Gernot Eder

(5.5.1929 - 9.11.2000)

Mein Theologisches Testament

diktiert in den letzten Oktobertagen des Jahres 2000

 

Vorwort
Zu G. Eder, Mein Theologisches Testament

 

Im letzten Jahr seines Lebens arbeitete der Kernphysiker Gernot Eder trotz schwerer Krankheit an einem Buch, das den Titel tragen sollte "Wie Gott die Welt erschafft." Er wollte aus der Naturwissenschaft und Theologie darstellen, daß die ersten drei Verse der Bibel nicht von einem Geschehen am Anfang der Welt und des Weltalls erzählen, sondern von einem ständigen Ereignis: Gott erschafft die Welt.

Der erste Teil dieses Buches erschien kurz nach seinem Tod unter dem Titel: "Ist Physik universal?" In der Einleitung dazu schrieb er: "In Ergänzung bisheriger Veröffentlichungen soll daher gleichsam als physikalisches Testament zu drei Themenkreisen Stellung genommen werden, die mir besonders am Herzen liegen: Die Interpretation der Quantentheorie, das frühe Universum und Physikgeschichte, soweit ich sie miterlebt habe."

Der zweite Teil, der für dieses Buch geplant war, sollte die Summe seiner theologischen Überlegungen enthalten. Er konnte sie nicht mehr ausführen. Diese Gedanken beschäftigten ihn aber so stark, daß er seiner Schwägerin Lore Eder knapp zwei Wochen vor seinem Tod einen Text diktierte, den er "Mein Theologisches Testament" nannte. Auf die Frage, was damit geschehen soll, sagte er: "Das Forum St. Stephan soll sich damit beschäftigen. Es sind Thesen und Skizzen, die weitergedacht werden sollen."

Das ist die "literarische Gattung" dieses Textes: Thesen, nicht Dogmen; Skizzen, nicht ausgeführte und belegte Darlegungen. Als Denkanstöße sind sie provozierend, überzeichnend, eben anstößig. Wir geben sie gerne denen in die Hand, die sich dadurch zu einer ähnlich ernsthaften Beschäftigung mit den Fragen des Glaubens und der Theologie herausfordern lassen, wie sie Gernot Eder auf sich genommen hat.

Eine erste Gelegenheit dazu bietet sich bei einem Symposion des Forums St. Stephan am 16. November 2001 in Wien. Weitere Symposien sind für das Jahr 2002 geplant.

Linz, am 22.03.01

Wilhelm Zauner
im Namen des "Forum St. Stephan"

 

 

1. Monotheismus

Wenn man von Gott sinnvoll sprechen will, so kommt nur absoluter Monotheismus in Frage. Nicht so wie im alten Ägypten eine Monolatrie (Eingottverehrung), sondern ein Gott für das ganze Universum. Jede Art von numinosem Überirdischen ist unzureichend. Außerdem ist es so, daß die Naturwissenschaft heute nur verträglich ist mit einem Monotheismus, der nur eine einzige Kraft zuläßt seit 12 Milliarden Jahren, und im ganzen Universum; also immer und überall und ausschließlich.

Natürlich kann nicht von der Naturwissenschaft direkt in die Gotteslehre übergegangen werden. Aber mit Hilfe einer Metasprache kann man die Ergebnisse der Naturwissenschaft interpretieren in Bezug auf das Gottes- und Weltverständnis. Das Besondere ist das, daß wir einfache und konsistente Naturgesetze besitzen und nur durch die besondere Kombination dieser Naturgesetze sich eine Vielfalt von Formen und Metamorphosen ergibt.

Wenn man auf Grund alter Traditionen sieht, wie sich die Menschenfreundlichkeit Gottes ausgewirkt hat, so kann doch kein Zeitpunkt angegeben werden, zu dem die Offenbarung Gottes abgeschlossen wäre. Im Gegenteil: Das letzte Jahrhundert hat ganz deutlich gezeigt, in welcher Fülle sich immer wieder Geheimnisse neu öffnen. Die besondere Weisheit, die der Schöpfung zu Grunde liegt, kommt immer wieder auf andere und überhöhte Weise zu Tage. Besonders hervorzuheben ist bei diesem Monotheismus, daß Gott direkt durch seine Gesetze wirkt und auf keine Weise äußerer Hilfe bedarf. Es gibt keine Helfer, er spannt allein den Himmel auf. Es gibt weder einen vor ihm noch einen nach ihm. Er braucht niemanden um Rat zu fragen. Allein durch die lnkraftsetzung des Gesetzes kommen die Dinge zustande, ohne daß es dazu eines eigenen Kraftaktes bedürfe, weil auf Grund des naturwissenschaftlichen Gesetzesverständnisses aus dem Vakuum - ohne Verletzung der Naturgesetze - eine unübersehbare Fülle von Dingen entstehen kann.

 

 

2. Der zweite Jesaia

Vorbereitet von dem Propheten Zoroaster in Persien werden die Grundlagen für den Monotheismus gelegt, der dann vom zweiten Jesaia im babylonischen Exil aufgegriffen wird. Voraussetzung war der Kampf des Zoroaster gegen sinnlose Stieropfer, die einem höchsten Gott gar nicht gegeben werden können, weil alles von ihm ausgeht.

Die Situation Israels war katastrophal, das Nordreich war bereits untergegangen, Jerusalem und das Südreich vernichtet. Da eine enge Verbindung von dem Jahwekult und dem Staate Jerusalem vorhanden war, so existierte de facto auch Jahwe nicht mehr. Doch Deutero-Jesaia wagte den großen Schritt zum Monotheismus, indem er sagte, es gibt nur einen Gott und der ist mit Jahwe identisch.

Das war gleichzeitig die Chance, nach dem Einmarsch der Perser von Kyros als Verehrer des allerhöchsten Gottes anerkannt zu werden und sogar das Versprechen zu bekommen, beim Wiederaufbau von Jerusalem unterstützt zu werden.

Allerdings ist dieser Übergang nicht ohne weiteres möglich gewesen angesichts der Auffassung, daß alles Nichtisraelische unrein sei.

Der zweite Jesaia jedoch läßt Jahwe sprechen, daß Kyros sein Knecht sei, daß er ihn bei der Hand nimmt und ihn dazu führt, sein Volk zu befreien.

Das aber heißt, daß Gott nicht nur Gott Israels, sondern der Gott aller Menschen ist. Diesen gewaltigen Schritt aber haben die zurückgekehrten Judäer nicht geschafft. Durch engstirnige Gesetze unter Ezra wurden alte Mauern wieder aufgebaut und de facto der Monotheismus verraten.

 

 

3. Deuteronomium und Zusammenbruch

Der theologisch-liturgische Höhepunkt in der Geschichte Judas ist das Deuteronomium, das z.T. sehr alte und sehr späte Texte zusammenfaßt. Diese zeichnen sich durch hohen literarischen Wert und besondere Geistigkeit aus. Manche sind die schönsten Texte, die wir in der jüdischen Literatur überliefert bekommen haben. Leider wird die Liturgie sehr stark auf den Tempelkult reduziert.

Theologisch getragen ist das Deuteronomium dadurch, daß Jahwe der Gott Israels ist und daß der Bund Israels mit Jahwe durch seine Repräsentanz in der Geschichte Israels gezeigt wird. Durch den Untergang Judas in Babel ist diese Garantie zwar unterbrochen, aber in der Exilzeit und Nachexilzeit wird versucht, das Deuteronomium wieder in die alte Ordnung zurückzuführen. Das kann aber nicht vollständig gelingen, weil eben gerade von der Konzeption her das Deuteronomium einer Monolatrie entspricht: unabhängig von allen fremden Göttern bleibt die Unabhängigkeit Jahwes und seines Volkes in sich erhalten.

Trotzdem ist es so, daß nach dem Untergang Judas diese Garantie Jahwes für die Geschichte Judas nicht gegeben werden kann, weshalb das Entstehen des Monotheismus für das Deuteronomium einen schweren Bruch darstellt. Bloß durch seine große Reife hat es sich durch die Jahrhunderte bis heute erhalten.

Dadurch wird verständlich, daß eine Phase des Monotheismus immer nur relativ kurze Zeit aufrecht erhalten bleiben kann. Dazu kommt, daß die Geschichte des davidischen Königtums mit dem Exil endgültig zu Ende geht, ohne daß die prophetische und richterliche Tradition daran Anstoß nehmen würde, weil für Richter und große Propheten der Anspruch des davidischen Königshauses auf "Sohn Jahwes" und auf "Hirt Israels" letztlich eine Anmaßung ist, da diese Titel nur Jahwe selbst zustehen.

Tatsächlich kommt es in Israel auch nicht mehr zu einem echten Königtum. Die großen Propheten, die immer wieder in Israel und Juda auftreten, sind verschwunden. Umso erstaunlicher ist es, daß die christliche Tradition später nur auf die apokalyptischen Propheten zurückgreift, obwohl die Ansprüche keineswegs mehr so fundamentale Bedeutung besitzen. Trotz des verlorenen Anspruches des davidischen Königshauses wird immer wieder die Hoffnung ausgesprochen, daß ein König wie David auftreten würde, um die Feinde aus dem Land zu vertreiben.

Das Prophetenwort Ezechiels betont ausdrücklich, daß der Herr alle Zwischeninstanzen ablehnt und selbst die Führung seines Volkes übernimmt. Er nimmt sein Hirtenamt ohne Zwischeninstanzen ganz an sich. Damit werden die Ämter von Priestern, Fürsten und Königen in Frage gestellt, und gleichzeitig die unmittelbare Beziehung zwischen Gott und den Menschen besiegelt.

 

 

4. Gemeinsame christliche und jüdische Wurzeln

Durch Jesus von Nazareth geht das Christentum eindeutig aus dem Judentum hervor. Besonders beim Evangelisten Lukas wird der Rückgriff Jesu auf den zweiten Jesaia deutlich. Im Evangelium wie auch in der Apostelgeschichte wird der zweite Jesaia immer wieder mit Jesus verglichen. Trotzdem sind Judentum und Christentum dieser Tradition nicht treu geblieben. Das Judentum ist besonders im kultischen Bereich zu alten Gepflogenheiten zurückgekehrt und das Christentum hat durch einen verfehlten philosophischen griechischen Ansatz ein starkes Mißverständnis für die besondere Art der Offenbarung gezeigt. Beide Bekenntnisse müßten sich neu besinnen, ihre Fehler überwinden. Sie könnten erst auf diese Weise ein gemeinsames Gespräch suchen, und damit einen Weg zu einem Monotheismus wiederfinden.

 

 

5. Jesu Rückgriff auf den Monotheismus

Ich glaube nicht, daß Jesus eine neue Religion gründen, sondern die alten Quellen neu beleben wollte, die im Laufe von tausend Jahren allmählich verkrustet worden sind.

So greift er sogar in der Diskussion mit den Sadduzäern auf das Dornbuschereignis zurück, indem er betont, daß Gott ein Gott der Lebenden und nicht der Toten sei. Für Gott gibt es keine Grenze zwischen Über- und Unterwelt. Er ist überall Herr; wo er ist, ist Leben. Dazu kommt, daß der Mensch ungebrochenes Vertrauen zur Menschenfreundlichkeit Gottes besitzen muß. Wenn Gott den Blumen bereits so viel Schönheit verleiht, um wie viel mehr wird er sich der Menschen in diesem und in jenem Leben annehmen. Das Reich Gottes ist das ganze Universum, das Gott seit Anfang an liebt und aufbaut.

Vor allem hat Jesus eine Absolutsetzung einer vorgesehenen Sittenordnung in Frage gestellt, auch wenn es sich hier um eine bevorzugte Ordnung wie den Dekalog handelte. So steht die Hilfe in der Bedrängnis des Lebens über dem Reinheitsgebot (barmherziger Samariter) oder auch vor dem Sabbatgebot (Heilung der Gelähmten und Aussätzigen). Auf die Frage der Jünger, welchen Lohn sie bekommen würden für ihren Einsatz, antwortet Jesus den Zwölfen: "Ihr werdet auf zwölf Thronen sitzen und die zwölf Stämme Israels richten." Das bedeutet aber, daß Jesus nicht die Absicht hatte, das davidische Königtum wieder neu aufzurichten, sondern auf die vorkönigliche Tradition der Richter zurückgreift.

Es bedeutet aber auch, daß Jesus an das Reich Israel und seine Wiederherstellung gedacht hat. Auf eine spezielle Form einer zukünftigen Kirche kann man keine zwingenden Rückschlüsse ziehen.

 

 

6. Das Mißverständnis der frühen christlichen Tradition am semitischen Verständnis

Auf dem Weg der frühen griechischen Christen zur Botschaft Jesu liegen leider drei große Hindernisse:

Erstens: Die Beschränkung auf die aristotelischen Ursachen (Materialursache, Formalursache, Effektivursache und Finalursache), die einen sinnvollen Zusammenhang in ein enzyklopädisches Nebeneinander verwandelt.

Zweitens ist auch dem griechischen Denken eine Verdoppelung der Welt charakteristisch, die automatisch zu einer absurden Metaphysik führt.

Drittens ist die Christologie, die schon von Paulus übernommen wird, eine Konstruktion, die teilweise auf Philon von Alexandrien zurückgeht, für die Offenbarung Jesu wenig Inhaltliches bringt und von dem zentralen Geheimnis des Glaubens eher ablenkt. Deutlich kommt diese Konstruktion im Philipperbriefhymnus, den uns Paulus berichtet, zum Ausdruck, wo eine aufsteigende und absteigende Christologie versuchen soll, uns das Geheimnis der Erlösung nahe zu legen. Tatsächlich ist es aber so, daß Gott weder auf- noch absteigen muß, sondern immer und überall da ist.

 

 

7. Fundamentale Begriffe des semitischen Denkens

Sehr bedauerlich ist die Tatsache, daß das griechische Denken für die fundamentalen Begriffe der semitischen Offenbarung nur wenig Verständnis gezeigt hat.

Als erster Begriff zu erwähnen ist der Begriff des Erschaffens (bará), das zunächst auch etwas ähnliches bedeutet wie Machen und Herstellen, aber weit darüber hinausreicht, weil es vor allem den Begriff des Überganges vom Chaos zur Harmonie und Vollendung zum Ausdruck bringt. So wird ganz deutlich im Schöpfungsbericht der Genesis auf die Trennung von Licht und Finsternis, Wasser und festem Land, und einer Reihe von anderen Reduktionen des Chaos berichtet. Dadurch ist es möglich, daß das Fortschreiten der göttlichen Ordnung im Universum und in der Menschheit in seiner heilsgeschichtlichen Bedeutung deutlich wird, ohne daß man sich beschränkt auf eine Nebeneinanderdarstellung und Beschreibung von unzusammenhängenden Einzelfakten.

Der zweite Begriff, der im Griechischen nicht angemessen berücksichtigt wird, ist der des Bundes (berit), der einen Bund zwischen Gott und den Menschen bedeutet, in dem die Menschen zu einem Bundesvolk Gottes werden und Gott der zuständige Bundesgott ist, unter dessen Schutz man sich vertrauensvoll und rückhaltlos stellen kann. Dagegen wird im griechischen Denken dieser Bund oft nur formal und juridisch eingeschränkt, als ob irgendwelchen Funktionären die Verwaltung der göttlichen Güter anvertraut sei.

Der dritte wichtige Begriff ist die Einwohnung Gottes (schechiná). Hier handelt es sich darum, daß Gott zwar immer und überall ist - ohne ihn geschieht überhaupt nichts -, und trotzdem kann für den Menschen immer wieder offenbar werden, daß Gott in ganz besonderer Weise wirksam ist. Es kann dies auf einem Berg sein, es kann dies in der Offenbarung eines Propheten sein und es kann dies überall dort sein, wo Offenbarung Gottes geschieht.

Dagegen hat das griechische Denken die Tendenz, überall eine Metaphysik hintergründig zu konstruieren, deren Existenz z.T. noch bis zum Beginn der Schöpfung zurückextrapoliert wird, obwohl man wenig sehen kann, wozu solche Konstruktionen ohne realen Hintergrund gemacht werden müssten. Tatsächlich sind die erwähnten Konstruktionen eher geeignet, den Zugang zur Offenbarung unnötig zu erschweren.

 

 

8. Personaler Gott

Der Personbegriff spielt in der christlichen Theologie eine sehr wichtige Rolle und hat leider durch Jahrhunderte zu schweren Glaubensturbulenzen geführt. Es handelt sich dabei um die Schlüsselrolle eines geistigen Wesens in der Übermittlung fundamentaler Informationen.

Bereits Vater und Mutter haben eine solche personale Funktion inne. Dabei geht es immer um eine spezifische Art der Vermittlung. Normalerweise ist es so, daß ein Mensch mit Hilfe einer personalen Funktion hinreichend gut beschrieben werden kann. Bei Gott ist es anders. Gott ist kein Teil dieser Welt und seine Bedeutung für den Menschen ist so vielfältig, daß eine Person allein zur Kennzeichnung seiner Wirksamkeit nicht ausreicht. Wahrscheinlich kann man überhaupt keine obere Grenze für die Zahl der personalen Ideen Gottes für den Menschen angeben.

Historisch ist wahrscheinlich diese Personendiskussion durch die erste Ausführung des Taufritus hervorgerufen worden, bei dem zuerst die hellenistischen Christen auf den Namen Jesu getauft haben, während die Gemeinde von Jerusalem überzeugt war, daß man noch zusätzlich auf den Heiligen Geist taufen müsse. Dadurch ist man später zu der kirchlichen Formel gekommen, daß man auf den Namen des Vaters, des Sohnes und des Heiligen Geistes taufen müßte. Damit ist man aber automatisch auf das Problem gestoßen, daß bereits das früheste Christentum den Monotheismus verlassen hätte. Kirchenlehrer wie Basileios haben dann mit Formulierungen wie "Vom Vater, durch den Sohn, im Heiligen Geist" versucht, mit Präpositionen die monotheistische Einheit zu retten. Leider ist diese Tradition von der lateinischen Kirche nicht verfolgt worden, wodurch bis heute die Trinität eher den Eindruck eines Dreigottglaubens macht. Besonders unglücklich war der Gegensatz: drei Personen und eine Natur, weil der Naturbegriff für Gott völlig unangemessen ist. Unter Natur versteht man die Gesamtheit der Möglichkeiten des Handelns, das von einem Wesen ausgeführt werden kann. Ein solcher Begriff ist nur für ein definierbares endliches Wesen denkbar und daher für Gott völlig unangemessen, weil er kein Teil dieser Welt ist.

Das hatte zur Folge, daß man unabhängig vom Wesen über die Person nichts aussagen konnte, so daß keine spezielle Offenbarung über die Person Gottes möglich war. Augustinus meinte sogar, daß man nur über das Innenleben Gottes analoge Aussagen machen könne, die aber kein spezifisches Glaubensgut enthalten. In Wirklichkeit ist es so, daß nicht "ein Geheimnis im strengen Sinne" Gegenstand der Offenbarung sein kann, sondern nur Aussagen, die für das Heil des Menschen von Bedeutung sind. So sind sowohl die Schöpfung durch Gott wie das Heil des Menschen als auch die Vermittlung der Offenbarung nur einzelne Aspekte, unter denen sich der personale Gott in Menschenfreundlichkeit und Barmherzigkeit uns zuwendet.

Auch, daß Gott weder Vater noch Mutter ist, sondern im menschlichen Verständnis alles aufgewandt werden muß, um die Fülle der Zuwendung Gottes zum Menschen erfassen zu können, läßt Gott weder als Mann noch als Frau erscheinen, sondern es bedarf unserer Mühen, alle Aspekte, die verfügbar sind, aufzugreifen.

Ohne diesen Sinn kann die Trinität in gewisser Weise bloß als Minimum im multipersonalen Aspekt Gottes erscheinen.

 

 

9. Erbsünde

Eine besonders unglückliche Idee der Theologiegeschichte ist die sogenannte Erbsünde. Angedeutet durch die Erzählung in der Genesis, daß durch die Sünde der Tod in die Welt gekommen sei, wird hier zurückgegriffen auf die Tatsache, daß eben die Menschheitsgeschichte doch mit sehr viel Leid verbunden ist. In Wirklichkeit ist aber der Tod nicht durch die Sünde in die Welt gekommen, sondern, wie Ludwig von Bertalanffy gesagt hat, durch den Übergang vom Einzeller zum Vielzeller. Das natürliche Ende des Einzellers ist nicht der Tod, sondern die Zweiteilung. Ebenso kam der Schmerz durch das Zentralnervensystem in die Welt.

Erst durch die Chancen des Vielzellers kommt es zu speziellen und spezifischen Möglichkeiten eines höheren Wesens. Erst durch das Nervensystem kann ein Individuum mit seinem ganzen Körper identisch sein, muß allerdings mit der Möglichkeit des Schmerzes existieren können. Das bedeutet, daß die individuelle Höherentwicklung mit dem Preis von Schmerz und Tod bezahlt werden muß. Und mit Gottes Hilfe kann der Mensch nur hoffen, daß im Laufe von Generationen die Belastung durch diese Nachteile gemildert werden.

Schuld gibt es natürlich immer wieder neue. Diese bleibt aber auf den entsprechenden Lebensbereich beschränkt und soll nicht durch theologische Theorien bis in die Ewigkeit in einer konstruierten Welt aufbewahrt und kultiviert werden. Dies kommt auch deutlich im Gebet des Herrn zum Ausdruck, wo wir bitten, daß uns unsere Schulden so vergeben werden, wie auch wir die Schulden vergeben. Das bedeutet aber auch, daß mit dem Zerfall eines Schuldzusammenhanges auch die Schuld verfällt und nicht nachgetragen wird von einem Schöpfergott, der seine Geschöpfe liebt.

 

 

10. Gnadenlehre

Gnade ist reines Geschenk, gratis von Gott. Unverdient und unverdienbar. Wenn Gottes- und Nächstenliebe und Gottvertrauen in einer Gemeinde geübt werden, kann der Gnadenfluß gefördert werden.

Eine Grundgefahr des griechischen Denkens liegt darin, daß man versucht, den Gnadenstand nach den natürlichen Möglichkeiten des Menschen einzustufen. Das ist aber nicht richtig, weil seit einigen hunderttausend Jahren alles im Menschen sich über das Zentralnervensystem abspielt. Dadurch gibt es nicht einmal beim Menschen ein vorgegebenes Naturbild im strengen Sinn. Natürlich wäre demnach alles, was in Rahmen seiner natürlichen Auswahl wichtig und förderlich ist. Da sich dieses Idealbild laufend verändert, kann man auch nicht von einer festen Natur oder Übernatur reden.

Dazu kommt, daß offenbar der menschliche Geist redundant ausgelegt ist, wie wir es von der elektronischen Datenverarbeitung her kennen: Funktionen wie Sinus oder Cosinus, die kein besonderes intellektuelles Niveau verlangen, können im Rahmen eines sehr anspruchsvollen Programms sehr wohl wichtige Funktionen annehmen. Ähnlich ist es mit der Gnade. Sie kann mit den uns zur Verfügung stehenden Mitteln und mit Gottes Hilfe reiche Früchte tragen.

Man sollte auf jedem Fall mit Gnadenqualifikationen sehr vorsichtig umgehen und Fragen nach den vorher notwendigen und nachher nachfolgenden Gnadengaben möglichst vermeiden.

 

 

11. Sündenvergebung

In der christlichen Tradition wird gerne getan, als ob es einen großen Tresor für die Sündenvergebung gäbe, der von entsprechenden kirchlichen Stellen verwaltet wird. Tatsächlich vergibt nur Gott Sünden.

Sünde, Schuld und schlechtes Gewissen hängen notwendigerweise mit einem Sozialgefüge zusammen, dem der Mensch untergeordnet ist. Wenn sich dieses Gefüge auflöst, so ist auch der Schuldzusammenhang vorbei, kann und soll nicht in ein Jenseits, in die Zukunft oder Vergangenheit ausgedehnt werden. Abgesehen von allen Riten, die ihre Vor- und Nachteile haben mögen, gibt es eine besondere Art der Sündenvergebung, die im Johannesevangelium angedeutet wird: "Ihr seid bereits rein durch das Wort, das an Euch ergangen ist". Das bedeutet aber, daß es keine gleichzeitige Existenz von Gottes Wort und Sünde geben könne. Ähnliches lesen wir bei der Berufung des Propheten Jesaia, auf dessen Lippen eine glühende Kohle vom Altar gelegt wird, damit er rein und frei zur Verkündigung von Gottes Wort werde.

 

 

12. Opferkult

Ein schweres Mißverständnis ist der Opferkult. Er ist unvereinbar mit monotheistischem Denken, weil dem einen Gott, der Himmel und Erde erschaffen hat, nichts geschenkt werden kann. Vom ihm stammt alles und er kann nicht durch seine eigenen Geschenke getröstet, beschwichtigt oder beruhigt werden.

Bereits der Prophet Hosea sagt im 8. Jahrhundert vor Christus: "Barmherzigkeit will ich und keine Opfer". Das heißt: nur durch Barmherzigkeit, Nächstenliebe und Gottesliebe kann der sündige Mensch gerechtfertigt werden: Jeder andere Handel mit Verdiensten ist unzulässig. Trotzdem ist durch die Jahrtausende der Opferkult weitergepflegt worden, das sowohl in Israel - trotz der frühen prophetischen Mahner, als auch im Christentum, wo der Kreuzestod Jesu als Opfertod für die Sünden der Menschen uminterpretiert wurde. Sogar in die Eucharistiefeier Jesu hat man den Opfergedanken hineingelegt, obwohl es sich hier primär um das Bundesfest zwischen Gott und seinem Reich und seinen Menschen handelt.

Glücklicherweise ist das Gerede von der unblutigen Erneuerung des Kreuzesopfers wieder verstummt.

 

 

13. Priester- und Königtum

Priester- und Königtum waren schon im alten Ägypten, in Juda und Israel auf das Engste miteinander verbunden.

Das Priestertum hatte immer eine besondere Qualifikation und eine Sonderstellung. Den Priestern ist wie den königlichen Gottessöhnen eine Vermittlerrolle zwischen Gott und den Menschen zugeordnet worden. Eine solche Rolle ist in einem Monotheismus undenkbar, weil Gott allein und direkt seine Verbindung zum Menschen hat. Er haucht ihm den Geist ein und erleuchtet ihn. Er ist sein einziger Hirte. Er braucht keine Zwischeninstanzen. Er kann ihn direkt belehren und leiten.

Wenn Funktionäre hilfreich sein wollen, dann können sie das auf völlig anderer, nämlich solidarischer Basis tun. Damit scheint deutlich zu sein, daß sowohl im jüdischen wie auch im christlichen Leben die Periode der Priester endgültig abgelaufen ist. Wenn heilsame priesterliche Funktionen aus früheren Jahrhunderten übernommen werden sollen, so soll das auf dem Boden anderer organisatorischer Formen durchgeführt werden. Im Übrigen gibt es bei der Aufzählung der paulinischen Gnadengaben in den frühen christlichen Gemeinden auch keinen besonderen Hinweis auf priesterliche Funktionen. Alle hierarchischen Titel tauchen erst in späteren kirchlichen Organisationen auf und werden dort erst systematisch entfaltet.

Es kann natürlich sehr wohl sein, daß eine großkirchliche Organisation besonderer Strukturen bedarf; es besagt aber nicht, daß jede organisatorische Struktur von besonderer heilsgeschichtlicher Bedeutung sein muß.

 

 

14. Eucharistie

Eucharistie heißt Danksagung. Es ist die Teilhabe am Bundesfest Gottes mit seinem Volk. In der dogmatischen Formulierung von der Transsubstantiation wird die Rolle der Brotverwandlung völlig entstellt wiedergegeben. Denn Brot wird überhaupt nicht verwandelt, sondern die heilsgeschichtliche Bedeutung der Nahrungsaufnahme wird überhöht. Auch die Worte, die bei der Eucharistie gesprochen werden, sind nur ein Ausdruck für das Geheimnis des Gottesbundes und keine Zauberformel. Nicht die grundlegende Substanz wird verwandelt und die zufällige Erscheinungsform wird erhalten, sondern es gibt überhaupt keine lebende Substanz. In die Lebensfunktionen ist nur so lange etwas einbezogen, als es in diesem Lebenszusammenhang voll inbegriffen ist. Wollte man im strengen Sinn von lebender Substanz sprechen, so würden im Laufe eines Lebens mehr als zehn Tonnen lebenseigener Substanz entstehen.

Zu diesen grotesken Formulierungen des 4. Laterankonzils ist es bloß auf Grund eines verfehlten Substanzbegriffes gekommen, der davon ausgeht, daß jede Bewegung eine Veränderung von außen sein müßte. Es zeigt aber auch, daß das Verständnis für den semitischen Gottesbund immer noch nicht gewachsen ist und zum Großteil mit juridischen Spitzfindigkeiten verdrängt wird.

Gerade deshalb wäre es unendlich schade, wenn die Bedeutung eines so zentralen Geheimnisses an den Rand des Glaubens gedrängt würde.

 

 

15. Hoffnungen

Die Situation der Theologie ist nicht sehr erfreulich. Es besteht sogar die Gefahr, daß viel mehr durch eine plötzliche Reaktion zugrunde geht als durch das Hinausschieben von Problemen durch viele hundert Jahre zu erwarten ist.

Trotzdem bleibt im Zentrum Gottesliebe, Nächstenliebe und Gottvertrauen. So lange diese wichtigen Komponenten existieren und leben, ist kein Grund vorhanden, die Hoffnung aufzugeben.

 

 

Gliederung

1.     Monotheismus

2.     Der zweite Jesaia

3.     Deuteronomium und Zusammenbruch

4.     Gemeinsame christliche und jüdische Wurzeln

5.     Jesu Rückgriff auf den Monotheismus

6.     Das Missverständnis der frühen christlichen Theologie am semitischen Verständnis

7.     Fundamentale Begriffe des semitischen Denkens

8.     Personaler Gott

9.     Erbsünde

10. Gnadenlehre

11. Sündenvergebung

12. Opferkult

13. Priester- und Königtum

14. Eucharistie

15. Hoffnungen