Tønsbergs Blad, 12. 8. 1995:
Totalitarismus im Namen Gottes
von Svein E. Dittmann,
Arzt, spezielle Psychiatrie
In unserer demokratischen
Gesellschaft verwahren wir uns gegen Regime, welche Gedanken und Äußerungen
beherrschen. Der Bericht im Tønsbergs
Blad vom 22. Juni war ein Hinweis darauf, was sich im Gemeindeleben von Vestfold abspielt. Eine 33-jährige Frau erzählte über ihre
Erfahrungen mit der Gemeinde Smiths Freunde - eine Versammlung mit ziemlich
großem Zulauf. Weiters brachte die Zeitung ein Interview mit dem Pressesprecher
der Gemeinde.
Es ist beunruhigend, dass
Denkweisen, die wir aus totalitären Gesellschaftssystemen kennen, so vielen
Menschen in einer so intensiven Form vorgestellt und als das eigentliche
Christentum ausgegeben werden sollen. Eine Gruppe von Männern meint, die
Antwort auf die wichtigen Fragen des Lebens zu besitzen. Der Weg zu Gott geht
durch sie, nicht notwendigerweise durch das, was Gott selbst lehrt. Die Strafe
für Ungehorsam ist die Verdammnis. Alternativen gibt es keine.
Positiver Individualismus
Die Frau, die über ihren Bruch mit
den "Freunden" erzählte, muss eine bedeutende Portion persönlichen
Mut besessen haben. Dass sich eine Frau aus dieser Versammlung die Haare
schneidet, muss fast ebenso schwierig gewesen sein, wie das christliche
Evangelium zu Zeiten der Römer zu verkünden. Von Jesus selbst angefangen haben
starke Individualisten zur Entwicklung des christlichen Alltags und zu
Gemeindebildungen beigetragen - auch die Smiths Freunde. Doktrin bei den
"Freunden" ist jedoch inzwischen das Gegenteil: mach es wie wir (und
du wirst nicht mit all den anderen zugrunde gehen).
Die Mitglieder der Gemeinde
"Die Christliche Gemeinde" (Smiths Freunde) sind in größerem Maß als
bei anderen Gemeinden in diese hineingeboren. Es wird wenig nach außen hin
geworben, aber die Familien haben hohe Kinderzahlen. Diese Art von
"biologischer Mission" führt zu hohen Mitgliederzahlen, und die
Gemeinde pflegt wenig Kontakt mit der Umwelt. In einem solch geschlossenen
System gibt es Nährboden für autoritäre Oligarchien, welche systematischen
Gebrauch von Beeinflussung durch die Erziehung der Kinder nehmen, um ihre
Auffassungen zu verbreiten. Die Welt wird für die Jungen gespalten in "die
und wir", wobei die meisten Impulse von außen her verachtet werden müssen.
Es gibt ja auch viel Elend in der Welt, das bei den Smiths Freunden nicht
vorkommt. Wir finden sie kaum in der Statistik der Kriminalität und der
Ehescheidungen. Die größte Not dieser Zeit, die Einsamkeit und die Isolation,
sind wohl auch nicht das große Problem in Brunstad.
Wohlgemerkt, solange man nicht opponiert.
Selbsterfüllende Prophezeiung
Aus der Gemeinde auszubrechen ist
gleichbedeutend mit Zugrundegehen. Darin können die "Brüder" zum Teil
Recht haben. Die Mitglieder sind nicht darin ausgebildet, sich außerhalb der
Versammlung zurecht zu finden. Dies ist eine Tatsache,
für welche die Gemeinde zu einem bedeutenden Teil die Verantwortung trägt. Die
Behauptung über das Zugrundegehen wird mit einer solchen Autorität aufgestellt,
dass sie zu einer selbsterfüllenden Prophezeiung
wird. Wenn die Identität des Einzelnen auf Gleichheit und Unterwerfung
aufgebaut ist, dann gehört schon einiges dazu, um all die negativen Voraussagen
ertragen zu können. Die Verkündigung der Leitung wird leicht auch dann zur
Wahrheit, wenn der Bruch stattgefunden hat. Jeder Aufruhr wird zu einem
schmalen Pfad, den man gehen muss. Hätte man den Ausbrechern eine bessere
Zukunft vorausgesagt, dann hätten sie sich wahrscheinlich auch besser
zurechtgefunden. Auch die Frau in dem Artikel hatte nach dem Bruch eine
schwierige Zeit. Sie könnte von der Gemeinde als ein weiteres Beispiel
gebraucht werden, wie wichtig es sei, drinnen zu bleiben, aber sie schaffte es,
sich zu erheben - gegen alle Widerstände. Nun steht sie mit reifen Ansichten
da, in denen sie - im Gegensatz zum Pressesprecher - nicht alle über einen Kamm
schert. Es gelang ihr auch, den Glauben an Gott zu bewahren, auch wenn sich
ihre ehemaligen Glaubensvorbilder nun von ihr distanzieren.
Was ist "Wahrheit“?
Wenn der Pressesprecher Ausdrücke
wie "Unsinn", "konstruierte Probleme" und "böswilliger
Quatsch" bezüglich der Kritik der Ansicht der Smiths Freunde über die
Frauen gebraucht, dann sollten wir uns daran erinnern, dass dies jene
Wirklichkeit ist, wie sie sich vielen der "Freunde" darstellt. Etwas
anderes haben sie vielleicht nie gelernt. Die Männer halten sich offenbar für
fähig zu wissen, was alle Frauen in der Gemeinde fühlen - sie sind ja die
Lehrer der Frauen. Vielen in der Gemeinde geht es zweifellos gut - auch Frauen.
Auch da gibt es viel Liebe zwischen den Menschen, und nicht allen gelingt es,
Verwandte abzulehnen, die ausgebrochen sind. Die Smiths Freunde werden wohl von
den meisten als solide, verlässliche Menschen erlebt. Dies und die positiven
Seiten in der Gemeinde machen es in einem totalitären Zusammenhang noch
schwieriger, die eigene Versammlung mit kritischen Augen zu betrachten.
Spaltung der Umgebung
Die Spaltung der Welt in das Gute
und das Böse findet man als einen unreifen Persönlichkeitszug in den meisten
von uns. Wir können versucht sein, unsere Mitmenschen einseitig positiv oder
aber am liebsten negativ zu beschreiben. Die Wirklichkeit ist jedoch viel
komplizierter, da wir alle Träger von sowohl guten als auch schlechten Aspekten
sind. Wahre Weisheit ist es, die verschiedene Aspekte aneinander sehen und
dadurch einen ganzheitlichen Eindruck von unseren Mitmenschen bekommen zu
können.
Hackhügelwald
Wenn ganze Systeme, Gemeinden oder
Nationen, ihre Umgebung nur als böswillig betrachten, dann ist Gefahr im
Verzug. Die Gemeinde Smiths Freunde hat dies unter anderen mit den Zeugen
Jehovas und den Kindern Gottes gemeinsam, dass sie sich schwer damit tun,
Impulse von Ausbrechern oder der Gesellschaft ringsum zu empfangen. Dies zeugt
von Unreife im selben Maß, als man dies bei den alten Führern der Sowjetunion
sehen konnte. Nach und nach entsteht eine Spirale, in der ständig stärkere
Kritik Bedarf an ständig stärkerer Abschirmung erzeugt. Unter den Tieren im
Hackhügelwald wird der Fuchs beschuldigt, er wolle die Klettermaus fressen. Der
Fuchs bestreitet dies mit der Behauptung, es sei die Klettermaus, die ihn
fressen wolle. Diese Tendenz, die Problemstellung auf den Kopf zu stellen, ohne
sein eigenes Gewissen erforschen zu wollen, ist ein Kennzeichen für
geschlossene Systeme, welche viel zu verbergen haben.
Offenheit darüber, was die Smiths
Freunde eigentlich vertreten, ist der einzige Ausweg aus dem circulus vitiosus. Ist es denkbar, dass die Gemeinde nicht
jederzeit alles richtig gemacht hat? Ist man so schwach im Glauben, dass man
sein Ohr nicht für ein Weilchen anderen leihen kann? Muss alle Kritik an der
Gemeinde als Christenverfolgung erlebt werden?
Die Erziehungsverantwortung der
Gesellschaft
Die Gemeinde Smiths Freunde lässt
ihre Kinder in öffentliche Schulen gehen. Es sind oft die Lehrer, welche
Offenheit, das Wundern und die Fähigkeit vertreten, ein Ding von mehreren
Seiten zu betrachten. Als Mitmenschen dürfen wir übrigens nicht in die Falle
tappen, dass wir das Erlebnis der "Freunde" von Verfolgung und
Verleumdung auf Grund von falschen Voraussetzungen verstärken. Auch wenn die
Uniformierung unter den Mitgliedern offenbar ist, so sind sie untereinander
vielleicht ebenso verschieden wie wir andere.