Gunnel Vallquist:

Predigt im Dom zu Lund, Schweden, aus Anlaß des 900-jährigen Jubiläums
der Errichtung einer selbständigen nordischen Kirchenprovinz,
am Freitag, dem 2. Mai 2003

Die Lesung, die ich für diese ökumenische Vesper ausgewählt habe, gehört nicht zu den Evangelientexten der Osterwoche, aber sie vibriert dennoch vom Ostermysterium, vom lebendigen Wasser und Licht. Sie stammt aus dem bemerkenswerten Gespräch zwischen Jesus und der Frau am Jakobsbrunnen, ein Gespräch voll der Zusage von Leben und Erneuerung. Jesus sprach über ein Wasser, das er geben möchte: "Wer davon trinkt, wird niemals mehr dürsten; das ist eine Quelle, die von ewigem Leben fließt." Nun stellt die Frau ihm eine neue Frage, und hier ist der Text:

"Unsere Väter haben auf diesem Berg Gott angebetet; ihr aber sagt, in Jerusalem sei die Stätte, wo man anbeten muß." Jesus sprach zu ihr: "Glaube mir, Frau, die Stunde kommt, zu der ihr weder auf diesem Berg noch in Jerusalem den Vater anbeten werdet. Ihr betet an, was ihr nicht kennt, wir beten an, was wir kennen; denn das Heil kommt von den Juden. Aber die Stunde kommt, und sie ist schon da, zu der die wahren Beter den Vater anbeten werden im Geist und in der Wahrheit; denn so will der Vater angebetet werden. Gott ist Geist, und alle die ihn anbeten, müssen im Geist und in der Wahrheit anbeten."

Was hat dieser Text uns zu sagen, die wir uns zweitausend Jahre später in Lunds Domkirche versammelt haben? Wir sind hierher gekommen, um ein Jubiläum zu feiern: 900 Jahre sind vergangen, seit der Norden eine selbständige Kirchenprovinz wurde. Diese Kathedrale in der Ebene, Lunds Domkirche, wurde während einiger Jahrzehnte die Metropole, der "Berg", von dem das kirchliche Leben in unsere Länder ausstrahlte. Nun haben wir uns wieder hier versammelt, Christen aus verschiedenen nordischen Ländern, aber auch aus verschiedenen Kirchen. Wir haben uns zum Fest versammelt, aber auch zum Nachdenken, um aufeinander zu hören. So wurde dieser Text in der Tat für uns ebenso aktuell wie für die Frau am Jakobsbrunnen; wir können uns sofort wiedererkennen. Er beschreibt einen typischen Konflikt zwischen Glaubensgemeinschaften, einen Konflikt um die rechte Gottesanbetung. Beide Partner erheben den Anspruch, es am besten zu wissen. Was soll ein ehrlicher Suchender tun?

Die Frau am Brunnen wurde nachdenklich. Sie hat verstanden, daß Jesus ein Prophet ist, und nun bittet sie ihn um eine Antwort auf die Frage. Woran soll sie sich halten? Wie so oft legt Jesus seine Antwort auf ein Niveau über der Fragestellung. Er stellt nicht die streitenden Partner gleich: In Samaria betet man den selben Gott an, ohne ihn als Vater zu kennen, aber in Jerusalem weiß man,. wen man anbetet, "da das Heil von den Juden kommt".

Dennoch wird die Antwort nicht die, daß die Leute in Samaria nach Jerusalem hinüberwechseln müssen. Nein, Jesu Antwort enthält statt dessen eine Befreiung vom eigentlichen Problem; er lädt uns ein, den Blick von unserem menschlichen kleinkarierten Niveau zur göttlichen Perspektive emporzuheben: "Weder auf diesem Berg noch in Jerusalem sollt ihr den Vater anbeten; die Zeit ist gekommen, da alle wahren Gottesanbeter den Vater im Geist und in der Wahrheit anbeten werden."

Jesus gab eine Antwort, die von den vielen nicht verstanden wurde. Nicht damals und auch nicht in der Fortsetzung. Die Zeit zwischen damals und jetzt ist voll von Beispielen von Streitigkeiten darüber, wie die rechte Anbetung verwirklicht werden sollte. Der eine heilige Ort hat seine Tradition über die anderer behauptet. Sehr viele verschiedene Traditionen sind entstanden und wurden etabliert. Die Christenheit wurde Jahrhundert für Jahrhundert, ja sogar tausend Jahre lang gezwungen, mit der Unzukömmlichkeit, der Erbsünde der Spaltung leben zu müssen, einer Sünde, die den Leib Christi, der die Kirche ist, entzweit. Und wir haben uns meist in der Gewißheit zur Ruhe gesetzt, daß auf jeden Fall wir, unsere Gemeinschaft, sich auf der richtigen Seite, auf dem richtigen Berg, befinde.

Aber die Sehnsucht nach der Anbetung im Geist und in der Wahrheit hat niemals aufgehört. Das Gebet "Komm, heiliger Geist" ist zu Pfingsten von allen heiligen Bergen der Christenheit emporgestiegen. Der Heilige Geist, der Geist der Wahrheit, der Herr und Lebensspender, hat während des vor kurzem vergangenen Jahrhunderts mit seinen extremen Krisen, Konvulsionen und Leiden ein neues Bewußtsein, eine neue Einheitssehnsucht in der Christenheit geweckt. Propheten sind aufgetreten und haben verkündet, die Spaltung sei ein Skandal, der aufhören müsse. Sie müsse aufhören, denn sie hindere uns daran, den Auftrag auszuführen, den der Herr uns gab: Daß eine geeinte Kirche der Welt eine frohe Botschaft verkünde und dadurch selbst verwirkliche, daß sie Friede zwischen den Völkern stifte und Freiheit für die Gefangenen und Brot für die Armen fordere. Solange wir durch unsere Lehrstreitigkeiten untereinander getrennt sind, kann die Kirche niemals ein glaubwürdiges Zeugnis für Christus werden; sie kann niemals das Reich Gottes verwirklichen.

Immer mehr Christen sind zur Einsicht darüber erwacht, immer mehr sind im Herzen von Jesu Gebet zu seinem Vater am Abend vor dem Leiden betroffen: "Vater, ich bitte, daß alle eins seien, damit die Wett glaube" - dieses Gebet, dem man nie erlaubt, in Erfüllung zu gehen, weil die Kirchen immer etwas anderes haben, das bevorzugt werden muß.

Also eine hoffnungslose Situation? Ja, wenn man sich an der Hoffnung auf eine äußere, institutionelle Einheit festmacht, ein gemeinsames Regelwerk, das auf die verschiedenen Berge angewandt wird. Aber laßt uns auf Jesu Worte hören: "Weder auf dem einen Berg noch auf dem anderen, sondern im Geist und in der Wahrheit anbeten?" Das richtet sich in erster Linie an jeden einzelnen Christen: Du und ich sind persönlich für die Einheit verantwortlich, um die Christus betet und nach der wir uns sehnen. Wir müssen in eine ehrliche Gewissenserforschung eintreten. Da lernen wir zu entdecken, daß es in uns einen Sektierer gibt, einen Zeloten, dem es mehr darum geht, Grenzen zu ziehen, als Mauern niederzureißen. Sich in seinem Kontrast gegen andere zu profilieren. Unterschiede zu markieren statt Gleichheiten zu suchen. Wir entdecken bei uns selbst, daß ökumenische Gesinnung: Offenheit, Toleranz, geduldiges Hören und Liebe überhaupt nicht leicht zu erreichen und aufrecht zu erhalten sind. Niemand kann im Geist und in der Wahrheit für die Einheit arbeiten, ohne durch eine regelrechte Umkehr zur Einheit gegangen zu sein. Immer wieder müssen wir sagen: Herr, erbarme dich!

Aber in der neuen Perspektive, die sich für uns öffnet, wenn wir einmal den Blick erhoben haben, kann die Spaltung tatsächlich einen anderen Inhalt und eine andere Funktion bekommen: Sie zeigt sich nicht mehr als eine Sünde, von der uns zu befreien wir nicht zulassen; sie ist gleichzeitig eine Sünde, welche der Herr zur Gnade wenden kann, eine solche felix culpa, die in der Heilsgeschichte nicht selten vorkommt. Wir entdecken, daß die Spaltung tatsächlich als heilsame Buße für die Machtlust und den Triumphalismus dienen kann, für die fehlende Demut in der Kirche, die so oft die Botschaft des Evangeliums verdunkelt hat. Wir sehen ein, daß wir mit den Demütigungen der Spaltung leben müssen, wir verdienen nichts Besseres.

Aber es bleibt nicht bei dieser heilsamen Askese stehen. Die große und umwälzende Entdeckung wird die, daß, obwohl die Strukturen der Kirche Mängel aufweisen, es eine Gemeinschaft gibt, die nicht zerbrochen ist, eine Gemeinschaft, die noch lebt, teilweise sichtbar, teilweise im Verborgenen: Die Gemeinschaft im Geiste, in der Frömmmigkeitstradition. Diese geistliche Gemeinschaft lebt im christlichen Volk, vielleicht vor allem bei den Mystikern in unseren verschiedenen Gemeinschaften; sie hat tiefe Wurzeln in einem sakramentalen Erdreich von Gebet und Andacht und erhält ihre Nahrung vom Heiligen Geist, der bläst wo er will und sich nicht binden oder auslöschen läßt.

Diese unsichtbare Gemeinschaft, die es gibt und die man nicht verhindern kann, öffnet für unseren inneren Blick ein grenzenloses Feld geistlicher Reichtümer, die auf anderen Bergen als unserem eigenen emporgewachsen sind und gepflegt werden. Teile von Jesu Verkündigung, die bei uns in den Schatten geraten sind und die emporzuheben und zu vertiefen andere als ihre Berufung angenommen haben. Gemeinsam können diese Gnadengeschenke die Harmonie und die Vollendung erreichen, die nur der Ganzheit eigen ist. Diese Reichtümer müssen wir schon jetzt erforschen und uns in sie hineinleben, sie uns aneignen und mit ihnen eins werden. Und in dem Maß, als wir uns an diese Freiheit im Geist und an diese Wahrheit gewöhnen, werden wir entdecken, daß wir an der geistlichen Tradition der anderen teilnehmen; da können wir nicht selten den Herzschlag des Glaubenslebens unserer eigenen Kirche erkennen. Und wir dürfen das Wasser des Lebens umsonst empfangen.

So können wir furchtlos des Geistes reiche Mannigfalt von Gaben in einer unsichtbaren evangelischen, katholischen und orthodoxen Gemeinschaft entgegennehmen, während wir auf die kirchliche Fülle warten, die keine Gesellschaft gewähren kann, solange der Wille, Christi Gebet zu entsprechen, nicht stärker als alles andere ist. Erst wenn die Bekehrung unseres Willens erfolgt ist, kann die christliche Kirche wahrhaftig von sich selbst sagen: "Nun lebe nicht mehr ich; es ist Christus, der in mir lebt." Vielleicht trifft dies erst am jüngsten Tag ein; es wirkt fast so. Deshalb beten wir: Herr, komm bald. Marana ta.

Original in schwedischer Sprache. Übersetzung: Friedrich Griess