Folgt die katholische Kirche dem Zeitgeist?

 

Rufe der kirchlichen Basis nach Reformen werden von der kirchlichen Obrigkeit meist damit beantwortet, die Kirche dürfe sich nicht dem Zeitgeist beugen, sondern sie müsse der Tradition folgen. Nun wirft man der heutigen Gesellschaft wohl zu Recht vor, sie verherrliche die Jugend und habe für die Alten wenig übrig. Wie ist es aber damit in der Kirche?

In biblischer und apostolischer Zeit schätzte man die „Ältesten“, aus deren griechischem Namen presbuteroi sich ja bekanntlich die Bezeichnung „Priester“ ableitet; in der Apostelgeschichte werden sie häufig gemeinsam mit den Aposteln erwähnt. Man ehrte sie und holte ihren Rat ein, der auf langjähriger Lebenserfahrung beruhte.

        Die Kirche folgt in dieser Beziehung heute dem Zeitgeist, denn sie hofiert ebenso wie die profane Gesellschaft die Jugend, mit der plausibel klingenden Begründung, diese müsse über ihre Zukunft entscheiden, während die alten Leute ja nur mehr wenige Lebensjahre vor sich hätten und nicht bestimmen sollten, was nach ihrem Tod zu geschehen habe. Dies gilt aber wohlgemerkt nur für die Laien. An der Spitze der Hierarchie entscheidet sehr wohl ein nunmehr 83-jähriger Papst, wie die Zukunft der Kirche zu gestalten sei.

        Die Rufe nach Reformen werden heute hauptsächlich von älteren Menschen getragen, verhallen aber von der Kirchenleitung ungehört, auch wenn es sich wie seinerzeit beim Kirchenvolksbegehren um eine beträchtliche Anzahl handelt. Die Jugend, so sagt man, sei heute wieder konservativ, und dem müsse man Rechnung tragen. Auch die jüngeren Priester sind ja gemäß der Studie von Professor Zulehner vorwiegend konservativ. Wobei aber konservativ hier nicht bedeutet, die Werte zu bewahren, die uns von Jesus und den Aposteln überliefert sind, sondern „weitermachen wie bisher“. Offenbar wird aber hier Ursache und Wirkung verwechselt. Der Großteil der Jugend hat an einer Kirche, deren Praxis nicht nur unzeitgemäß, sondern auch unbiblisch ist, kein Interesse mehr. In dem kleinen Rest, der noch übrig ist, vereinen sich deren reformunwillige Interessen mit den ebensolchen der Hierarchie. Ist dies dem Sendungsauftrag Jesu gemäß, der lautet, die frohe Botschaft allen Menschen zu verkünden, wenn man dies auf eine gehorsamssüchtige Klientel einengt?

        Wird es gelingen, das Steuer herumzureißen, bevor die katholische Kirche zu einer völlig bedeutungslosen Minderheit geschrumpft ist? Es gibt einige hoffnungsvolle Zeichen. Noch in Amt und Würden befindliche katholische Universitätsprofessoren drängen auf Reformen. Walter Kirchschläger, Ottmar Fuchs, Rainer Bucher, um nur einige zu nennen. Auch Caritasdirektor Landau sagte neulich „im Journal zu Gast“ freimütig seine Meinung. Ich hoffe nur, dass es nicht eines weiteren „Winkes mit dem Zaunpfahl“ Gottes – wie des bekannt Werdens der sexuellen Missbrauchsfälle - bedarf, um die Kirchenführung zu einem Einlenken zu bewegen.

 

31. 10. 2010

Friedrich  Griess