Friedrich Griess
Hat der Missbrauch durch Priester wirklich nichts mit dem Zölibat zu tun?
Dies wird von kirchlicher Seite gebetsmühlenartig immer wieder behauptet, wobei man sich auf wissenschaftliche Gutachten stützt, die besagen, dass ein normal veranlagter Mann nicht des Zölibats wegen zum Pädophilen wird, und außerdem heißt es, die meisten Missbräuche würden ja ohnehin von Verheirateten, meist Verwandten verübt. Das ist aber nur die halbe Wahrheit.
Nach Aussage von Msgr. Charles Scicluna, einem offiziellem Sprecher der Glaubenskongregation, gehen nämlich weltweit nur 10% der Missbrauchsfälle durch Kleriker auf Pädophilie zurück, hingegen 60% auf sexuelle Anziehung zu männlichen Jugendlichen und 30% auf heterosexuelle Beziehungen. Insgesamt seien der Glaubenskongregation, seitdem sie 2001 diese Agenden übernahm, 3000 Missbrauchsfälle bekannt. (Quelle: http://ncronline.org/news/accountability/cdf-official-details-response-sex-abuse ) In 90% der Missbrauchsfälle handelt es sich also um Ephebophilie bzw. Parthenophilie, die mit zunehmendem Alter der Opfer ja kaum mehr von normaler Homo- bzw. Heterosexualität unterscheidbar ist. Der hohe Prozentsatz, der durch sexuelle Anziehung zu männlichen Jugendlichen veranlassten Missbräuche ist natürlich darauf zurückzuführen, dass aus nahe liegenden Gründen ein überdurchschnittlicher Anteil der Priester homosexuell ist und/oder dass durch die Seminarerziehung hauptsächlich das Fernhalten von Frauen zur Pflicht gemacht wird.
Im Wiener Priesterseminar werden bis zu 60% der Bewerber abgewiesen.
Dies zeigt, dass das Streben von ungeeigneten Kandidaten, u.a. Pädophilen, nach
diesem Beruf sehr stark ist. Zweifellos würde bei einer Aufhebung des
Pflichtzölibats der prozentuelle Anteil an pädophilen Bewerbern um das
Priesteramt sinken. Aber die krankhafte Pädophilie ist, wie gesagt, nicht das
Hauptproblem.
Innerhalb der katholischen Kirche Österreichs wurden in letzter Zeit 17
Missbrauchsfälle registriert, gegenüber 510 Fällen außerhalb der Kirche im
selben Zeitraum. (Quelle: http://www.katholisch.at/content/site/dossiers/article/51123.html
). 17 von 510 sind 3.33 %. Aber nur etwa 0.1% der erwachsenen Männer sind
Priester. Daraus ergibt sich, dass Priester etwa 33 Mal eher zu Tätern wurden
als durchschnittliche Männer. Laut einem Interview der "Furche" mit
Erzbischof Diarmuid Martin von Dublin vom 12. Februar 2004 gelten ähnliche
Zahlen auch für Irland. Auch wenn man berücksichtigt, dass nicht alle Täter
innerhalb der Kirche Priester waren und diese Relation daher statt 33
vielleicht nur 25 beträgt, ist das Ergebnis dennoch erschütternd.
Unter sexuellem Missbrauch in obigem Sinn werden gewöhnlich nur krasse Fälle verstanden, wo es zum Beispiel zur Berührung oder Betrachten von Genitalien oder Ärgerem kommt. Auch eine Broschüre der Erzdiözese Wien zu diesem Thema erwähnt zwar vage auch psychischen oder emotionellen Missbauch, aber dann ist nur mehr von diesen krassen Fällen die Rede (Quelle: http://stephanscom.at/service/dokumente/verhinderungvonmissbrauch.pdf ). Gerade die Kirche sollte doch wissen, dass der Mensch auch eine Seele hat. Diese Broschüre gehört dringend überarbeitet.
Ich habe ungehöriges Verhalten von Priestern erlebt, das
Jugendlichen emotionell schadete und bei dem ich überzeugt bin, dass es nicht
vorgekommen wäre, hätten diese Priester Familien gehabt.
Robert Bilgeri schreibt [1]: „Aus einer Metaperspektive lässt sich fragen, ob nicht auch die schuldig gewordenen Kleriker ‚Opfer’ eines Lehramtes und Keuschheitsgelübdes sind, welches ihre Sexualität aus ihrer persönlichen Entwicklung abspaltet (siehe Diskussion um den Pflichtzölibat). Natürlich entschuldigt das erwachsene und verantwortliche Kleriker nicht, wenn sie als Männer nach den simplen, so genannten ‚Dampfkesselmodell’ ‚Druck ablassen’ – sei es aggressiver oder sexueller Art und noch dazu gegenüber Kindern und Jugendlichen. Braucht es nicht die Einnahme mehrerer Blickwinkel – auch von außen – auf das Gesamtsystem Kirche mit seiner totalitären, hierarchischen Machtstruktur und seinem rigiden Lehramt, das in ethischen Fragen mit der Entwicklung der Humanwissenschaften nicht standhält?“
[1] In „Denn sie wissen nicht, was sie tun … Oder wissen sie es doch?“, in „Missbrauch: Kirche – Täter – Opfer“, herausgegeben von Rotraud A. Perner