte es genug sein! So sollten sie mich nicht behandeln!

Ich hatte außerdem Hoffnung, vielleicht schwanger zu sein, denn ich hatte weiche Brüste und mir war etwas schlecht. Im August war auch keine Menstruation eingetreten. Wenn es am nächsten Tag bei der Gesundheitsuntersuchung entdeckt würde, daß ich schwanger war, würden die anderen Lehrer mich wohl zu einem Abort überreden / zwingen. Ich mußte vorher weg. Oben im Büro der Schule fand ich meinen Paß. Eine alte Decke, ein Buch und ein Säckchen Karotten stopfte ich in meine Tasche. In der Nacht würde ich unten in der Schule schlafen, denn viele Lehrer waren weg auf einer Weekendtour. Ich ließ mir am Abend, als ich mit den Schülern und einigen anderen Lehrern beisammen war, nichts anmerken. Den Wecker stellte ich auf vier Uhr morgens. Ich rechnete damit, daß es zu dieser Zeit in der Schule am stillsten war. Es war draußen dunkel, als ich mich auf den Weg begab. Zu Beginn ging ich ganz auf der Seite des Weges, um nicht von einem vorbeifahrenden Auto der Schule gesehen zu werden. Später fuhr ich per Anhalter und wurde von zwei Kerlen mitgenommen, die nach Norfolk zum Fischen fuhren. Mein Plan war, von Norfolk aus ein Flugzeug nach New York zu nehmen und von dort aus meine Eltern anzurufen, um Geld für den Rest der Heimreise zu bekommen. Ich hatte selbst 80 Dollar, die für das ersten Ticket genug waren.

Als ich im Wartesaal saß und an einer Karotte knabberte, sah ich plötzlich Geir und Flemming umhergehen und nach mir suchen. Ich verschwand durch eine Seitentür und ließ die Karotten auf der Bank zurück. Weit vom Flughafengebäude entfernt fand ich ein Gebüsch zwischen einigen geparkten Autos, wo ich mich zitternd hinsetzte. Es war nahe daran gewesen, daß ich gefunden worden wäre. Ich war mir nicht sicher, ob ich sie davon hätte überzeugen könne, daß ich nicht in die Schule zurückwollte. Mehrere Stunden blieb ich in meinem Versteck sitzen und las das Buch fertig, bevor ich es zögernd verließ. Ich hatte Angst, daß sie noch immer nach mir suchten. Erst als ich im Flugzeug nach New York saß, entspannnte ich mich.

Im Flughafen Newark fand ich die Adresse einer Bank. Ich rief meine Mutter an und sagte, ich sei auf dem Heimweg, und sie sollte 300 Dollar senden. Das zu hören war sie froh und versprach, es so schnell wie möglich zu schicken. Um mein letztes Geld kaufte ich ein dickes Buch von 1328 Seiten, "Sacajawea", Brot, Obst und Milch. Wir waren viele, die im Flughafen auf dem Boden schliefen.

Drei Tage später war ich in London, wo ich einen unwiderstehlichen Drang nach chinesischer Kost verspürte. Ich hatte große Probleme, ein chinesisches Restaurant zu finden, aber als ich endlich mit meinen vier Gerichten vor mir dasaß, die ich in meinem Hunger bestellt hatte, verlor ich den Appetit. Die meiste Zeit schlief ich völlig erschöpft in meiner Kajüte auf der Tour von Harwich nach Esbjerg. Vater holte mich vom Zug in Odense ab.

Seite 162:

Endlich daheim

Es war schön, daheim zu sein. Mutter hatte mit der Chemotherapie begonnen. Ich ging zum Arzt und erhielt die Bestätigung, daß ich schwanger war. Mutter freute sich darüber, daß ihr erstes Enkelkind auf dem Weg war, aber ihr war auch traurig zumute, denn würde sie es noch erleben? Tausend Fragen schwirrten in meinem Kopf herum: Was will ich jetzt? Sollte ich daheim wohnen? Sollte ich bei Tvind aufhören? Wovon sollte ich / sollten wir leben? usw. Noch war es mir nicht ganz aufgegangen, daß ich ein Kind bekommen sollte.

Einige Wochen später rief Grethe Flintegård von der Leitungsgruppe an. Sie sagte, sie seien mit der Weise, wie meine Kameraden in den USA meine Heimreise behandelt hatten, ganz uneinig. Die Lehrergruppe würde gerne das Geld zurückerstatten, das meine Mutter für die Flugreise bezahlt hatte. Das sollten wir nicht selbst bezahlen. Es war schön, Unterstützung darin zu erhalten, daß es richtig war, heimzureisen. Ich erzählte, daß ich schwanger und Geir der Vater des Kindes sei. Sie fragte, ob ich wieder zur Lehrergruppe zurück wollte. Ja, das würde ich gerne. Lotte vom Kleinschulsekretariat hielt eine Besprechung mit mir ab. Wir kamen überein, daß ich bei der Kleinschule "Fremtidens Danmark" [Dänemark der Zukunft] arbeiten sollte, die im Hotel Lakolk auf Rømø untergebracht war. Ich schrieb einen Brief an Geir und berichtete, daß ich schwanger war, und über meine Pläne für die nächste Zukunft, aber ich hörte nie etwas von ihm.

Auf Rømø blieb ich nicht besonders lang. Ich war sehr müde und wollte gerne jede Nacht 8 Stunden schlafen. Das ging nicht. Die Schüler waren ehemalige Narkomanen und Diebe. Meine Arbeit war, für sie Chauffeur zu sein und mich um den Abendunterricht in Zeichnen usw. anzunehmen. Bo war Leiter der Schule. Er war der Geliebte von Lena von der Leitung der Kleinschulen. Er hatte alle die richtigen Meinungen. Meine Schüler sagten, daß er immer den Wagen anhielt und mitten draußen auf dem Rømø-Damm heimlich rauchte.

Als ich etwa einen Monat an der Schule gewesen war, bezahlte ich eines Tages Taschengeld an einen Schüler aus. Der Schüler riß aus, als die Gruppe auf Einkaufstour in Skærbæk war. Ich wurde von Bo vorgeladen und erfuhr, daß ich der Schule mehr zum Schaden als zum Nutzen gereichte. Dem betreffenden Schüler hätte kein eigenes Geld ausbezahlt werden dürfen. Ich hätte einen verantwortlichen Lehrer fragen sollen, bevor ich etwas unternahm. Es sei völlig unverantwortlich gewesen, was ich getan habe. Schüler könnten Fehler machen, aber es sei völlig unvergebbar, daß Lehrer Fehler machten. Das war eine durch und durch ungerechte Behauptung, die er aufstellte, aber nun war ich nicht mehr im Zweifel darüber, wo ich sein wollte.

Ich war völlig fertig mit Tvind und wollte nicht an einer Stelle sein, wo ich unerwünscht war. Ich wollte heim zu Vater und Mutter, dort könnte ich von Nutzen sein, und dort war ich erwünscht. Tvinds Geld schmiß ich in meinem Zimmer auf den Tisch. Ich wollte es nicht mit einer Feuerzange anrühren. Niemand sollte sagen, daß ich etwas gestohlen habe, was nicht mir gehörte. Diesmal ging ich am hellichten Tag. Niemand versuchte mich aufzuhalten. Ich fuhr per Anhalter heim.

Meine Eltern konnten nicht verstehen, warum ich kam. Sie hatten mich am Wochenende besucht, als scheinbar alles in Ordnung gewesen war. Aber ich war selbstverständlich willkommen.

Seite 164 (ab hier vollständige Übersetzung):

Das Leben nach Tvind

Verräterin!

Heute weiß ich, daß ich nur deshalb nach Tvind zurückgeholt und in die Schule nach Rømø gebracht worden war, um auf ordentliche Weise hinausgeworfen zu werden, so daß ich glauben konnte, es sei mein Fehler gewesen, der bewirkt hätte, daß ich aufhörte. Ich habe aber immer die Flucht aus den USA als den eigentlichen Zeitpunkt betrachtet, zum dem ich bei Tvind aufhörte. Ich habe vielen Menschen meine Geschichte erzählt, wie ich aufgehört habe. Die Absicht war übrigens, daß ich so verlegen über mich selbst sein sollte, daß ich in ein Mauseloch kriechen und mich schämen würde.

Die Leiter haben einen sehr entwickelten Sinn dafür, wenn ein Lehrer in einer Krise steckt und möglicherweise Tvind verlassen will, so daß sie zeitgerecht bei dem Betreffenden die Gehirnwäsche in Gang setzen können. Ich habe gehört, daß sich Amdi über die mangelnden Drohungen gegen Tvind von seiten ausgestiegener Lehrer verbreitete, die keine gesammelte Opposition bilden, und zwar gerade deshalb, weil die Leiter viel dazu tun, uns die Auffassung beizubringen, daß wir wegen Fehler und Mängel unserer eigenen Person aufhören und nicht, weil wir mit der Grundlage und Menschensicht Tvinds nicht übereinstimmen.

Als Aussteigerin bin ich eine Verräterin, die ihre Kameraden im Stich gelassen hat. Ich versagte bezüglich meiner Abkommen mit der Lehrergruppe. Ich war für die Arbeit, die mir anvertraut war, nicht gut genug. Ich paßte nicht. Es sind sehr persönliche Gründe, warum man aufhört, und für den einzelnen schwer zu durchschauen. Es ist eine widerliche Weise, einen Menschen zu behandeln, der viele Jahre hindurch auf den Schulen ein großes Stück Arbeit geleistet hat. Die Methode hat sich auch als effektiv erwiesen. Es gibt nicht viele ehemalige Tvind-Lehrer, die öffentlich aufgetreten sind und über ihre eigenen Erfahrungen berichtet haben!

Eine sehr harte Aufgabe

Ich sollte nun die Gesellschaft von Neuem kennenlernen. Welche Rechte hatte ich? Meine Cousine Marianne, eine ausgebildete Sozialberaterin, sagte es mir. Ich meldete mich beim Volksregister und bekam von der Gemeinde eine Unterstützung von 2800 Kronen ausbezahlt. Das war ein ganz überwältigender Betrag. Es bedurfte lange Zeit, bis ich lernte, Geld zu benützen, da ich so viele Jahre lang keines gehabt hatte. Bei der Untersuchung durch die Hebamme hörte ich zum ersten Mal das Herzgeräusch meines Kindes. Auf dem Heimweg weinte ich vor Rührung. Das Kind war mir so nah und sehr wirklich. Ich war ziemlich sicher, daß es ein Mädchen war.

Miene Schwester Eva war noch immer Mitglied der Lehrergruppe, aber sie meinte, es sei ganz in Ordnung, daß ich ausgestiegen war, damit ich mich meiner Mutter und all des anderen daheim annehmen konnte. Ich bereitete Essen zu, buk, verkaufte Weihnachtsbäume und schlief jeden Tag zu Mittag. Ich fuhr Mutter zur Chemotherapie, sprach mit Vater, strickte Kinderkleidung, sah fern, las Bücher, besuchte Verwandte und ging zur Geburtsvorbereitung. Ich rauchte 2-3 Zigaretten täglich und mußte dies nicht mehr heimlich tun. Ich rührte noch immer keine alkoholischen Getränke an. Bei Tvind hatte ich dies jahrelang nicht getan - es saß tief in meinem Inneren, daß man so etwas nicht tat.

Die Zeit verging schnell. Mutter waren alle Haare ausgefallen. Sie hatte Rückenschmerzen. Ich fuhr sie zur Physiotherapeutin. Sie hustete sehr und bekam einen Mundpilz. Sie haßte ihren verunstalteten Körper und den nackten Kopf, auch wenn wir ihr eine Perücke und Brusteinlagen kauften. Mutter war dies oft lästig, sie heulte und wußte nicht, was sie tun sollte. Ich strengte mich sehr an, sie bei guter Laune zu halten, Tag für Tag anzunehmen und das Beste daraus zu machen. Bei meinem Onkel Svend hatte man Lungenkrebs festgestellt, er starb 14 Tage später. Sie mußte lernen, die Tage zu benützen, die ihr noch zur Verfügung standen. Niemand von uns hat die Garantie, lange zu leben. Wir können morgen überfahren werden. Ich zeigte ihr nicht, daß auch ich nicht wußte, was ich tun sollte. Es war eine sehr harte Aufgabe, die auf mich zugekommen war.

Nächtliche Albträume

Lotte von den Kleinschulen rief im Dezember an und bot mir Arbeit an der Kleinschule auf Asserbohus an. Ich sagte, ich wolle in der Lehrergruppe eine Pause machen. Lotte sagte, ich solle sie bloß anrufen, wenn ich wieder anfangen wolle. Aber ich hatte überhaupt nicht die Absicht, wieder anzufangen.

Viele Nächte lang im folgenden Jahr hatte ich rückwärtsgewandte Albträume: Ich war wieder bei Tvind. Eine Menge Menschen machten mir Vorwürfe, daß ich nicht dafür gesorgt hatte, für sie Essen zuzubereiten. Im Traum fragte ich mich, wie ich denn zu Tvind zurückgekommen war? Wie war dies geschehen? Ich hatte ja aufgehört. Ich konnte mich nicht daran erinnern, aber im Traum begann ich sofort meine Flucht von Tvind weg zu planen. Dort wollte ich nicht sein!

Pläne für die Zukunft

Den Neujahrsabend 1984-85 brachte ich allein mit der Katze, meinen Gedanken, meinem ungeborenen Kind, einem guten Buch und dem Fernsehen zu. Meine Eltern waren mit einigen guten Freunden beisammen. Ich sollte im März gebären. Bis dahin sollte ich Kinderkleidung, Kinderwagen und Bett beschaffen. Wo sollten wir wohnen: Årslev, Odense? Wovon sollte ich leben. Sollte ich bis zum August in der EDV-Schule inskribieren? In diesem Fall kam es zu Studiendarlehen, Wiegenstube und einer Menge Mathematik. Nach der Geburt wollte ich wieder versuchen, Geir zu schreiben. Er konnte seinem Kind gegenüber nicht völlig gleichgültig sein. Ich mußte mich auch darum bemühen, geschieden zu werden, denn ich war ja immer noch mit Jan verheiratet. Das war noch ein ärgeres Durcheinander. Ich hatte wegen meiner Zeugnisse nach den USA geschrieben. Benna hatte sie und einen netten Brief mit Bildern der Schule geschickt. Ich vermißte meine Kameraden. Ich war ganz allein. Bei Tvind hatte es viele nette Lehrer gegeben. Nicht alle waren so prinzipientreu und viereckig wie Bo. Ellen rief an. Sie war auf Besuch in Dänemark. Es war schön, mit ihr zu reden. Sie war sich nicht klar darüber, daß ich Tvind verlassen hatte.

Wenn man erst einmal als Tvindlehrerin aufgehört hat, dann ist man für alle Kameraden tot, die man jahrelang hatte. Ich konnte nicht mit Hilfe von all den Menschen rechnen, mit denen ich in den vielen letzten Jahren zusammengearbeitet hatte. Für diese existierte ich nicht mehr. Alles mußte ich von Grund auf neu aufbauen: Freundeskreis, Besitz, Ausbildung, Arbeit, Wohnung, Kenntnisse darüber, was in den vielen Jahren in der Welt geschehen war, in denen ich mich außerhalb der Gesellschaft befunden hatte. Das war schwierig zu überblicken!

Mary

Am 20. März kam Mary Bjerring Rasmussen im Krankenhaus Odense zur Welt, und meine ganze Welt wurde eine andere. Von diesem Zeitpunkt an war sie die wichtigste Person in meinem Leben. Sie war 49 cm groß und wog 3,8 kg. Sie wurde durch einen Kaiserschnitt geboren und sie war ein hübsches kleines Mädchen mit dunklem Haar. Meine Schwester Anette war bei der Geburt dabei. Mutter und Vater waren stolz, endlich Großmutter und Großvater geworden zu sein.

Mit Mutters Gesundheit ging es schnell bergab, daher feierten wir Mary's wöchentliche Geburtstage mit Torten. Ich schrieb wegen Mary nochmals an Geir, und da ich nichts hörte, leitete ich ein Vaterschaftsverfahren ein.

Als Mary zwei Monate alt war, starb Mutter. Am Tag davor hatte sie gewünscht, die Tulpen am Arbeitsplatz meines Vaters, der staatlichen Versuchsstation, zu sehen. Wir brachten sie zum Auto hinaus und fuhren sie hin. Als wir heimkamen, fragte Mutter, wohin wir weggehen wollten. Daher war uns klar, daß es nicht gut um sie stand. Meine zwei Schwestern kamen heim. Mutter haßte Krankenhäuser und wir wollten sie daheim sterben lassen. Am nächsten Morgen, dem 27. Mai 1985, hörte sie zu atmen auf.

Einerseits waren wir darauf vorbereitet gewesen, daß Mutter die Krankheit nicht besiegen würde, daher kam es nicht wie ein Schock über uns, aber zwei Tage nach Mutters Tod verirrte sich Vater in unserem Wald. Er war sehr verwirrt, als man ihn fand. Der Arzt meinte, die Ursache sein der Schock über Mutters Tod.

Während des Begräbnisses mußten zwei von uns ihn stützen. Zum Kaffee nach dem Begräbnis hielt er eine Rede und blieb immer wieder stecken. Es war sehr schlimm, dies zu hören. Wir wurden an einen Spezialisten verwiesen, der herausfand, daß Vater eine Gehirnblutung erlitten hatte. Nach der Operation war das Sehvermögen beeinträchtigt und sein Zahlempfinden gestört. Er konnte seine Arbeit als Versuchsleiter nicht fortsetzen.

1986 erlitt Vater wieder eine Gehirnblutung, die nicht operiert werden konnte. Er war 3 Monate im Krankenhaus, bevor er wieder heimkehren konnte. Vater wurde nie mehr so wie früher und seitdem ging es mit ihm bergab.

Als Mary zwei Blutproben beim Kreisarzt hinter sich hatte und 1 1/2 Jahre alt geworden war, erfuhren wir, daß Geir die Vaterschaft anerkannt hatte, aber sonst hörten wir nichts von ihm. Ich begann mit einem Korrespondenzkurs in Englisch und Spanisch an der Universität in Odense und Mary kam in eine Tagespflege. Es war reiner Luxus für mich, wieder zu lernen. Ich sollte mich nur auf mich konzentrieren, um selbst etwas zu lernen - nicht, damit alle anderen etwas vom Unterricht hatten.

Scheidung

Einmal rief Grethe Flintegaard von Tvinds Leitungsgruppe an. Sie fragte, ob ich mir vorstellen könnte, geschieden zu werden. Ich hatte mehrmals daran als ein Problem gedacht, wenn ich jemanden kennenlernen sollte, in den ich mich verliebte, aber ich hatte nicht überblicken können, wie ich aus der "Ehe" aussteigen hätte können. Nun kam ich zu einem Treffen im Standesamt wegen Scheidung. Ich sagte, dies sei eine Proforma-Ehe gewesen, ich sei untreu gewesen und hätte sogar ein Kind mit einem anderen Mann. Dafür habe ich Beweise. Aber der Sachbearbeiter sagte, meine Untreue sei verjährt!

Grethe brachte Jan Bjørke dazu, zu unterschreiben, daß er mir untreu gewesen sei. Da wir keinen gemeinsamen Besitz und keine gemeinsamen Kinder hatte, waren wir dadurch geschieden. Damit war ich auch von Tvind völlig frei.

Mary's Familie

Als Mary fast zwei Jahre alt war, kam Geir eines Tages auf Besuch. Er hatte nun Tvind verlassen und wollte sich in Nordnorwegen niederlassen, wo seine Mutter wohnte und woher auch er stammte. Er berichtete, daß auch Erik und Jannie nicht mehr in der Lehrergruppe waren. Sie hatten Tvind verlassen und waren in den USA geblieben, wo sie dabei waren, ihre eigene Schule in Texas zu errichten. Die Schule in Virginia existierte nicht mehr. Sie war von den Behörden geschlossen worden.

In Norwegen spricht man nicht vom Recht der Eltern auf ein Kind, sondern vom Recht des Kindes, sowohl eine Mutter als auch einen Vater zu haben. Ich bin damit ganz einig. Nach und nach haben Mary und Geir auch guten Kontakt gefunden. Er lebt mit Ingunn zusammen. Ihr jüngster Sohn, Jørgen, ist im gleichen Alter wie Mary. Seitdem Mary 6 Jahre alt ist, flog sie mehrmals jährlich zu Besuch zu ihrem Vater. Wir bezahlen abwechselnd die Reise. Etwa 15 km außerhalb von Mo-i-Rana haben sie einen Hof mit einem großen Erdbeerfeld gekauft. Sie haben Schafe, Hühner, einen Hund, eine Katze und wohnen unglaublich schön mit Aussicht auf Berge und Fjord.

Mary hält sehr viel von den Sommern in Norwegen. Sie spricht fließend Nordnorwegisch, das sie sich selbst beigebracht hat, weil ihr guter Spielkamerad Jørgen nicht dänisch versteht. In der ersten Zeit nach Tvind hoffte ich, daß Geir kommen und mit uns zusammen wohnen würde, aber nun hoffe ich, daß er mit Ingunn zusammenbleiben wird, die ein unglaublich netter und eigenartiger Mensch ist. Es funktioniert gut, eine Familie in Dänemark und eine in Norwegen zu haben.

Meine Schwester verließ Tvind im Herbst 1985. 1988 heiratete sie und hat nun zwei Kinder. In den Jahren nach Tvind haben wir viel miteinander über unsere Erlebnisse gesprochen - es war gut, jemanden zu haben, mit dem man reden konnte und der etwas Ähnliches durchgemacht hatte wie ich.

Seit 1987 haben wir im Familienkollektiv mit meinem Vater, meiner Schwester Anette, ihrem Mann und deren zwei Kindern gewohnt. Mary hat jemanden, mit dem sie spielen kann, und ich hatte große Freiheit, in die Stadt zu gehen. Wir haben jeder unsere Abteilung und können die Türe schließen, wenn wir meinen, allein sein zu müssen. Rein praktisch war es seltsam, daß man nur einige Tage wöchentlich Essen zubereiten mußte.

Arbeitslosigkeit

Als ich 1989 die Ausbildung als Englisch- und Spanischkorrespondentin mit sehr guter Benotung abschloß, gab es in Dänemark große und zunehmende Arbeitslosigkeit, und es war sehr schwer, eine feste Arbeit zu bekommen, wenn man nicht die richtigen Verbindungen hatte. Diese hatte ich nicht. Wirtschaftlich kam ich leicht über die Runden, und ich mußte alle Zeit für mich selbst zur Verfügung haben.

Ich begann in der Volksmusikabteilung Fynboere, wo man sich mindestens einmal wöchentlich zu dänischer Spielmannsmusik trifft. Hier lernte ich eine Menge verschiedener netter Menschen kennen. Ich lernte tanzen, Bier zu trinken und Kleider und Röcke anzuziehen. In der Verwaltung der Volksmusikabteilung und in der Elternvereinigung des Kindergartens meiner Tochter benützte ich meine organisatorischen Fähigkeiten. Ich war Abendschullehrerin in Englisch und unterrichtete Spanisch im EFG.

Mehrmals sah ich Tvinds Agitationsbus vor der Arbeitsvermittlung in der Dannebrogsgate in Odense stehen. Ich kümmerte mich nicht darum, jemandem von Tvind zu begegnen, aber einmal versuchte ein junger eifriger Agitator, mich in den Bus hineinzulocken, damit ich Näheres über ein unglaublich spannendes Projekt für Arbeitslose in Afrika hören könne. Nein danke - nie wieder Tvind!

1992 kam ich als Langzeitarbeitslose zum Gerichtshaus in Odense. Daß ich im Gerichtshaus angestellt werden konnte, war gewissermaßen der endgültige Beweis dafür, daß Amdi uns zum besten gehalten hatte. Ein registrierter Revolutionär würde vom Justizministerium nicht angestellt werden, wo man sogar vom Reinigungspersonal einen sauberen Strafregisterauszug verlangt.

Vom ersten Tag an war ich im Gericht dabei, Berichte darüber zu schreiben, was in den einzelnen Verfahren geschah. Es war eine unglaublich spannende Arbeit, wo ich alle Aspekte der Gesellschaft kennen lernte.

Vom September 1993 bis zum Dezember 1994 hatte ich wieder das Glück, im Gerichtshaus Arbeit zu finden. Diesmal als Vertretung wegen der großen Zahl amtlicher Eintragungen. In einer Frühstückspause im Gerichtshaus kam die Frage auf, wie man erwachsene Menschen manipuliert, ein sicheres Dasein zu verlassen und in einem Scheuerwagen zu wohnen, während die Leiter in Saus und Braus lebten. Diese Frage brachte mich dazu, dieses Buch zu schreiben.

Gedanken über Tvind

In den Jahren nach Tvind hatte ich sehr gut Zeit zum Nachdenken darüber, bei was ich dabeigewesen war. Ich habe versucht zu verstehen, was dort vor sich ging. Damals wurde ich von Tvind angezogen, weil dort etwas geschah, das anders war. Sie sprachen nicht nur davon, die Gesellschaft zu ändern, sondern sie richteten etwas aus. Sie bauten eine riesengroße Windmühle, denn sie setzten sich für alternative Energien ein und waren gegen Atomenergie. Sie veranstalteten reisende Schulen, damit viele Menschen in die Welt hinauskämen, die in der dritten Welt sehr deutlichen Ungerechtigkeiten erlebten, heimkommen und wünschen könnten, etwas zu tun.

Bei Tvind wurden alle Kräfte gebraucht. Lange bevor eine Aufgabe gelöst war, gab es schon große Pläne für die nächsten Projekte. Es gab Arbeit für alle - wir waren nie genug Leute. Bei Tvind hatten wir auf eine Art das Licht gesehen. Alle Linksparteien redeten nur und taten nichts. Wir waren viel revolutionärer. Das verstanden sie nur nicht. Mit Freude begab ich mich damals in die Gemeinschaft hinein und gab meine persönliche Freiheit auf, um ein konkretes Stück Arbeit zu tun.

Die Jahre bei Tvind vergingen schnell. Ich fühlte meistens, daß ich gemeinsam mit den anderen Lehrern und Schülern bei einer notwendigen Arbeit beschäftigt war. Daß jemand da war, der mich brauchte. Es war eine schöne Zeit, sich selbst 100%-ig herzugeben, die Gemeinschaft zu erleben und die Projekte erfolgreich sein zu sehen. Mogens Amdi Petersen war sehr tüchtig, bei den Tvindversammlungen die politischen Linien für uns vorzugeben, damit uns das Ziel klar vor Augen stand. Auch wenn meine konkrete Arbeit nicht immer spannend war, war ich ein Teil eines größeren Ganzen, eines politischen Kampfes. Alle Arbeit war per Definition gleich wichtig - gleich revolutionär. Wir arbeiteten für eine wichtige Sache - für die Schaffung einer besseren Gesellschaft für alle Menschen in der Welt. Die Sache war wichtiger als der einzelne Mensch. Durch die Jahre hindurch konnte ich auf viele Weisen meine Grenzen erproben.

Wenn ich bei Tvind mitten in der Arbeit steckte, war es unmöglich, zum Nachdenken darüber Zeit zu finden, womit ich mich eigentlich beschäftigte. Es gab die ganze Zeit über praktische Aufgaben, die sich aufdrängten. Schüler, die ausrissen, oder Bauarbeiten, die ausgeführt werden sollten. Die Ziele sollten erreicht werden.

Die gewöhnlichen Lehrer waren Idealisten, die sich mit aller Kraft bemühten, ihre Arbeit so gut wie überhaupt möglich zu machen. Immer waren wir in Situationen gestellt, die alle unsere Kräfte beanspruchten. Wir taten unser Bestes und waren gegenüber den Schülern / der Aufgabe / den Kameraden / der Gemeinschaft pflichterfüllend. Es gab keine Pause zum Nachdenken. Nach einigen Jahren bei Tvind verloren die meisten Lehrer den Kontakt mit alten Freunden aus der Zeit vor Tvind. Sie lebten in einer ganz anderen Welt mit anderen Werten.

Bei Tvind zu sein kann man mit dem Fahren in einem Karussell vergleichen, bei dem die Tiere, auf denen man sitzt, sich schnell herum- und untereinander bewegen. Es gibt immer die Gefahr des Zusammenstoßes. Das Karussell dreht sich so schnell, daß man die Umgebung nicht sehen kann. Das Licht an der Decke wechselt zwischen gelb, grün, blau und rot. Die Geschwindigkeit ist sehr hoch. Plötzlich wirst du abgeworfen und liegst am Boden. Es dauert lange, nachher wieder zu sich zu kommen. Ich habe so vieles so intensiv erlebt, daß es viele Jahre benötigt, es zu verdauen und zu durchschauen.

Tvinds Ökonomie

Unsere Ökonomie beruhte darauf, daß die Lehrergruppe eine gemeinsame Ökonomie hatte. Auf diese Weise konnten wir über viel größere Beträge verfügen. Geld erzeugt bekanntlich Geld. Wenn wir einen Besitz gekauft hatten, konnte dieser belehnt werden, und dadurch wurde Kapital frei, das wieder investiert werden konnte. Die Gehälter der Lehrer stammten aus den unzähligen Saugrohren, die tief u.a. in den Kassen der Gemeinden, des Staats und der EU plaziert waren. Die Angehörigen von UFF waren Mitglieder der Arbeitslosenkasse. Wenn sie das Recht für Tagegeld verdient hatten, sorgten sie dafür, daß sie gefeuert wurden und daher Tagegeld beziehen konnten, das selbstverständlich hauptsächlich an die gemeinsame Kasse der Lehrer ging.

Amdi hatte einen Lehrsatz, der darauf hinausging, daß wir nicht Geld für etwas verwenden sollten, das mehr als 10 oder weniger als 10.000 Kronen kostete. Das sei nur Geldverschwendung. Es galt darum, äußerst sparsam zu leben, damit wird das Geld dazu benützen konnten, mehr Schulen zu gründen. Es war wie ein Schneeball, der einen Abhang hinunterrollte. Jedesmal wenn eine Hochschulgruppe oder eine Gruppe vom Notwendigen Seminar abschloß, kamen neue Mitglieder in die Lehrergruppe. Neue Projekte wurden begonnen. Die Schulen wuchsen und wuchsen. Amdi hatte ein Meer von Ideen, Geld und Lehrer, um sie zu verwirklichen.

Meine Schwester Eva war eine der vielen Lehrer, die unterschrieben, daß sie die nächsten 12 Jahre 80% ihres Einkommens an die gemeinsame Kasse bei Tvind abliefern wollten. In den USA wurden wir nicht gebeten, dies zu tun. Wohl deshalb, weil wir der amerikanischen Steuergesetzgebung unterstanden, die Poul Jørgensen nicht so grundlegend kannte wie die dänische.

Wenn man mich gefragt hätte, hätte ich selbstverständlich unterschrieben. Jahre nachdem meine Schwester [bei Tvind] aufgehört hatte, erhielt sie mehrere Briefe, in denen man sie fragte, wieviel sie verdiene, und man 80% davon forderte. Sie beantwortete die Briefe nie, aber es gab Gerichtsverfahren gegen andere Abtrünnige, die nicht bezahlen wollten, und Tvind verlor!

Großpolitik

Da wir keine Zeitungen lasen, machten Artikel und Hetze gegen Tvind keinen Eindruck. Es waren nur unsere Feinde, die sich darin äußerten, und Amdi zufolge bedeutete ihre Kritik eine Anerkennung unserer revolutionären Arbeit. Bei den Tvindversammlungen analysierte Amdi die Weltlage und zog daraus klare Konsequenzen für unsere Arbeit. Den Kampf gegen die Atomwaffen unterstützten wir durch die Organisation "Dänemark gegen Krieg" und nicht durch persönliches Auftreten bei Friedensdemonstrationen, da dies möglicherweise die Schulen als sozialistisch abstempeln und ihnen damit in den Augen der Behörden schaden konnte. Dies könnte wiederum für die ökonomische Unterstützung Bedeutung haben.

Wir fühlten, daß wir in der Großpolitik mit dabei waren, wenn wir beschlossen, die revolutionären Kräfte in Rhodesien und Südafrika durch UFF zu unterstützen. Bei Versammlungen faßten wir Beschlüsse, das eines zu kaufen oder etwas anderes zu unterstützen, aber heute weiß ich, daß die Beschlüsse längst zuerst durch die Gruppe um Amdi und darauf durch ein Forum der Leiter aller Schulen gefaßt worden waren. Es wurde dem einfachen Lehrer vorgegaukelt, daß er an den Beschlüssen über neue Projekte beteiligt sei und daß wir alle gleich seien.

Ich stellte zu keinem Zeitpunkt Amdis Analysen der Weltlage und besonders der Lage in Dänemark oder seine Strategie für die Schulen und, welche Themen in die Debatten bei den Lehrertreffen einbezogen werden sollten, in Frage. Er war die Autorität. Wir vertrauten darauf, daß er unsere Feinde kannte und wußte, welche Strategie wir wählen sollten. Seine Macht über uns war ungeheuer groß und seine Ideen waren genial. Die wenigen, die zweifelten, verschwanden schnell aus der Lehrergruppe, deshalb gab es nicht sehr viele Diskussionen über die verschiedenen zu beschließenden Vorschläge, die unter euphorischem Jubel und viel Applaus bei unseren Versammlungen angenommen wurden.

Das Ziel der Leitungsgruppe

Selbstverständlich gab es für die Leiter Privilegien. Sie konnten sich Zeit nehmen, sich zu erholen und in angenehmer Umgebung wie Bali oder der Schweiz neue Ideen zu entwickeln. Sie hatten Zeit, ein Instrument spielen zu lernen, Bilder zu malen und gute Bücher zu lesen. Sie konnten Paare bilden und Amdis / der gemeinsamen Versammlung Erlaubnis erhalten, Kinder zu bekommen. Während ich Lehrerin bei Tvind war, war Abort für die meisten gewöhnlichen Lehrerinnen Pflicht, wenn es schief ging und rechtzeitig entdeckt wurde. Die Schulleitungen fuhren in großen sicheren Autos, während wir anderen per Anhalter fahren mußten, ausgenommen in den USA, wo wir beschlossen hatten, dies nicht zu tun.

Aber für die Leiter bei Tvind war das "in Saus und Braus Leben" nicht das Wichtigste, sondern ihre politische Macht. Die Macht, die Entwicklung der Gesellschaft zu beeinflussen. Die kolossale Anhäufung von Werten, über welche die Leitung verfügte, bedeute, daß sie große wirtschaftliche und politische Macht haben, Amdis Ideen durchzuführen.

Die Ökonomie hörte 1979 aus Sicherheitsgründen auf, ein gemeinsames Anliegen zu sein. Die Leitung benützte das Argument, die Größe der Lehrergruppe vermehre das Risiko für die Anwesenheit von Agenten verschiedener Nachrichtendienste. Das Wissen über unsere Ökonomie, über alle Besitzungen und Schiffe dürfe denen nicht in die Hände fallen. Wer von uns war Agent? Auf wen konnten wir uns vollständig verlassen? Ganz konnten wir nur der Leitungsgruppe vertrauen.

Die Leitung bestimmte auch die endgültige Verteilung der Lehrer, wo jeder einzelne arbeiten sollte. Nur sie konnte ja die zweckmäßigste Plazierung mit Hinsicht auf die Entwicklung der Schulen und der politischen Verhältnisse beurteilen, nur sie hatten den vollen Überblick. Der einzelne Mensch wurde zu einem Steinchen in dem großen Machtspiel, in dem Amdi der Regisseur war.

Nach dem Gerichtsverfahren um die Blekingegade-Gruppe, die zur Unterstützung des Kampfes des palästinensischen Volkes u.a. Morde und Banküberfälle beging, sprachen Eva und ich darüber, daß wir ebenso gut in dieser Situation gelandet sein konnten. Wenn wir von Amdi aufgefordert worden wären, etwas Ähnliches zu tun, glauben wir nicht, daß wir uns geweigert hätten. Wir setzen uns voll für die Sache ein und stellten nichts in Frage. Tvind unterstützte ja die Freiheitskämpfer in Rhodesien, die mit den Waffen in der Hand gegen Ian Smiths und sein Regime kämpften. Nicht nur alte Kleider und Keks wurden hingeschickt, sondern auch Geld, das dazu verwendet werden konnte, die notwendige Munition zu kaufen.

Amdi hatte gute Kontakte innerhalb der Sozialdemokratie und nahm in den Siebzigern an den sogenannten Kaffeeklubs mit progressiven Sozialisten teil, wo die politischen Themen der Zeit erörtert wurden. Er war einmal Mitglied eines staatlichen Ausschusses gewesen. Tvind wurde als progressives Experiment innerhalb der Schulwelt angesehen.

Einige rechtsstehende Politiker, Beamte und Gewerbetreibende waren Eltern von Tvindlehrern. Ein Rekrutierungsgrund war, daß die Eltern wohl ihre Hand über Tvind halten würden, z.B. war Allan, ein Sohn des konservativen Finanzministers Isi Foighel, Mitglied der Lehrergruppe. Amdi sagte oft, die Schwarzen (also die Reaktionären) würden Christiania einnehmen, bevor sie an Tvind rühren. Im Augenblick deutet nicht viel darauf hin, daß Christiania geschlossen würde und nicht viel eher Tvind.

Ich zweifle etwas daran, ob eine Untersuchung der Ökonomie der Tvindschulen irgend eine grundlegende Form von Schwindel mit staatlichen Mitteln offenlegen würde. Nicht auf diese Weise wurde Tvind groß und mächtig, sondern im Gegenteil dadurch, daß es sich genau an alle Regeln hielt, so daß die Zuschüsse hereinströmen konnten. Die Schulen folgten der Gesetzgebung für Frei-, Hoch- und weiterbildende Schulen. In diesen gab es ganz klare Bedingungen, die wir erfüllen sollten, damit wir zugelassen würden und Schüler und damit Zuschüsse von Staat und Gemeinden bekommen konnten. Die Leitung war sorgfältig darum bemüht, daß alle Bedingungen erfüllt würden, damit die ökonomischen Zuschüsse für die Schulen aufrecht erhalten werden konnten.

Wenn die Bedingungen geändert würden, würde Tvind blitzschnell die Schulen umorganisieren, so daß sie weiterhin Zuschüsse erhalten konnten. Das ist kein Problem. Die Leitungsgruppe beherrscht ihre Arbeit! Es bedarf einiger Leute, die noch tüchtiger sind, um alle Zuschüsse für Tvind zu stoppen!

Mao und Tvind

Wenn man versuchen soll zu verstehen, was bei Tvind geschieht, dann ist es, wie ich herausgefunden habe, nützlich, Maos Schriften zu studieren. Hier liegt der Schlüssel, um Amdis Denk- und Handlungsweise zu verstehen. Die ursprüngliche Lehrergruppe studierte Mao und fand die Methoden und Strategien für den Kampf in Dänemark. Sie betrachteten sich selbst als Kern der wahren kommunistischen Partei, die der Sache des Volkes diente.

Zu Beginn gab es eine Gruppe von Lehrern, die sich "Tjen Folket" ["Diene dem Volk"] nannte, und in der ersten Hochschulgruppe hießen die Lehrer "Veteranen" mit deutlicher Inspiration von Maos China! Später kamen die "bloßfüßigen Ärzte" dazu, eine Hochschulgruppe, die mit UFF in das südliche Afrika zog, um die Eingeborenen eine bessere Hygiene zu lehren. Meine Schwester berichtete, daß 1985 alle Lehrer ein Exemplar von Maos kleinem roten Buch bekamen. Sie sollten es sorgfältig studieren, um neue Waffen für den weiteren Kampf zu finden.

Amdis Theorien über den Weg zum Sozialismus bauen u.a. auf folgenden Zitaten des Vorsitzenden Mao aus "Schriften und Gedichte. Mao Tse-Tungs Denken. Ausgewählt und kommentiert von Jan Bredsdorff" auf:

"Eine Revolution ist keine Mittagsgesellschaft oder das Schreiben eines Essays, das Malen eines Bildes oder Stickerei; sie kann nicht so verfeinert, so friedlich und mild, so beherrscht, freundlich, artig, moderat und hochgesinnnt sein. Eine Revolution ist eine Erhebung, eine Gewalttat, in der die eine Klasse die andere stürzt."

Bei der allerersten Tvindversammlung, an der ich teilnahm, wurde auf dieses Zitat Bezug genommen, als Torben Søe der Versammlung erklärte, er sei stolz darauf, in Tvinds Lehrergruppe zu sein. Von vielen Seiten wurde er verbal überfallen. Die Meinung war eindeutig: Das war die dreckige Revolution, in der wir nun dabei waren, und kein Nähklub.

Amdi Petersen und die meisten seiner mitverschworenen Revolutionäre waren nicht alle Arbeiter, weitaus die meisten kamen aus der Mittel- und Oberklasse. Mao sagte:

"Alle unsere Kader, ohne Rücksicht auf Rang, sind des Volkes Diener, und was wir auch tun, soll dem Volk dienen" und "Das Heer muß mit dem Volke eins werden, so daß sie es als ihr eigenen Heer ansehen. Ein solches Heer wird unüberwindlich sein" "Alle unsere Offiziere und kämpfenden Männer müssen sich immer daran erinnern, daß wir das große Befreiungsheer des Volkes sind."

Amdi Petersen zog den Schluß, daß er und die übrigen verschworenen Anhänger einer Revolution in Dänemark die Interessen des Volkes/des Proletariates repräsentierten und daß sie in dem ideologischen Kampf die Anführer sein sollten. Dies ist die eigentliche Grundlage für Tvind.

"Im ideologischen Bereich ist die Frage, wer im Kampf zwischen dem Proletariat und der Bürgerschaft gewinnen wird, noch nicht entschieden. Wir müssen ständig den Krieg gegen die bürgerliche und kleinbürgerliche Ideologie weiterführen. Es ist falsch, dies nicht zu verstehen und den ideologischen Kampf aufzugeben. Alle falschen Ideen, alles giftige Unkraut, alle Spuks und Ungeheuer müssen der Kritik unterworfen werden; unter keinen Umständen dürfen sie ungehindert sprechen. (12. März 1957)"

Auf den Schulen in Dänemark wird der ideologische Kampf gegen die Ideen der Bürgerschaft vor allem bei den gemeinsamen Versammlungen ausgetragen, bei denen die kollektive Erziehung stattfindet, während Tvind durch UFF im südlichen Teil Afrikas den bewaffneten und ideologischen Kampf für den Sozialismus unterstützte.

"Änderungen in der Gesellschaft werden hauptsächlich durch die Entwicklung interner Gegensätze in der Gesellschaft hervorgerufen, da heißt durch Gegensätze zwischen den produktiven Mächten und den Produktionsverhältnissen, Gegensätze zwischen Klassen und Gegensätze zwischen dem Alten und dem Neuen; die Entwicklung dieser Gegensätze schiebt die Gesellschaft voran und bietet den Anreiz, die alte Gesellschaft durch die neue zu verdrängen. (August 1937)."

Dies ist die Erklärung dafür, warum Konflikte für Tvind so wesentlich sind. Die Gegensätze zwischen alten und neuen Denk- und Handlungsweisen sollen verschärft werden. Durch die Konflikte soll das Volk (sollen die Schüler - die Lehrer) einsehen, daß es richtig ist, die Welt zu ändern.

Über das Verhältnis zwischen Theorie und Praxis, ein bei Tvind wohlbekannter Begriff, sagt Mao:

"Wir müssen zu den Massen gehen und von ihnen lernen, ihre Erfahrungen zu besser artikulierten Prinzipien und Methoden synthetisieren, darauf Propaganda unter den Massen verbreiten und sie auffordern, diese Methoden und Prinzipien in die Praxis umzusetzen, um dadurch ihre Probleme zu lösen und ihnen zu helfen, Befreiung und Glück zu erlangen. (29. November 1949)"

Geh nun im Buch zurück und lies nochmals Amdis pädagogische Prinzipien!

Die Definition eines guten Kameraden lautet:

"Was ist Arbeit? Arbeit ist Kampf. Es gibt dort Schwierigkeiten und Probleme, die wir überwinden und lösen müssen. Wir sind dazu da, um zu arbeiten und zu kämpfen, um diese Schwierigkeiten zu überwinden. Ein guter Kamerad ist einer, der eifriger danach aus ist, dorthin zu gehen, wo die Schwierigkeiten größer sind. (17. Oktober 1945)"

Ein schlechter Kamerad wird bei den gemeinsamen Versammlungen von den betreibenden Lehrern gnadenlos kritisiert. Oft wunderte ich mich darüber, woher sie ihre scharfen Haltungen bezogen. Aber es ist klar, daß die theoretische Grundlage ihrer Kritik die folgende war:

"Aus Rücksicht auf Frieden und Freundschaft es hinzunehmen, wenn jemand deutlich einen Fehler gemacht hat, und sich prinzipieller Argumentation zu enthalten, weil er ein alter Bekannter, Mitbürger, Schulkamerad, enger Freund, Geliebter, ein alter Kollege oder ein alter Untergebener ist. Oder die Angelegenheit flüchtig zu berühren, statt damit in die Tiefe zu gehen, um das guten Verhältnis nicht zu stören. Das Ergebnis ist ein Schaden sowohl für die Organisation als auch für den Einzelnen. Das ist eine Art von Liberalismus.

An verantwortungsloser Kritik privat teilzunehmen, statt seinen Vorschlag der Organisation mitzuteilen. Sich dem Volk gegenüber stumm zu verhalten, aber hinter ihrem Rücken zu klatschen, oder sich bei einer Versammlung stumm zu verhalten, aber nachher zu klatschen. Den Prinzipien des kollektiven Lebens keine Rücksicht zu erweisen, aber seinen eigenen Neigungen zu folgen. Das ist eine zweite Art.

Dinge hinzunehmen, die einen nicht persönlich berühren; so wenig wie möglich zu sagen, während man sehr gut weiß, worum es ging, und weltklug zu sein und sich auf der sicheren Seite zu halten und nur danach zu streben, Vorwürfe zu vermeiden. Das ist eine dritte Art.

Nicht den Befehlen zu gehorchen, sondern seinen eigenen Meinungen den ersten Platz einzuräumen. Von der Organisation besondere Rücksicht zu verlangen, aber deren Disziplin abzulehnen. Das ist eine vierte Art.

An persönlichen Angriffen teilnehmen, Streit beginnen, persönlichen Haß zulassen oder nach Rache suchen, statt sich auf eine Argumentation einzulassen und um der Einheit oder des Fortschritts willen mit inkorrekten Ansichten zu kämpfen oder die Arbeit ordentlich zu erledigen. Dies ist eine fünfte Art.

Inkorrekte Ansichten hören, ohne sie zurückzuweisen, und sogar konterrevolutionäre Bemerkungen hören, ohne darüber zu berichten, sondern statt dessen es ruhig ertragen, so als ob nichts geschehen wäre. Das ist eine sechste Art.

Sich unter den Massen befinden, ohne Propaganda und Agitation zu betreiben, oder bei Versammlungen sprechen oder Untersuchungen oder Nachforschungen bei ihnen vornehmen, vergessen, daß man Kommunist ist, und sich so aufführen, als wäre man ein gewöhnlicher Nichtkommunist. Das ist eine siebente Art.

Jemanden sehen, der den Interessen der Massen schadet und sich doch nicht entrüstet fühlen oder versuchen, ihn davon abzubringen oder ihn aufzuhalten oder mit ihm zu diskutieren, sondern ihn weitertun lassen. Das ist eine achte Art.

Mit lauer Begeisterung ohne bestimmten Plan und bestimmtes Ziel arbeiten; nachlässig arbeiten und sich gleichsam hindurchschleppen - "Solange man Mönch ist, muß man dabei bleiben, die Glocke zu läuten". Das ist eine neunte Art.

Sich selbst für jemanden halten, der der Revolution große Dienste geleistet hat, so tun, als wäre man Veteran, kleinere Aufgaben verachten, während man außerstande ist, die großen zu vollführen, bei der Arbeit nachlässig und im Studium schlapp sein. Das ist eine zehnte Art.

Sich über seine eigenen Fehler klar sein und doch nicht versuchen, sie zu korrigieren, eine liberale Haltung gegenüber sich selbst einnehmen. Das ist eine elfte Art. (7. September 1937)"

Wir sollten uns nicht um die Angriffe der Medien auf die Schulen kümmern. Für Amdi und Mao bedeuteten die Angriffe eine Anerkennung des revolutionären Inhalts der Schulen:

"Ich möchte behaupten, daß es schlecht ist, soweit es uns betrifft, wenn eine Person, eine politische Partei, ein Heer oder eine Schule nicht vom Feind angegriffen wird, denn in diesem Fall würde dies bedeuten, daß wir auf das Niveau des Feindes herabgesunken sind. Es ist gut, wenn wir vom Feind angegriffen werden, weil das beweist, daß wir zwischen dem Feind und uns selbst eine Demarkationslinie gezogen haben. Es ist noch besser, wenn der Feind uns wild angreift und uns völlig schwarz und ohne eine einzige Tugend sieht; dies zeigt, daß wir nicht nur eine klare Demarkationslinie zwischen dem Feind und uns selbst gezogen haben, sondern auch in unserer Arbeit eine Menge erreicht haben. (26. Mai 1939)"

Die Wirklichkeit, die Amdi für uns heraufbeschwörte, hielt uns fest. Wir waren bereits vom Nachrichtendienst als Revolutionäre registriert und würden von den Faschisten verfolgt werden, wenn sie die Macht in Dänemark übernahmen. Es war notwendig, gegen unsere Feinde, die reaktionären Kräfte, zusammenzustehen. Es gab niemanden in der Lehrergruppe, der bei den Versammlungen Amdis politische Analysen in Frage stellte, die ausschließlich dazu dienten, uns festzuhalten, und die die Notwendigkeit betonten, uns selbst 100%ig für die Sache einzusetzen. Da gab es keinen leichten Weg hinaus.

Konfliktscheu

Ein sehr wichtiges Prinzip bei Tvind war, daß im Kampf Entwicklung geschah. Der Kampf gegen die falschen Einstellungen kam in Konflikten zum Ausdruck. Die Leiter sollten Konflikte lieben. Konfliktscheu zu sein war das Schlimmste, wofür man beschuldigt werden konnte. Es war dasselbe wie reaktionär / liberal zu sein. Die Leiter sahen auf Lehrer herab, die sich nie in Konflikte einließen, sondern nur praktische Arbeiten verrichteten. Die sogenannten praktischen Schweine.

Heute kann ich sehen, daß ich ganz sicher der letzten Gruppe angehörte. Ich strebte nach Harmonie und nicht nach Konflikten. Ich ergriff bei Versammlungen nie das Wort und blieb immer im Hintergrund, um nicht in die Schußlinie zu kommen. Ich wollte Freundschaft mit den Schülern. Es war für mich wichtig, daß wir gemeinsam eine Menge erlebten. In Wirklichkeit paßte ich überhaupt nicht zu Tvind. Das entdeckte ich erst, als ich ausgestiegen war.

Ich blieb so lange bei Tvind, weil ich tüchtig darin war, Schlupfwinkel zu finden, wo es mir gut ging: Wenn ich physisch hart auf dem Bauplatz arbeitete, wenn ich mit Schülern auf einer Tour allein war, wenn ich nach entlaufenen Schülern suchte, wenn ich Nachbarn besuchte, wenn ich per Anhalter unterwegs war, dann war es unberechenbar, wie lange es dauern würde. Auch die Zeit in den USA unterlag nicht der Kontrolle der übrigen Lehrergruppe. Ich entging jahrelang Konflikten und hatte es solange gut. Die Male, wo der Projektor auf mich gerichtet wurde, strebte ich weg - entweder heim zu meinen Eltern oder zu einer neuen Arbeitsstätte.

Ich riß von den USA aus, weil meine Mutter sehr krank war und ich nicht zu ihr heim durfte. Es war hart, viereckig und unmenschlich, mir die Heimreise zu verweigern, wenn es deutlich war, daß ich gerade dies tun wollte und mußte. Ich hörte bei Tvind auf, weil ich mit meiner Mutter und mit meinem Kind zusammen leben wollte. Sie brauchten mich. Meine Familie war für mich wichtiger geworden als der Kampf für eine bessere Gesellschaft für alle anderen - nicht schöne Schlagworte der ganzen Welt und Träume von einer anderen Gesellschaft konnten mich zum Bleiben bewegen. Seitdem habe ich viel darüber nachgedacht, was eigentlich bei Tvind vor sich geht, und habe die Mosaiksteinchen nach und nach an ihren Platz gerückt.

Dänemark ist ein gutes Land

Manchmal wird mir die Frage gestellt, ob ich die Jahre bei Tvind bereue. Das tue ich nicht. Wozu sollte es auch nützen? Ich war meines alten Lebens müde und wollte etwas anderes. Das erreichte ich auch. Durch die Jahre bei Tvind habe ich viele verschiedene Situationen erlebt und viele Erfahrungen gewonnen, die heute bewirken, daß ich die dänische Gesellschaft sehr schätze. Ich habe meine Grenzen erprobt und weiß mehr darüber, was ich will und was ich nicht will.

Nach Tvind bin ich froh, ganz alltägliche Dinge tun zu können wie Einkaufen und frei zu bestimmen, was ich mit meinem Geld und mit meiner Zeit anfangen will. Heute bin ich auf der Hut vor jeder Art von Fanatismus - wir allein kennen die Wahrheit - und allzu schwarz/weißen Haltungen. Vor Leuten, die ein Patent auf die Wahrheit und auf die richtige Meinung haben, sollte man sehr auf der Hut sein. Es ist leicht, Leute mit Etiketten zu versehen und davon ausgehend zu urteilen. Es ist viel schwerer, zu konkreten Ideen Stellung zu beziehen, z.B. habe ich zu meinem eigenen Entsetzen mehrmals erlebt, daß ich mit dem Vorsitzenden der Venstre-Partei, Uffe Ellemann-Jensen, in der Frage, ob die USA Sadam Hussein von der Landkarte wegbombardiert haben sollte, und zuletzt in der Frage um die Berechtigung dafür, daß die Færøer die gerichtliche Untersuchung erhielten, die ihr eigenes Parlament beschlossen hatte, einig war.

Das Leben ist nun bunt

Alles war damals leichter, als Amdi uns erzählte, was wir meinen sollten. Die Welt war damals in die Guten und die Bösen aufgeteilt, man war entweder für oder gegen eine Sache, alles war entweder schwarz oder weiß. Nun ist Farbe in mein Leben gekommen. Es ist schwer, selbst Stellung zu beziehen, aber ich schätze nun die Freiheit, unser Recht, verschieden zu sein und verschiedene Meinungen zu haben.

Das Allerbeste, was ich von Tvind mitbekam, ist meine Tochter. Heute kann ich die Tvindlehrerinnen nicht verstehen, die ihre Kinder verließen - entweder beim Kinderkurs oder daheim beim Vater. Mit meinem Kind beisammen zu sein und seinen ersten Schritt zu erleben, gemeinsam Gute Nacht- und Aufstehgeschichten zu lesen, sie Phantasiegeschichten erzählen zu hören, gemeinsam die Rebild-Hügel zu erforschen, ins Kino zu gehen und einen englischen Film zu sehen, wo sie selbst die Texte lesen kann, oder mit 20 anderen gemeinsam in Munke Mose zu tanzen, sind Erlebnisse, die ich um keinen Preis vermissen möchte.

Das Leben ist viel reicher, als wir es bei Tvind erlebten, wo alles immer ein harter Kampf war, wo die Sache über den einzelnen Menschen gestellt wurde. Nur die Lehrer, die sich der Durchführung von Amdis Ideen ganz einordneten, blieben bei Tvind. Sie waren gute Parteisoldaten ohne den Drang, sich selbst emporzuheben. Die anderen wurden entweder hinausgefroren oder so sehr gedemütigt, daß sie weglaufen mußten, um ihre menschliche Würde und das Recht, anders zu sein, zu bewahren

Meine heutige Einstellung

Was ist also meine heutige Einstellung zu Tvind? Sie ist sehr gemischt. Ich weiß, daß dort viele spannende Dinge passieren und daß Tvind für einige Menschen der richtigste Ort ist, um dort eine Periode ihres Lebens zu verbringen.

Ich finde es unverzeihlich, daß Amdi uns in Bezug auf die politische Situation zum Narren hielt. Die Faschisten waren ja nicht dabei, die Macht in Dänemark zu übernehmen. Das Gespinst, das er um uns herum wob, hatte den Zweck, uns bei Tvind festzuhalten. Wir waren ganz in seiner Macht. Das war ein Zeichen dafür, daß er uns nicht für reif genug hielt, um selbst Situationsanalysen vorzunehmen und freiwillig bei der Arbeit für die Sache dabeizubleiben, sondern so zum Narren gehalten werden sollten. "Wir allein wissen". Diese Menschensicht mag ich nicht. Es ist gefährlich, wenn ein einzelner Mann so große Macht hat.

Ich verabscheue die Verherrlichung der konfliktliebenden Lehrer und die gemeinsame Erziehung auf großen Versammlungen, wo der Einzelne aus der heiligen Schar der Besserwissenden hinausgeekelt werden konnte. Der einzelne Mensch wurde zum Opfer, hingestellt als Reaktionär, so daß alle anderen sehen konnten, was geschah, wenn man sich gegen das stellte, was richtig war. Die Gegensätze zwischen alten und neuen Denk- und Handlungsweisen wurden künstlich von leitenden Lehren geschaffen.

Konflikte waren für den wahren Tvindlehrer wichtiger als gute Erlebnisse mit den Schülern. Nicht alle Konflikte wurden auf die Tagesordnung gesetzt, die Leiter bestimmten, welche relevant waren. Oft wurden Lehrer mit sehr viereckigen Einstellungen Schulleiter. Lehrer, die nicht selbständig denken konnten, sondern der Leitungsgruppe nachplapperten.

Auf Tvind sollten alle alles können: Ein Schiff steuern, einen Motor reparieren, eine Schar Krimineller leiten, Essen für 50 zubereiten, ein Instrument spielen, Budget und Abrechnung erstellen, einen Bus fahren - das ist falsch, denn alle Menschen sind verschieden und haben Begabungen in verschiedene Richtungen. Wir sind nicht alle gleich - glücklicherweise!

Verwerflich war auch, daß zwei Menschen nicht offen zeigen durften, daß sie einander liebten und die gegenseitige Gesellschaft bevorzugten, daß Liebe illegal wurde. Die Gemeinschaft hatte Anspruch auf die Zeit und die Kräfte aller.

Die Art und Weise, wie die Leitung Lehrer behandelt, für die sie keine Verwendung mehr hat, ist ebenfalls sehr kritikabel. Ich habe einige getroffen, die bei Tvind aufgehört hatten. Sie schlichen sich entlang der Hausmauern davon. Es dauert lange, bis man das Selbstvertrauen wieder erlangt und sich ein neues Leben schafft.

Daß Tvind nicht immer bei seinen Aktionen in Annoncen und auf Plakaten namentlich aufscheint, ist auch sehr schlecht. Wenn ich an einer Schaubildausstellung einer von Tvinds Schulen vorbeikomme, welche Jugendliche anlockt, in die Haushaltungsschule zu gehen, um das Au-Pair-Fach zu lernen, und wo nicht klar hervorgeht, wer dahintersteht, dann schreibe ich mit schwarzer Tusche TVIND drauf. Es ist falsch, Jugendliche zu etwas zu locken, ohne daß sie wissen, wer dahintersteckt.

Hilfe, meine Tochter möchte zu Tvind!"

Als ihre 15-jährige Tochter zu Tvind wollte, fragte mich ihre Mutter um Rat, denn sie wußte, daß ich bei Tvind gewesen war. Was sollte sie tun? Sollte sie nein sagen? Oder was? Die Tochter war es satt, zur Schule zu gehen, und hatte einige Jugendliche von Tvinds Internationaler Weiterbildungsschule getroffen. Das Einzige, was sie nun wollte, war, zu Tvind zu kommen. Ich sagte, das Wichtigste sei, daß die Mutter es der Tochter ganz klar mache, daß sie jederzeit zur ihrer Mutter zurückkommen könne. Daß die Mutter sagte, es sei in Ordnung, daß sie bei Tvind sei, solange sie es dort aushalten könne.

Ich meine, es wäre dumm, nein zu sagen, denn dann erhalte Tvind eine doppelt so große Anziehungskraft. Es ist sehr wichtig zu wissen, daß man jemanden hat, zu dem man heimkehren kann, der einen unterstützen kann, wenn es sich erweist, daß Tvind doch nicht das Richtige ist. Die Tochter zog zu Tvind, aber schon nach einem halben Jahr hatte sie genug von gemeinsamen Versammlungen, Konflikten, Disziplin usw. Sie studiert nun wieder eifrig im Gymnasium

Alle werden wieder sie selbst

Wenn man so lange in einer geschlossenen Gesellschaft mit eigenen Normen gelebt hat, kann es schwierig sein, alle die Eindrücke, Meinungen und Einstellungen bearbeiten zu können, welche einen in den Jahren bei Tvind geprägt haben. Soll man alles wegwerfen, was man gelernt hat?

Welches sind eigene Einstellungen, welche Tvinds Einstellungen? Zu allem muß man selbst Stellung beziehen: Stellung zur Kunst, Literatur, Religion, Politik, Kleidung, Geschlechterrollen, Liebe, Paarverhalten, Kinder, Erziehung und vielem mehr.

Zu flirten, es wagen, sich zu verlieben, und es genießen, eine Frau zu sein, hat wieder viele Jahre des Lernens benötigt. Es ist nicht leicht, einen guten Freund zu finden, der all das versteht, was sich ereignet hat, und wie tief es einen beeinflußt. Oft ist es schwierig zu erklären und für jemanden schwer zu verstehen, der nicht selbst etwas Ähnlichem ausgesetzt war. Ich hatte viele gute Gespräche mit einigen, die von den Zeugen Jehovas als tot erklärt wurden. Wir hatten viele gleichartige Erlebnisse.

Ein Schreckensbild

Manche Menschen, die nicht selbst bei Tvind waren, sagen. "Tvind ist wohl nicht so schlimm, wie die Zeitungen behaupten. In Dänemark muß Platz für alle sein. Auf den Schulen ereignet sich wohl manches Gute. Damals war ich nahe daran, einer Hochschulgruppe beizutreten, aber es wurde dann doch nichts daraus."

Ich habe dieses Buch geschrieben, um den Leuten in Dänemark einen Einblick zu geben, was bei Tvind vor sich geht, so daß sie selbst dafür oder dagegen Stellung beziehen können. Irgend jemand muß beginnen zu berichten, was dort eigentlich geschieht.

Ich hoffe, daß Tvinds Gesellschaftsmodell in Dänemark niemals Verbreitung findet, denn dann würde ich das Land verlassen. Das ist ganz sicher. Amdi könnte ein neuer Stalin werden, der uns alle mit Versprechungen einer solidarischen Gesellschaft anlockt. Er könnte leicht Arbeit für alle organisieren. Die Demokratie ist nicht effektiv und wird daher abgeschafft. Den fortschrittlichsten Politikern werden im neuen Dänemark wichtige Stellungen angeboten.

Unsere alten Denkweisen sollen zunichte gemacht werden, damit wir das Ziel erreichen können: Eine solidarische, effektive Gesellschaft. Die Persönlichkeit des Einzelnen soll unter die Forderungen der Gemeinschaft eingeordnet werden. Geschulte dogmatische Leiter werden überwachen, daß wir alle unsere Pflicht tun. Die Leiter scheuen keine Mittel, da die Sache wichtiger ist als der einzelne Mensch.

Bewahre uns vor dieser Zukunft!

Tvind wächst die ganze Zeit

Trotz allem setzt Tvind seine Expansion fort. 1995 hat die Schulorganisation Tvind 25 Jahre lang bestanden. In Dänemark gibt es 41 Schulen. Das sind 12 weiterbildende Schulen, 10 Kleinschulen, 1 Seefahrtsschule, 5 Haushaltungsschulen, 5 Freischulen und 8 Hochschulen, die in "Dänemarks Volkshochschulen 1996" mit spannenden Programmen locken. Außerdem gibt es 2 Schulen in England, 1 in Norwegen und 1 in den USA.

"Reiche Afrika die Hand. Werde Solidaritätsarbeiter. Du wirst in Afrika benötigt. Du bekommst die Möglichkeit, Deine Erfahrungen und Dein Wissen zur Freude und zum Nutzen viele anderer Menschen anzuwenden. Was zum Erlebnis Deines Lebens wird, wird für andere zum lebenswichtigen Ereignis"

Der Text stammt von einer farbenstrahlenden Broschüre der Reisenden Hochschule in Hornsjø bei Lillehammer in Norwegen, Ich fand sie im Juli 1995 auf der Bibliothek in Leksand in Dalarna in Schweden.

Überall in den schwedischen Städten stehen UFF's gelbe Kleidercontainer, welche die Leute mit gebrauchten Kleider anfüllen, die hier oder in Afrika verkauft werden. UFF ist das größte Wiederverwendungsgeschäft in Schweden. Tvind verdient enorme Summen an den gebrauchten Kleidern, welche die Leute fröhlich in die gelben Container legen, um sie los zu werden, damit im Schrank wieder Platz für neue Kleider entsteht, die sie ebenso im Ausverkauf erstanden haben. Niemand spricht in Schweden schlecht über UFF.

Junge Menschen werden aufgefordert, am Au-Pair-Kurs an Tvinds Haushaltungsschulen mit inbegriffenen Studienreisen in Europa oder Nordafrika teilzunehmen. Die farbenstrahlenden Broschüren locken mit Sprachunterricht, Kindererziehung, Psychologie und Essenszubereitung. Bei den Weiterbildungsschulen werden die jungen Menschen mit Reisen und der Aussicht gelockt, einen eigenen Computer mit Anschluß ans Internet zu bekommen.

In den dänischen Zeitungen hat Tvind Anzeigen, welche Arbeitslose auffordern, in Mosambik Bäume zu pflanzen, in Namibia Schulen und Latrinen zu bauen, in einer Pflanzenschule in Sambia zu arbeiten, in Guinea Bissau Kinderkrankheiten zu bekämpfen, in Angola in einer Straßenbubenschule zu unterrichten und in den Dörfern von Simbabwe Aufklärungs- und Gesundheitsarbeit zu leisten.

Tvind hat 85 Projekte im südlichen Afrika: Gesundheitskliniken, Lehrerseminare, Kinderschulen, technische Schulen, Managerschulen, Straßenbubenschulen, Kinderdörfer, Alphabetisierungszentren für Erwachsene, Pflanzenschulen, Plantagen, Textilfabriken, Baufirmen, Baumpflanzungsprojekte, Kleidersortierzentralen, Bäckereien, Fischerboote, Kleidergeschäfte, Fensterfabriken und Handelsschulen. Tvind hat sehr großen Einfluß auf die Entwicklung in diesen Ländern und offenbar volle Unterstützung von den Regierungen dieser Länder. Niemand außerhalb von Tvind hat vollen Überblick über seine Projekte und Besitzungen auf der ganzen Erde.

UFF's Kinderhilfsprojekte wurden vom Arbeitsministerium genehmigt, daher konnten Arbeitslose 80% der Tagegelder bekommen, Unterstützungsklienten konnten Barunterstützung erhalten, während sie in Afrika bei Tvinds Projekten arbeiteten, gemäß einem Gesetz über die Aussendung von Freiwilligen für humanitäre Arbeit im Ausland, das bis zum 31. Dezember 1995 galt.

Die Ausbildung am Notwendigen Seminar wird von dänischen Staat nicht mehr genehmigt. Tvind hat die Ausbildung geändert, so daß sie nun 5 Jahre dauert. Das 5. Jahr verbringt man als Lehrer auf Tvinds Schulen im südlichen Afrika. Als fertig Ausgebildeter kann man nicht Lehrer an einer dänischen Volksschule werden, aber Tvind sieht große Möglichkeiten für fertig Ausgebildete beim Roten Kreuz, den Vereinten Nationen, der UNESCO oder bei Tvinds eigenen Projekten in Dänemark oder dem Rest der Welt.

Arbeitslose können an einem Kurs in Betriebsführung teilnehmen, wo es Angebote innerhalb der Betriebe, Kleidergeschäfte und Sortierzentralen gibt, die UFF in 11 Ländern Europas besitzt! Tvinds Hochschulen haben aber auch traditionelle Erlebniskurse, wo die Schüler nach Brasilien oder Asien reisen, um Straßenkinder und Bauern auf dem Land und Slums in den Großstädten zu erleben.

Widerstand gegen Tvind?

In einigen Städten in Dänemark hat die Stadtregierung UFF's gelbe Container hinausgeworfen. In Schweden stehen gelbe Container in allen Städten herum. Wie sieht es im übrigen Europa aus: Holland, Deutschland, England?

Die beiden englischen Tageszeitungen "The Guardian" und "The Observer" boykottieren Tvinds Anzeigen, um junge Engländer daran zu hindern, in die Schulen hineingelockt zu werden. Gibt es dänische Zeitungen, die zu Tvinds Anzeigen/Geld nein sagen?

Der norwegische Staat hat seit 1983/84 Tvinds Reisender Hochschule in Hornsjø keine Zuschüsse gewährt. Sie ist nicht mehr als Volkshochschule anerkannt. Seitdem wurde die Schule ohne staatlichen Zuschuß betrieben. Die einzelnen Gemeinden in Norwegen schicken ständig schwierige Schüler in die Kleinschulen. Die schwedische staatliche Unterstützungsorganisation SIDA unterstützt Tvinds Entwicklungshilfeprojekte nicht mehr. Tut es Danida? Tut es die EU? Tut es die WHO? Tut es die UNESCO?

Dänische Volksschullehrer gehen ständig zur Lagerschule auf Christianshede Minizoo, zu spät vielleicht entdecken sie, wer dahinter steht. Tvind erzählt nicht immer, was sie sind, wenn sie eine Werbeaktion für die Schulen unternehmen.

Es dauerte viele Jahre, bevor alle in Dänemark wußten, daß Tvind hinter Ulandshjælp fra Folk til Folk [Entwicklungshilfe von Volk zu Volk] stand. Der Verkauf von gebrauchten Kleidern ist eine sehr große Einnahmequelle. Die Leute werfen Tonnen von Kleidung in UFF's gelbe Container.

Viele Kinder, junge und ältere, gehen zu Tvind. Dort gibt es spannende Projekte, man kann mitmachen. Die Aussicht, daheim arbeitslos zu sein, der Möglichkeit gegenübergestellt, in das südliche Afrika zu reisen und gemeinsam mit der Bevölkerung Schulen zu bauen oder Bäume zu pflanzen, bewirkt, daß es viele nach Tvind zieht. Etwa 100 dänische Gemeinden bringen Kinder und Jugendliche in Tvinds Kleinschulen unter. Dies bringt jährlich etwa 36 Millionen Kronen ein. Tvind nimmt jährlich 70 Millionen Kronen als Zuschuß von dänischen Staat für Weiterbildungs- und Hochschulschüler entgegen.

Einer Information aus der Volksbildungsabteilung des Unterrichtsministeriums zufolge steigt die Schüleranzahl an den Tvindschulen ständig. Umgerechnet auf Jahresschüler - ein Schüler in 40 genehmigten Kurswochen - lag die Zahl 1990 bei 894,1 und 1994 war die Zahl auf 1142,9 Jahresschüler gestiegen. Davon waren 765,5 Schüler an Tvinds weiterbildenden Schulen , 228,3 Teilnehmer an den Hochschulen und 149,1 an den Haushaltungs- und Handarbeitsschulen.

Die Reiseperiode zählt dabei nicht mit, daher ist die Anzahl der Teilnehmer an den Tvindschulen real höher. Seefahrtsschule-Schüler, Freischule-Schüler, Kleinschule-Schüler und Lehrerstudenten am Notwendigen Seminar sind in diesen Zahlen ebenfalls nicht inbegriffen.

Kennt jemand außerhalb von Tvind die Anzahl der Teilnehmer und Lehrer auf Tvind?

Nie mehr!

Im Gerichtshaus in Odense arbeitete ein junges Mädchen, die folgende Geschichte berichten kann: "Ich kenne zwei Schwestern, die mit UFF in Afrika waren. Sie waren damals erst 18 und 19. Es schien ihnen, daß es spannend lautete, und sie unterschrieben einen Vertrag, um wegzufahren. Für die Flugkarte und den Aufenthalt auf der Hochschule sollten sie zwischen 15.000 und 20.000 Kronen bezahlen. Das Geld konnten sie abarbeiten, indem sie den Aufenthalt in Afrika durchführten, wo sie in einer Pflanzenschule arbeiten sollten. Als die Schwestern dorthin kamen, wurden sie an zwei verschiedene weit voneinander entfernte Orte geschickt. Sie konnten mit niemandem in den Dörfern reden und hatten nur ein altes Fahrrad ohne Reifen als Transportmittel.

Als die eine Schwester an Malaria erkrankte, fuhren sie heim und brachen dadurch den Vertrag. Später bekamen sie von Tvind eine Rechnung. Man machte ihnen den Vorschlag, nach Norwegen zu reisen und dort mit UFF eineinhalb Monate mit Kleidersammeln zu arbeiten, um ihre Schulden abzuzahlen. Die Schwestern taten dies, denn sie wollten nicht jemandem Geld schuldig bleiben. Jetzt sagen sie: Nie mehr Tvind! Ich kenne übrigens auch einen Revisorassistenten, der mit der Abrechnung für die Tvindschulen beschäftigt ist. Er sagt, daß das sehr schwer und kompliziert ist."

Auf Husmandsstedet in Sdr. Nærå, einem Aktivitätszentrum für Kinder, erhielt ich von einer Mutter die folgende Geschichte erzählt: "Mein Sohn befand sich gerade in dem beinflußbaren Alter von 19-20 Jahren, als er mir eines Tages mitteilte, daß er an der Reisenden Hochschule inskribieren möchte. Ich dachte: Ach nein, er bleibt wohl dort hängen. Ich kannte ja von anderen, die dort gewesen waren, viele negative Berichte über Tvind. Und nun wollte mein eigener Sohn dorthin.

Aber das ging nicht so schlecht. Nach einer Woche rief er mich an: Mutter, gibt es nicht irgendwelche Regeln darüber, wieviel Platz jeder Schüler haben muß? Ich antwortete: Das weiß ich nicht, mein Sohn, aber rufe das Unterrichtsministerium an. Die wissen das.

Eine Woche später rief er wieder an: Mutter, gibt es keine Regeln darüber, daß die Abrechnung der Schule für alle zugänglich sein muß? Er erhielt die selbe Antwort. Tvind konnte ihn nicht so leicht zum Besten halten.

Mein Sohn fuhr etwas später mit seiner Gruppe nach Schweden, wo sie gemeinsam Geld für die Reise nach China verdienen sollten. Als er am Arbeitsplatz seinen Lohn erhielt, verlangte ihre Lehrerin, das Geld zu bekommen, aber sie weigerten sich, das Geld für sie zu verdienen, und behielten es selbst. Seine Gruppe stieg bei Tvind aus, sparte selbst und führte auf eigene Faust eine ausgezeichnete Reise nach China durch.

Heute wohnt mein Sohn in Svendborg, und in seiner Freizeit geht er in die Geschäfte der Stadt, wo emsige Kampagneleute von Tvind die Erlaubnis bekommen haben, Plakate aufzuhängen. Er fragt die Geschäftsinhaber, ob sie wissen, wofür diese Plakate werben. - Nein. Er berichtet ihnen dann, was Tvind vertritt, und darauf bekommt er immer die Erlaubnis, die Plakate herunterzunehmen."

Tauwetter?

Einem Artikel in Folkeskolen Nr. 3, 1995, zufolge sind bei Tvind einige Änderungen eingetreten, seitdem ich 1984 davonlief. Es ist nun möglich, sich als Lehrer zum Aufhören zu entschließen, und es wird eher akzeptiert, daß Paare Kinder bekommen, aber das wird nicht gerne gesehen und schadet dem Ansehen der Lehrer im System - man kann mit ihnen nicht mehr ganz rechnen. Jene Lehrer, die bei Tvind aufhören, müssen gegebenenfalls ein Schweigegelübde ablegen, um austreten zu dürfen.

Aber niemand soll sich durch diese äußerlichen Änderungen zum Besten halten lassen: Wie das Chamäleon seine Farbe entsprechend der Umgebung ändert, paßt sich ebenso Tvind spielend leicht neuen Erfordernissen und Verhältnissen an. Ein Beispiel dafür ist eine Situation, wo eine von Tvinds Weiterbildungsschulen den Behörden das Durchschnittsalter der Lehrer mitteilen sollte, da diese den Verdacht hegten, es sei unverantwortlich niedrig. Über Nacht wurden die Lehrer umarrangiert, so daß ältere Lehrer in jene Schule geschickt wurden, der das Interesse der Behörden galt. Die Kritik konnte als irrelevant zurückgewiesen werden.

Tvind geht bis an die Grenzen und scheut keine Mittel. Dies ist das System, dem viele dänische Politiker auf den Grund gehen wollen. Das wird eine sehr schwierige Aufgabe!

Tvind und die anderen Sekten

Die Moonbewegung, Scientology, Jehovas Zeugen und Tvind. Das sind alles Gemeinschaften mit eigenen Regeln und einem eigenen Verständnis darüber, wie die Welt zusammenhängt. Eine kleinere Gruppe von Leitern hat die Macht und das Geld. Wo die anderen Sekten einen religiösen Inhalt haben, steht Tvind für einen politischen Inhalt. Jehovas Zeugen glauben, daß beim Untergang der Welt nur eine Handvoll von ihnen in den Himmel kommt. Die Tvindleute sind überzeugt, daß nur sie das richtige revolutionäre Verständnis der Welt haben, und wie der Kampf geführt werden muß.

In allen Sekten wird man von der Gemeinschaft, dem einen Ziel und den Sinn des Daseins, dem Kampf für eine bessere Gesellschaft angezogen. Man will etwas mehr aus dem Leben machen als das Traditionelle. Materielle Werte sind nicht wichtig. Die Sache ist wichtiger als der einzelne Mensch.

Auch Tvind hat einen hierarchischen Aufbau mit der absoluten Autorität an der Spitze. Alle Pläne und Ideen für die Entwicklung der Schulen stammen von Amdi Petersen, der eine treue Schar von vor allem weiblichen Anhängern / Leitern um sich hat. Sie gebrauchen alle Kräfte, um seine Ideen zu verwirklichen und den gewöhnlichen Lehrer auf die Linie und den richtigen Weg auszurichten. Der gewöhnliche Lehrer soll sich selbst immer 100%-ig zur Verfügung stellen. Man soll alles können. Die alten Denkweisen sollen vernichtet werden. Das neue Leben wurde gemeinsam mit den Kameraden begonnen.

Auf Tvind gab es keinen Platz für selbständige, denkende Individuen, es sei denn, sie hätten eine hohe Ausbildung, die grüne Karte, ein Steuermannsexamen oder ein anderes Spezialwissen, das zur Durchführung von einem der Projekte Amdis benötigt wurde. Dann wurden sie geduldet - nicht als gleichwertige Kameraden, sondern als ein notwendiger Baustein im Spiel um die politische Macht. Sie durften für sich selbst wohnen oder andere Privilegien haben, welche der gewöhnliche Tvindlehrer nicht hatte. Dagegen waren sie nicht dabei, wenn über die weitere Entwicklung der Schulen Beschlüsse gefaßt wurden.

Es ist wichtig zu verstehen, daß ohne die festgezimmerte Gruppe von Leitern, die für die Durchführung von Amdis Plänen sorgen, die Schulen nichts anderes geworden wären als Hirngespinste im Kopf eines linksorientierten langhaarigen Lehrers! Tvind wird nicht aufhören, auch wenn Amdi verschwindet.

Amdi ist der General. Die Leitungsgruppe ist der Generalstab. Die Schulvorsteher sind die Offiziere und die gewöhnlichen Lehrer die Soldaten. Amdis politische Macht ist groß. Er hat Einfluß in vielen Ländern außerhalb Dänemarks. Besonders im südlichen Afrika, wo die Führer vieler Länder ihn und die Projekte unterstützen, die er in ihrem Land in Gang setzt.

Humana

Meine Schwester hat Zugang zum Internet, wo sie das folgende Dokument über Tvind fand:

"In England ist eine wohltätige Organisation, Humana, registriert. Hinter dem Namen versteckt sich Tvind, eine in Dänemark beheimatete Ausbildungsorganisation, die Studierende in ganz Europa und Amerika rekrutiert. Tvind hat sich auf Internatsschulen für Problemkinder und auf das Geldsammeln für die 3. Welt spezialisiert. Potentielle Lehrer machen intensive Kurse durch, bevor sie als gewöhnliche Lehrer in das Tvind-Imperium eingeführt werden. Die unaufhörlichen Aufforderungen der Tvindlehrer und die linksgerichtete Moral der Organisation treiben die Schüler und Lehrer dazu an, fast ihre ganze Freizeit dazu zu benützen, um gebrauchte Kleider und Geld für die 3. Welt zu sammeln.

Als The Guardian 1993 eine Reihe von Umständen rings um Tvind enthüllte, begann die Charity Commission (staatliches Organ, das anerkannte Wohlfahrtsorganisationen im Auge behält) eine genaue Untersuchung von Tvinds Bewegungen. The Guardian hatte enthüllt, daß die eingesammelten Gelder über mystische Kanäle in ausländischen Firmen, feinen Fonds und Liegenschaftsinvestitionen landeten. Tvind verschenkt nicht, sondern verkauft die gebrauchten Kleider der 3. Welt. Auf einigen der Obstplantagen, welche die Organisation in der Karibik besitzt, kam es zu Streiks wegen der Entlohnung. Es zeigte sich, daß Tvind auch eine Reederei besitzt und mindestens 279 Millionen Kronen wert ist. Von den 33 Millionen Kronen, die Tvind jährlich an der gebrauchten Kleidung allein in Schweden verdient, gehen 80% an die Entlohnung der Projektleiter und Solidaritätsarbeiter. Zwei Prozent gehen an die 3. Welt.

Im Vorjahr gab es Berichte darüber, daß Tvind ständig versuchte, an den Universitäten Cambridge und Salfords Studierende zu rekrutieren. Die Charity Commission sagt nun, daß die Situation besser ist. Das Cult Information Center in London berichtet, daß einige Humana-Geschäfte geschlossen wurden beim Versuch, die britischen Operationen der Organisation stromlinienförmiger zu machen.

Grund, zu Tvind zu gehen: Es ist wahrscheinlich die beste Sekte der Welt
Grund, nicht zu Tvind zu gehen: Das Rote Kreuz bietet bessere Reisemöglichkeiten
Schlußfolgerung: Zwei Prozent sind besser als nichts."

Tvind versteckte sich also in England unter dem Namen Humana, an anderen Orten in der Welt sind sie als D.A.P.P. bekannt. eine Abkürzung für Development Aid from People to People. Unter welchen Namen sucht Tvind Zugang zu den öffentlichen Kassen in Dänemark, in der EU, in Amerika? Wer kennt alle Gesichter Tvinds?

Wer kann Tvind aufhalten?

Die Tvindschulen nehmen den Ausgangspunkt in der Wirklichkeit, in Dänemark und im Rest der Welt. In Dänemark haben wir eine sehr liberale Gesetzgebung, die allen das Recht sichert, Schulen zu errichten, wenn sie bloß eine Reihe von Bedingungen erfüllen, u.a. bezüglich Vorschriften, eines genehmigten Vorstandes und der Gebäude. Es gibt ganz klare Regeln bezüglich der Unterstützung durch Gemeinde und Staat für die Schüler und für die Entlohnung der Lehrer. Solange die Tvindschulen sich an diese Regeln halten, kann das Folketing nur durch eine Lex Tvind eingreifen. Ist dies nicht undenkbar im Vaterland Grundtvigs, wo die Äußerungsfreiheit einen so hohen Stellenwert hat?

Das Fundament der Tvindschulen ist das heilige Eigentumsrecht. Die Schulen besitzen sich selbst. Wer wollte das Eigentumsrecht verletzen? Tvinds Interessen und Besitzungen sind international. Die Wirtschaft ist sehr stark und für den Einzelnen unüberschaubar. Wie andere internationale Konzerne operieren sie via verschiedene Steueroasen, z.B. die Cayman Islands. Außer daß sie in Plantagen und Liegenschaften auf der ganzen Welt investiert haben, ist ein Teil des Geldes in der Reederei Thomas Brocklebank angelegt, die eine mir unbekannte Anzahl Schiffe besitzt. Tvind hat außerdem Malereien als gute Geldinvestition aufgekauft.

Die Schulen nützen die Gesetze der Gesellschaft aus. Daß die Gesellschaft nicht sinnvolle Arbeit für alle schaffen kann, stärkt die Schulen. Jeden Monat kommt durch die Entlohnung der Lehrer mehr Geld in die Kassen, das in neue Projekte investiert werden soll.

Wenn ich von einem Projekt höre, das sich neu, anders und wie eine gute Idee anhört, bin ich sofort mißtrauisch, ob es nicht ein neues Tvindprojekt ist. Amdi hat eine verblüffende Fähigkeit, neue geniale Projekte auszudenken, welche viele junge idealistische Menschen anziehen, die gerne einen Einsatz gegen die Ungerechtigkeiten in der Welt machen wollen. Die Gelder strömen in Tvinds Kassen herein. Das ist eine Schraube ohne Ende.

Übersetzung: Friedrich Griess