Gerechtigkeit in der Kirche
"Gerechtigkeit in der Kirche" ist der Schwerpunkt, mit dem sich die KirchenVolksBewegung Wir sind Kirche am 96. Deutschen Katholikentag in Saarbrücken beteiligen wird, der unter dem Leitwort "Gerechtigkeit vor Gottes Angesicht" steht. So Christian Weisner in einer Verlautbarung von Wir sind Kirche... Seinerseits überreichte Papst Benedikt XVI neulich der Kirche und der Welt seine erste Enzyklika. Die Thematik überraschte all jene, die die institutionelle und konzeptuelle Härte des ehemaligen Präfekten der Glaubenskongregation zu spüren bekamen: Gott ist die Liebe, und davon sollte die Welt über die Jünger Jesu überzeugt werden. Wie verhalten sich Liebe und Gerechtigkeit zueinander?
Johannes Paul II sagte bei einem seiner Besuche in Argentinien, dass Gerechtigkeit "die Voraussetzung und erste Frucht der Liebe" sei. Auch davon muss die Kirche die Welt durch ihr eigenes Verhalten überzeugen können, sollte nicht die Warnung Jesu auch heute gelten: "Tut, was sie euch sagen, handelt jedoch nicht nach ihrem Vorgehen."
Aus dem Neuen Testament entnehmen wir zwei Grundrechte, die jeder Jüngerin und jedem Jünger Jesu zustehen: Voll und ganz im Dienste der Kirche seine Charismen entfalten zu können und das Recht, am Aufbau der Kirche kritisch und kreativ mitzuwirken.
1.Das Recht, in der Kirche sein Charisma zu entfalten.
Gott ist es der beruft, und ihm allein schuldet jeder Mensch Rechenschaft darüber, was er daraus macht. Aus dem Gleichnis der Talente entnehmen wir, dass Gott jedem Menschen Fähigkeiten zuteilt, die er fruchtbar einsetzen muss, will er vor Gottes Gericht bestehen (Mt 25, 14-30). Paulus nennt es Charismen, die der Geist Gottes verteilt, wie es ihm beliebt. Unter diesen Gnadengaben zählt er vor allem solche auf, die mit der Weitergabe und Vertiefung der Botschaft Jesu zu tun haben, wobei er vor allem die Gabe der Prophetie hervorhebt, die er allen wünschte. Kein Wort über ein Charisma, das sich "Priester" nennt.
Auf diesen individuellen Gaben baut sich die Kirche auf, wie ein geistiger Leib. Die Kirche, verstanden als Gemeinde, entdeckt und fördert die Träger solcher Gaben und der Bischof wird sie, im Geiste des Dienens, so einordnen, wie sie am besten sich entfalten können. Was jedoch niemandem zusteht ist der Anspruch "dem Geiste der Freiheit die Kanälen und Bedingungen zu diktieren, wie und in wem er zu wirken hat." (Bernhard Häring).
Kein Prophet hat je eine kirchliche oder weltliche Macht um Erlaubnis gebeten auch ihnen zu sagen was er im Gewissen zu sagen hat. Die Gaben der Unterscheidung der Geister wird nirgendwo einer einzigen Person oder Klasse zugeschrieben. Apostel (oder "Nachfolger") ist jede und jeder in der Kirche, der Jesus verkündet, nicht nur von einer Kanzel herab, sonder, was noch wichtiger ist, durch seine Haltung in Mitten der Welt. Mit anderen Worten: Das Charisma eines Christen gibt ihm das volle Recht, es auszuüben, und von Hirten und Oberhirten wäre der Eifer des Paulus zu erwarten: "Dass Jesus verkündet wird, darüber freue ich mich" (Phil 1,18), sei es über ihn selber oder über Apollo, mit reiner oder unreiner Absicht. Und daran schließt sich das andere Recht des Gläubigen an:
2. Das Recht alles zu prüfen und sich an das zu halten, was man im Gewissen für das Richtige hält (1 Tim 5,21) .
Für den gläubigen Christen ist Jesus von Nazareth der "Weg, die Wahrheit und das Leben". In ihm entdecken wir keine blinde Unterordnung unter religiöse Obrigkeit, ihre Normen und Traditionen, wie es etwa der Gründer des Opus Dei den Seinen als "Weg" empfiehlt. Er nimmt klaren Abstand von Priestern und Pharisäern, die nach seinen Kriterien ihr Volk sehr ungerecht an der Leine führen. Er gibt uns im Gleichnis vom guten Hirten klare Maßstäbe an die Hand, um gute Hirten von bösen zu unterscheiden. Er legt Wert darauf, auf das eigene Urteil zu bauen und sich nicht einfach nach der Meinung anderer zu richten, komme sie von woher auch immer ("Du hast recht geurteilt" Lk 7,43, "Ist es deine eigene Meinung, oder nur was du von anderen hörtest?" Joh 18,34). Jesus legte offensichtlich Wert darauf, dass der Mensch mit dem eigenen Kopf denkt und nicht für Lebzeiten von der Muttermilch lebt (Heb 5,12), auch wenn diese Mutter sich "Kirche" nennt. Keine Worte Jesu sprechen diesbezüglich klarer als jene, mit denen er seine Jünger ermahnt, sich nicht als Väter, noch als Herren oder Lehrmeister auszugeben (Mt 23,9-11) oder unter sich Unter-und Überordnungen zu schaffen, wie das bei weltlichen Herrschern vorkommt (Mt 20,25-28)
Paulus nimmt sich kein Blatt vor dem Mund, da wo es gilt dem ersten "Papst" seine Meinung zu sagen, ja ihn zurecht zu weisen (Gal 2,11) , wie es auch Heilige taten, einschließlich Frauen. Seine Mahnung ist bekannt, die er an alle Gläubigen richtet: "Alles prüfet und haltet euch an das, was ihr für richtig haltet" (1 Tim 5,21). Im ersten Konzil zu Jerusalem wurden Petrus und sein judenchristlicher Anhang vom Theologen Paulus und den Seinen überstimmt. Unvergesslich ist der Vermittlerdienst Johannes XXIII im Fall der Konstitution über die Offenbarung beim Vatikanum II, als das Konzil nahe am Zusammenbruch war. Auch der Papst und die Bischöfe müssen auf die Kirche hören, da wo sie lebt und sich bewegt. Theologen verurteilen, ausgrenzen und bestrafen widerspricht diametral dem Geiste und der Gerechtigkeit des Evangeliums.
Zusammenfassend kann gesagt werden
Der Anspruch der Kinder Gottes auf diese ihre Rechte ziehen sich wie ein goldener Faden durch das ganze Neue Testament, einmal mehr, einmal weniger kondensiert so, dass scheinbar entgegengesetzten Stellen im Lichte dieser Rechte interpretiert werden müssen. Nur in Freiheit erhält unser Handeln ihre ethische Dimension.
Gerechtigkeit in der Kirche heißt der Botschaft Jesu gerecht werden. Die Geschichte der Kirche zeigt, wie weit man zu Zeiten davon abgekommen ist. Deshalb dürfen wir die Mahnung des letzten Konzils nie vergessen: Die Kirche muss immer wieder erneuert werden. "Christus hat uns befreit, und nun sind wir frei. Bleibt daher fest und lasst euch nicht von neuem das Joch der Knechtschaft auflegen." (Gal 5, 1). Lassen wir diese Worte des Paulus ruhig in ihrem Kontext auf uns wirken. "Es geht um den Glauben, der in der Liebe wirksam ist" (v 6b).
Machen wir in der Kirche dieses unser Recht als Kinder Gottes geltend!
Franz Wieser