http://www.svd.se/statiskt/kultur/understreck/understreck010111.asp

Svenska Dagbladet, 11.1.2001

Die Schleier des Geheimnisses werden vom Opus Dei weggezogen

In der katholischen Sekte Opus Dei werden die Mitglieder bis ins Kleinste kontrolliert und bekommen stereotype Vorstellungen eingeprägt. Dies geht aus dieser Durchsicht von Büchern hervor, in denen Forscher und Aussteiger das Leben in der Sekte im Detail schildern.

Von Gunnel Vallquist

Die katholische Sekte Opus Dei war hierzulande bisher meist für ihre Zusammenarbeit mit dem Francoregime und mit lateinamerikanischen Rechtsdiktaturen bekannt. Hier in Europa hat sie mit wechselndem Erfolg im Geheimen gesellschaftliche und kirchliche Institutionen infiltriert. Am schlimmsten ist jedoch die geistliche und psychologische Suggestion, die sie auf die frommen und guten Menschen ausübt, die ihrer Indoktrination ausgesetzt sind und in ein übles System hineingezogen werden, vor dem man nicht genug warnen kann.Die beste Art, das Wesen und Wirken dieser Gemeinschaft kennen zu lernen, ist es, Bücher zu lesen, die den Schleier des Geheimnisses ihres inneren Lebens lüften. Eine ausgezeichnete Einführung ist The Secret Word of Opus Dei des englischen Historikers Michael Walsh (1985).

Der Verfasser hatte Zugang zu sonst nicht zugänglichen Dokumenten, z.B. "Cronica", die privaten Rundbriefes des "Werks", und hatte einige "Aussteiger" interviewt, die über die Sitten und Gebräuche der Sekte berichteten. Alle seine Angaben kommen mir offensichtlich zuverlässig vor, nicht zuletzt weil ich an der "Rezension" des Buches teilgenommen habe, wie auf der Homepage der Sekte zu lesen ist. Außer den üblichen indignierten Ergüssen über die Wertlosigkeit des Buches fand man nur zwei Angaben, die widerlegt werden konnten: die eine betraf eine Adresse, die andere die Bedienung des Gründers, des "Vaters". Nicht ein einziges von hunderten Beispielen von empörenden Zuständen und unethischem Handeln konnte widerlegt werden oder wurde überhaupt diskutiert.

Wünscht man konkretere Informationen, dann kann man einige der Bücher zur Hand nehmen, die von ehemaligen Sektenmitgliedern verfaßt wurden. Es gibt viele Aussteiger, aber nicht so viele, die bereit wären zu offenbaren, welchen Maßnahmen sie in ihrer Zeit in der Sekte ausgesetzt waren; sie können sich privat anvertrauen, aber wagen nicht einmal, offen mit Priestern oder Bischöfen zu sprechen. Sie haben ganz einfach immer noch Angst vor dem Opus Dei. Man hat ihnen eingeredet, daß "die rettende Gnade den Opus-Dei-Mitgliedern durch die Gnade des Gründers zuteil wird ... und wer sich selbst von dieser Gnadenquelle trennt und sich außerhalb dieser göttlich inspirierten und unveränderlich vollkommenen Institution stellt, sich nur ewige Verdammnis erwarten kann" (Walsh).

Ich werde zwei seriöse Bücher vorstellen, welche das Leben im Opus Dei im Detail schildern. Das eine ist von einem deutschen Theologen, Klaus Steigleder: Das Opus Dei, eine Innenansicht (1983), das andere von einer Spanierin aus der ersten Generation weiblicher Mitglieder, Maria del Carmen Tapia: Beyond the Threshhold, a Life in Opus Dei (1995). KS gehörte der Gemeinschaft in den Siebzigerjahren fünf Jahre lang an, MCT achtzehn Jahre lang in den Fünfziger- und Sechzigerjahren. Die Schilderung beider, wie sie in das Opus Dei hineingezogen wurden, zeigt genau die gleiche Taktik. KS war vierzehn, als ein älterer Schulkamerad sich ihm näherte, über alltägliche Themen sprach, aber auch etwas über Religion, über Kirche usw. Der Jüngerer fühlte sich natürlich durch das Interesse des Älteren geschmeichelt.

Bald ging er mit zu einem Klub mit einem neutralen Namen und später auch zu einem Studentenheim mit ebenso neutralem Namen; bei beiden stellte sich heraus, daß sie zum Opus Dei gehörten. Klaus war in der Schule tüchtig und ein frommer Katholik, aber von jetzt an wurde alle seine Freizeit durch Vorträge, Ausflüge und zum Schluß auch durch eine von der Gemeinschaft veranstaltete Romreise ausgefüllt. Gleichzeitig wurde er durch den Kameraden und einen "geistlichen Führer" einer immer intensiveren Bearbeitung ausgesetzt, zuerst, daß er bei einem Opus-Priester statt bei seinem normalen Pfarrer zur Beichte gehen sollte, dann, daß er einsehen solle, es sei Gottes Wille, daß er sich dem Opus Dei anschließen solle, statt Kapuziner zu werden, wie er es wünschte. Klaus zögerte zu Beginn, nicht zuletzt deshalb, weil er streng dazu angehalten wurde, seine Eltern nicht in die Opus-Pläne einzuweihen, aber nach einiger Zeit gab er nach, bat um die Aufnahme in das Opus Dei und verpflichtete sich für sein ganzes Leben zu Ehelosigkeit, Armut und Gehorsam. Er war gerade fünfzehn Jahre alt geworden. Von einem formellen Gelöbnis war nicht die Rede, dies wäre kanonisch unzulässig gewesen, aber man ließ ihn wissen, daß der gefaßte Beschluß ihn für sein ganzes Leben verpflichtete.

Maria del Carmen Tapia, die einem bedeutenden und einflußreichen spanischen Geschlecht angehörte, war siebzehn, als sie vom Opus Dei eingefangen wurde. Ihre Familie, welche die Sekte wohl kannte, billigte den Kontakt nicht, umsomehr als sie verlobt war und bald einen Mann heiraten sollte, den sie liebte. Aber dem Opus Dei gelang es nach intensiver Bearbeitung, sie davon zu überzeugen, daß sie eine "höhere" Berufung hatte, und schließlich gab sie nach. In einem langen Kapitel, genannt The Making of a Fanatic, schildert sie ihre Lehrjahre in Spanien. Sie mußte aufhören, ihre Freunde und Freundinnen zu treffen, um ganz im "Werk" und in einem infantilen Personenkult des Gründers, des "Vaters", aufzugehen. (Nicht nur sein Porträt, sondern auch dies seiner Eltern und Geschwister schmückten die Wände in den verschiedenen Häusern des weiblichen Zweiges; sie sollten diese "Großvater" und "Großmutter", "Onkel" und "Tante" nennen, ihnen zu Festtagen gratulieren und ihnen Weihnachtsgeschenke geben.)

Nach einigen Jahren wurde Tapia an das Hauptquartier in Rom versetzt, wo sie als Sekretärin für den "Vater" dienen sollte, eine unerhörte Gunst. Escrivá de Balaguers charismatischer Magnetismus wurde oft bezeugt, aber hier wird er vor allem als eine Person geschildert, die von ihrer eigenen Größe erfüllt, rücksichtslos brutal in seinen Schelten Untergeordneten gegenüber war. Zankte er mit einer Frau, dann konnte das Schimpfwort "Sau" zur Anwendung kommen. Maria del Carmen Tapia war wie alle anderen dazu angehalten, jedes Wort aufzuschreiben, das er äußerte, da diese Worte "für die Zukunft wichtig" werden könnten (er zielte offenbar auf seine eigene Kanonisierung hin). Wenn sie dagegen verstieß, wurde Tapia vorgehalten, sie habe "nicht aufgeschrieben, was der Vater heute gesagt habe, sondern statt dessen geschrieben, er wäre traurig oder empört gewesen". Escrivás Beatifikation (Seligsprechung) 1995 (?) folgte auf einen zweifelhaften Prozeß, zu dem negative Zeugnisse nicht zugelassen waren. Das Amt des advocatus diaboli, dessen Aufgabe es ist, Einwände vorzulegen, die man gegen eine Heiligsprechung finden könnte, war bei dieser Gelegenheit abgeschafft worden.

Wie aus diesen beiden Büchern zu urteilen ist, scheinen Ausbildung und Arbeitsaufgaben für den männlichen und den weiblichen Zweig der Gemeinschaft (welche voneinander völlig getrennt waren und unter anderem nicht einmal die jeweils andere Anschrift kannten) sehr verschieden gewesen zu sein. Etwas war jedoch für beide Kategorien gemeinsam: Übervolle Arbeitsprogramme, Mangel an Schlaf und zunehmender Streß. MCT, der außer anspruchsvollen Aufgaben in der Kanzlei in Rom auch harte körperliche Arbeit in Verbindung mit Umbauten im Hauptquartier aufgebürdet wurde, richtete sich in dieser Zeit durch Aufräumarbeiten fast zugrunde. Auf der männlichen Seiten riskiert man solches nicht, man braucht kaum sein Bett selbst zu machen. Statt dessen geht man eine theoretische Ausbildung durch, die keine freie Minute zum Nachdenken läßt. KS berichtet im Detail vom Programm, das zum großen Teil aus festen Serien von Vorträgen über die Organisation des "Werks", dessen "Geist", dessen "Normen" und tausende Detailvorschriften für das tägliche Leben besteht. Diese Vorträge werden ständig wiederholt, so daß man sie mehr oder weniger auswendig kennt.

Dies erklärt den roboterhaften Eindruck, den man aus den Antworten der Mitglieder auf Fragen gewinnt. Auf diese Weise werden auch falsche Grundvorstellungen eingeprägt, die für das Selbstbewußtsein der Sekte wichtig sind. So wird ständig behauptet, der Gründer Escrivá de Balaguer sei der erste gewesen, der verkündete hätte, daß auch Laien zur Heiligung druch ihre tägliche Arbeit berufen wären - eine Wahrheit, die für alle zumindest seit der seelsorgerischen Tätigkeit des Franz von Sales im 17. Jahrhundert und besonders durch die sogenannte Actio Catholica bekannt ist, die nach dem ersten Weltkrieg große Scharen junger Katholiken: Arbeiter, Studenten, Intellektuelle usw. zum "Apostolat in ihrem eigenen Milieu" sammelte. Sogar den für alle katholische Spiritualität grundlegenden Gedanken, daß "die heilige Messe der Mittelpunkt und die Wurzel des inneren Lebens" sei, wurde, so wird behauptet, vom "Vater" entdeckt. Dieser soll das Zweite Vatikanische Konzil dazu inspiriert haben, diese "neue" Erfahrung" vorzulegen.

Daß gleichzeitig mit dieser Indoktrination seriöse Studien betrieben werden könnten, wie das "Werk" behauptet, ist fast unmöglich. KS wollte Philosophie und Theologie studieren. Nicht einen einzigen modernen Philosophen durfte man lesen, und moderne Theologen nur in fragmentarischer Form. Thomas von Aquin ist der einzige Normgebende, aber Thomas in einer ganz bestimmten Richtung und gemäß einer bestimmten theologischen Grundanschauung erklärt, von der behauptet wird, sie sei die "ungebrochene katholische Tradition". So wird, sagt KS, der Philosophie- und Theologiestudent vor allem einer, der genehmigte "'Lösungen' und 'Antworten' auf 'Fragen' und 'Problemstellungen' eingelernt hat, die niemals wirkliche Fragen oder Probleme waren". Das "Apostolat" ist für die Mitglieder eine Hauptsache, aber das Wort erhält beim Opus Dei eine ganz eigene Bedeutung. Es reicht nicht, für Christus oder die Kirche Zeugnis abzulegen; es gilt vor allem, neue Anhänger für das "Werk" zu rekrutieren, möglichst zwei pro Jahr.

Jedes Mitglied soll mit einer Anzahl von "Freunden" nach einem bestimmten Muster arbeiten, die "Freundschaft" hat überhaupt keinen Eigenwert, sie ist ausschließlich ein Mittel für die Werbung. Sollte der Freund "abfallen", so existiert er nicht mehr, man grüßt ihn nicht mehr, tut so, als ob man ihn auf der Straße nicht sehe. Aber während der Werbephase wird mit ihm mit aller möglichen Wärme und Fürsorge umgegangen, und man beschäftigt sich so gründlich mit ihm, daß er keine Zeit dafür hat und sich nicht darum kümmert, seine früheren Freunde oder seine Angehörigen zu treffen. Außerdem wird er dazu verlockt, sein intimsten Angelegenheiten dem Opus-Dei-Freund anzuvertrauen. Was er nicht weiß, ist, daß das Anvertraute nicht beim "Freund" stehen bleibt, sondern an dessen Gruppenleiter weitergegeben und von der ganzen Gruppe diskutiert wird, die auch den nächsten Schritt in dem Prozeß plant, der dazu führen soll, daß der Adept "pfeift" - der Fachausdruck des Opus Dei für den Wunsch nach Eintritt in die Gesellschaft. Gleichzeitig wird er von dem Opus-Dei-Priester bearbeitet, von dem er beeinflußt wird, ihn als Beichtvater zu wählen.

Daß das Beichtgeheimnis auf diese Weise in Gefahr gerät, ist offenbar, besonders da das Sektenmitglied wöchentlich sein ganze Innere und alle seine Probleme dem geistlichen Leiter offenlegen muß, der nicht Priester und daher nicht der kanonischen Schweigepflicht unterworfen ist. Dies ist für die Leitung eine wirkungsvolle Methode, um jedes Mitglied bis ins Kleinste zu kontrollieren. Eine solche "manifestation of conscience" konnte früher im katholischen Ordensleben vorkommen, aber niemals mit einer solchen Häufigkeit; einmal oder einige Male im Jahr. Wegen des offenbaren Risikos von Mißbrauch wurden diese Übungen im kanonischen Recht verboten, ein Verbot, welches in Kraft war, als der Gründer Escrivá verlangte, es solle im Opus Dei obligatorisch sein. Wie dessen Konstitutionen unter diesen Umständen von den römischen Behörden genehmigt werden konnten, ist unerklärlich.

Diese Bücher berichten über schrecklichen Tatsachen, aber dennoch ist es beider Anliegen, die Gesellschaft auf den rechten Weg zu bringen. MCT weist stets darauf hin, wenn bezüglich der Verhältnisse, welche sie schildert, eine Veränderung eintrat. Die Menschen, die sie beschreibt, werden in der Regel als sympathisch und gut geschildert, die negativen Porträts sind selten und nuanciert. Was ihr Buch glaubwürdig macht, ist besonders der Umstand, daß alle Personen namentlich genannt werden: jede Situation, die sie beschreibt, hat so mehrere Zeugen: er wimmelt von solchen, da ihre Schilderung achtzehn Jahre umfaßt. Daß sie mehr emotionell geprägt ist als das Buch von KS, erklärt sich dadurch, daß sie während ihrer langen Zeit im Opus Dei psychisch völlig niedergebrochen wurde - ihr völliger Mangel an Widerstandskraft während der widrigen Prozedur, die ihrem Ausschluß vorausging, hat eine interessante Parallele in der Haltung der Angeklagten in den Moskauer Prozessen 1937.

Steigleder hingegen fand sehr schnell seine normale kritische Urteilskraft wieder. Sein Bericht, in dem weniger Personen auftreten und durchgehend fingierte Namen tragen, enthält die meisten Fakten bezüglich des Aufbaus und der Organisation der Gesellschaft. Trotz der betroffen machenden Einblicke in die Studienordnung des männlichen Zweiges, das "Apostolat" und die verzweifelten Versuche, den jungen Klaus am Austreten zu hindern, gibt er dennoch zu erkennen, daß es auch positive Züge gibt: Bruderliebe, Einführung in ein Andachtsleben, das früher für fromme Katholiken normal war, mit dem aber die letzten Generationen oft den Kontakt verloren haben. Er fühlte sich moralisch gezwungen, sein Buch zu schreiben, weil er überzeugt war, daß die kirchlichen Behörden, vor allem in Rom, unmöglich die wirklichen Verhältnisse gekannt haben können, als sie die Türe für diese "Neuordnung" öffneten, die das Opus Dei in der Kirche beinhaltet. Er meint, die Sekte sei so gefährlich, daß man sie enttarnen müsse. Ich zitiere den letzten Abschnitt in seinem Buch:

"Daß es dem Opus Dei gelingt, im Gewand einer heute eher selten gewordenen Kirchlichkeit zu erscheinen, mit ebenso angestrebter wie vermeintlicher Treue zur Hierarchie und dem, was diese als Lehre der Kirche vorstellt, verstellte bisher vielen Bischöfen und Päpsten den Blick für das, was die Realität des Opus Dei ist. Das ließ warnende Stimmen, die nicht gefehlt haben, bisher als unwahr erscheinen und nicht ernstnehmen. Das Gewand scheinbarer Kirchlichkeit, das oftmals verdeckte Auftreten des Opus Dei, die Fülle an Falschinformationen und der Mangel an Kenntnis über die Vereinigung bewirkten und bewirken bei Eltern und Seelsorgern eine verhängnisvolle Sorglosigkeit und ein tragisches Zutrauen gegenüber dem Opus Dei. Sie seien eindringlichst gewarnt! An die Verantwortlichen der Kirche sei appelliert, eine genaue und sehr eingehende Untersuchung des Opus Dei vorzunehmen und dringend notwendige Maßnahmen zu ergreifen. Diejenigen, die um die Realität der Vereinigung wissen, seien ermutigt, ihr Schweigen aufzugeben."

Gunnel Vallquist ist Mitglied der Schwedischen Akademie
Übersetzung: Friedrich Griess