Die Kurie spielt ihr eigenes Spiel!
Die Kurie, die Beamtenschaft des Vatikans, operiert auf weite Strecken unabhängig vom Willen des Papstes und ignoriert zeitweise dessen Wünsche und Absichten. Dies sagte der ehemalige Erzbischof von Sao Paulo, Kardinal Evaristo Arns, neulich in einem Interview mit der polnischen Gazeta Wyborcza. Arns zufolge wurde die Aufteilung seiner Erzdiözese, die Rom 1989 vornahm und die als offizieller Versuch bewertet wurde, ihm die Flügel zu stutzen, gegen den Wunsch des Papstes durchgedrückt. Arns sagte, daß er damals selbst der Bischofskongregation in Rom "fünf Einwände" gegen die Aufteilung vorlegte, die "vom Papst selbst verfaßt" worden waren. "Offensichtlich operiert die Kurie sehr unabhängig vom Papst, der viel auswärts ist und reist und der zu seinen Mitarbeitern großes Vertrauen hat - ein schöner Zug, der aber zeitweise der Kirche geschadet hat. Die Qualität eines Pontifikats ist von Menschen, von ihrer Fähigkeit, für die ganze Kirche zu arbeiten, von ihren Visionen und ihrem Einsatzwillen abhängig. Unser derzeitiger Papst ist in dieser Beziehung ein außergewöhnlicher Mensch. Ich sehe in ihm ..... meinen persönlichen Freund. Aber leider hat er seine Beamtenschaft zu wenig im Auge und läßt die Zügel zu locker",. sagt Arns.
Er meint, man habe den Widerstand des Papstes gegen die Befreiungstheologen übertrieben, und der Einfluß dieser Theologen wachse in Lateinamerika. "Der Einfluß der Befreiungstheologen ist nicht vorbei, auch wenn er zu leiden hatte und auch eine gewisse Stagnation erfahren hat", sagt Arns. Disziplinarmaßnahmen gegen Befreiungstheologen haben insofern positiv gewirkt, als sie "die Leute gelehrt haben, die Dinge selbst in die Hände zu nehmen".
Die Aussagen der Glaubenskongregation (1984 und 1986) anerkannten die Notwendigkeit, die Armutsproblematik unter die Lupe der Forschung zu nehmen, sagten aber eine klares Nein zu einer einseitigen politischen Auslegung der Bibel. Arns zufolge habe der Papst selbst gesagt, die "Befreiungstheologie liege von Beginn an in die Bibel eingebettet", ein Standpunkt, den Kardinal Ratzinger von der Glaubenskongregation nicht teilt. Ratzingers Kampagne gegen die Befreiungstheologie haben ihren Schöpfern "große Leiden" zugefügt, sagt Arns.
Seine Ansichten erinnern an die Kritik, die der nun 95-jährige Wiener Kardinal König neulich in einem Interview mit einer österreichischen Tageszeitung äußerte. Die Kurie widersetze sich nicht nur einer Dezentralisierung, sondern strebe eine noch stärkere Zentralisierung an, sagte König. Der Hintergrund seiner Worte war frische Kritik vom Präsidenten der Bischofskongregation, Kardinal Neves, an den österreichischen Bischöfen und besonders an Bischof Weber, einem von Österreichs beliebtesten Bischöfen, weil er mit dem Bischofsrat und dem Priesterrat über geeignete Bischofskandidaten beraten hatte. Der Papst allein habe die Verantwortung für Bischofsernennungen und dürfe nicht durch unreglementierte Vorschläge der Ortskirche "behindert" werden, schrieb Neves.
Einer der Gründe für die strammeren Zügel der Kurie ist die Rücksicht auf die Einheit der Kirche; aber das "System" ist nun zu einem bürokratischen Elfenbeinturm geworden, in dem die Kurie von der Devise ausgehend arbeitet, "jeder Monsignore in Ozeanien müsse von uns und nicht von den Bischöfen ernannt werden, denn nur wir wissen, was recht ist", sagte König. Die Kurie benütze die Autorität des Papstes, um ihre eigene Tagesordnung zu fördern; stärkere Zentralisierung "liege nicht im Interesse des Papstes", und nicht zuletzt in ökumenischer Hinsicht leide der Papst unter dieser Entwicklung, sagte König. Gewiß gebe es im Vatikan gute Leute, aber auch Leute mit wenig Sinn für das Wichtigste: pastorale Anliegen.
Englands Kardinal Hume gab kurz vor seinem Tod im Vorjahr auf charakteristische Weise seinem Ärger über eine Zurechtweisung durch die Kurie, auf offiziellem Papier geschrieben, jedoch ohne Unterschrift, Ausdruck: Bei einer Gelegenheit kam er auf die Angelegenheit mit dem Personal im betreffenden Dikasterium zu sprechen: "Ein errötendes Gesicht am Ende des Tisches enthüllte, daß die Zurechtweisung eine Initiative eines Beamten ziemlich weit unten in der Rangliste war!"
Quelle : The Tablet / Catholic Herald / St. Olav 7/8-2000.
Aus letzterem übersetzt von Friedrich Griess