Aus: The Tablet
Das Licht leuchtet in der Finsternis
KARDINAL FRANZ KÖNIG
Eine christliche und katholische Vision an der Jahrtausendwende zeichnet hier der ehemalige Wiener Erzbischof im Gespräch mit unserer Korrespondentin Christa Pongratz-Lippitt. Ausgehend vom jüngsten vatikanischen Dokument Dominus Jesus spricht der Kardinal über den ökumenischen und interreligiösen Dialog, in dem er eine leitende Rolle spielte, und schließt mit seiner Hoffnung auf den Himmel.
Wenn Sie Dominus Iesus geschrieben hätten, was hätten Sie darin betont?
König: Ich anerkenne die Absicht der Glaubenskongregation, die Einheit der Kirche zu wahren. Um Gegenreaktionen zu vermeiden, hätte ich sicher einen Punkt in Betracht gezogen: nämlich, wie sehr sich die Welt verändert hat. Als ich jung war, konnte ich über andere Religionen nur in Büchern lesen. Nun leben unserer ökumenischen Dialogpartner und die aus anderen Religionen unter uns als Nachbarn und Kollegen. Wir müssen uns fragen, was es bedeutete, heute unter so vielen anderen Religionen ein Katholik zu sein. Dies wird eine der wichtigsten Fragen im dritten Jahrtausend sein - eine sehr schwierige Frage, bei der viele eine Unterstützung benötigen werden.
Der zentrale Vorstoß von Dominus Iesus besteht darin, daß nur das Christentum allein göttlichen Glauben hat - alle anderen Religionen haben nur menschlichen Glauben. Was denken Sie über diese Unterscheidung? Und, da göttlicher Glaube für das Heil nötig ist, bedeutet das, daß Mitglieder anderer Religionen nicht gerettet werden können?
König: Ich stimme zu, daß dies die zentrale Stoßrichtung von Dominus Iesus ist, und sie riskiert die Zerstörung des Vertrauens anderer Glaubensrichtungen im Dialog mit uns. Glücklicherweise können grundlegende Passagen in der Konstitution über die Kirche des Zweiten Vatikanischen Konzils, Lumen Gentium, als Eckpfeiler in dieser Diskussion benützt werden, um die zerbrochenen Brücken wieder herzustellen und ihnen neue Stärke und Solidität zu verleihen. Das Dokument des Zweiten Vatikanums stellt klar fest (16): "Wer nämlich das Evangelium Christi und seine Kirche ohne Schuld nicht kennt, Gott aber aus ehrlichem Herzen sucht ..... kann das ewige Heil erlangen." Und der Text fährt fort: "Die göttliche Vorsehung verweigert auch denen das zum Heil Notwendige nicht, die ohne Schuld noch nicht zur ausdrücklichen Anerkennung Gottes gekommen sind, aber, dies nicht ohne Hilfe der göttlichen Gnade, das rechte Leben zu erlangen suchen." Hier haben wir eine feste Grundlage für den interreligiösen Dialog, auf den sich die Lehre der Kirche stützen kann und auf dem sie beruht.
Die römisch-katholische Kirche hat sich immer für einzigartig gehalten. Sind aber die anderen Kirchen so "defizitär", wie es in Dominus Iesus lautet? Was ist Ihre Ansicht darüber und Ihre Interpretation der Passage in Lumen Gentium 8, wo es heißt: "Diese Kirche ... hat ihre konkrete Existenzform (subsistit) in der katholischen Kirche"?
König: Die anderen christlichen Kirchen sind sicherlich nicht schwerwiegend defizitär im modernen Sinn dieses Ausdrucks. In ihrer modernen Bedeutung, besonders wenn sie in den Medien benützt werden, klingen diese schrecklichen Worte beleidigend und grob. Aber das führt uns zu einen großen Schwierigkeit, die noch nicht beseitigt wurde. Die theologische Sprache, in der offizielle vatikanische Dokumente traditionellerweise abgefaßt sind, macht den Eindruck, unpersönlich und kalt zu sein. Es gibt darin überhaupt keine Spur eines persönlichen Kontakts und der menschliche Dialogpartner fehlt und ist ausgeschlossen. Es ist eine Sprache, die von Theologen kultiviert wird und an Bischöfe und Theologen gerichtet ist und von gewöhnlichen Leuten ohne die nötige Vorbereitung nicht leicht verstanden wird. Dominus Iesus ist in dieser Sprache verfaßt, die weitgehend durch die lateinische Terminologie beeinflußt wird. Nun, die Bedeutung des lateinischen Wortes "deficiens" ist neutral - es meint einfach "unvollständig". Rom hat inzwischen zugegeben, daß man eine solche weltweite Reaktion auf Dominus Iesus nicht erwartet hatte.
Der zweite Teil der Frage bezüglich des berühmten Wortes "subsistit" ist tatsächlich schwer zu beantworten. Schon beim Konzil war es eine sehr schwierige Frage. Wie sollten wir sagen, die katholische Kirche sei die Mutter aller Kirchen, ohne jemanden zu beleidigen? Die Geschichte berichtet uns die ursprünglichen Fakten über die Bildung der verschiedenen christlichen Gemeinschaften, aber seitdem sind sie organisch gewachsen, so daß wir heute im Dialog mit ihrer ganzen Tradition stehen.
Es ist meine Überzeugung, daß wir diese Fragen auf zwei verschiedenen sprachlichen Ebenen diskutieren müssen. Wir sollten eine Sprache für das katholische Volk und für die Medien benützen und eine andere für die Theologen - sowohl für den christlichen ökumenischen Dialog als auch für den interreligiösen Dialog. Theologen sollen sich nicht an die Allgemeinheit wenden, gerade dies haben sie aber mit Dominus Iesus versucht; obwohl es in erster Linie für Bischofskonferenzen und Theologen gedacht war, wandte es sich auch an die Katholiken im allgemeinen. Die Leute müssen vorbereitet werden, bevor ein solches Dokument auf sie zukommt. Was wir wirklich brauchen, ist eine Art von kleinem Katechismus für Erwachsene, sehr klar und einfach. Religion hat so viele Aspekte und viele Leute sind heute so verwirrt und unwissend.
Dominus Iesus legt keinen Wert auf die zukünftige Interpretation der Offenbarung. Es legt nahe, daß wir bereits alle Grundlagen kennen. Was erwarten oder erhoffen Sie bezüglich zukünftiger Offenbarungen?
König: Die Antwort der Kirche und daher die Antwort von Dominus Iesus ist ganz klar - die Offenbarung ist abgeschlossen. Es verbleibt jedoch eine sehr wichtige Frage - haben wir alles verstanden, was geoffenbart wurde? Können nicht in Zukunft neue persönliche Einsichten möglich sein? Was meinen wir damit, wenn wir sagen, die Offenbarung sei abgeschlossen? Könnten nicht gewisse Ereignisse eintreten, die uns - die Antwort der Kirche ist klar - nicht neue Offenbarungen, aber eine neue Interpretation der Offenbarung bescheren würden?
Dies ist es, was wahrscheinlich jene fühlen, die damit beschäftigt sind, zwischen der Christenheit und den anderen großen Weltreligionen Brücken zu bauen. Alle diese Religionen suchen Antworten auf diese letzten menschlichen Fragen - woher kommen wir, wohin gehen wir, was ist der Sinn unseres Lebens? Wenn ich an die Wirksamkeit des Heiligen Geistes in der ganzen Welt glaube, dann wird es vielleicht neue Einsichten - nicht Offenbarungen - geben. Wir müssen uns daran erinnern, daß die meisten unserer Theologen verwestlichte Theologen sind. Wissen sie wirklich genug über eine nichtwestliche Mentalität wie z.B. in Asien?
Welche fehlenden Antworten erhoffen Sie zu erhalten, wenn Sie in den Himmel kommen?
König: Dies sind Gedanken, die ich nicht in genauer Sprache definieren kann und auch nicht will. Könnte es aber sein, daß, seit uns das Evangelium durch Jesus geoffenbart wurde, es in der Welt wie Sauerteig gewirkt und alle Menschen, wenn auch indirekt, beeinflußt hat? Es scheint so, daß andere Religionen sehr am Christentum und an seiner Bedeutung interessiert sind.
Als ich mit Papst Paul VI. beim Eucharistischen Kongreß in Bombay war, wohnte ich drei Wochen lang bei einer parsischen Familie. Sie hatten zwei Söhne im Alter von 12 und 14. Eines Tages baten mich die Eltern, ihren Söhnen Religionsunterricht zu erteilen. "Aber ich bin Katholik", sagte ich. Das mache nichts, antworteten sie: auch sie glaubten an einen Gott. Ich fragte dann einen der Verwandten, wie oft sie beteten, und er sagte mir, daß sie jeden Tag genau 15 Minuten beteten. Die Gebete, welche er benützte, waren alte parsische Texte in einer Sprache, die er nicht verstehen konnte. Ich äußerte meine Überraschung. "Aber ich weiß, daß es religiöse Texte sind, die von meinen Vorfahren verfaßt wurden, und daß sie etwas Heiliges ausdrücken", antwortete er.
Wir Christen glauben, daß Gott durch seinen Sohn Jesus Christus zu allen Völkern gesprochen hat: daß Gott Jesus Christus zu allen Völkern sandte. Der heilige Johannes sagt über ihn: "Das wahre Licht, das jeden Menschen erleuchtet, kam in die Welt." Dies, beachten Sie bitte, war vor der Menschwerdung und vor der Kirche. Der heilige Johannes setzt fort: "Er war in der Welt, und die Welt ist durch ihn geworden, aber die Welt erkannte ihn nicht. Er kam in sein Eigentum, aber die Seinen nahmen ihn nicht auf. Allen aber, die ihn aufnahmen, gab er Macht, Kinder Gottes zu werden; allen, die an seinen Namen glauben, die nicht aus dem Blut, nicht aus dem Willen des Fleisches, nicht aus dem Willen des Mannes, sondern aus Gott geboren sind."
Und das bringt uns zur Frage unseres Herrn zurück - der großen Frage - in Matthäus 16: "Ihr aber, für wen haltet ihr mich?" Dies ist es, was mich erwartet - die volle Antwort auf diese Frage - wenn ich ihn von Angesicht zu Angesicht sehen werde.
Übersetzung: Friedrich Griess