Die schwedische Autorin Prof. Gunnel Vallquist, 1918 geboren, konvertierte 1939 zur katholischen Kirche. Sie verbrachte Ihre Jugend in Uppsala, lebte dann einige Zeit in Paris, wo sie die neue Entwicklung der Theologie bereits vor dem Konzil mitverfolgte, und war dann während des Konzils schwedische Korrespondentin in Rom. Seit 1982 ist sie, als Literaturwissenschaftlerin, Mitglied der schwedischen Akademie und derzeit auch Redaktionsmitglied der norwegischen katholischen Zeitschrift "St. Olav", wo sie offenherzig ihre Meinung vertritt. Ihre aufrüttelnden Artikel erscheinen in mehreren skandinavischen Zeitschriften, und sie schrieb eine Reihe von Büchern, darunter 4 über das Konzil, die Anfang 1999 in einem Sammelband unter dem Titel Dagbok från Rom [Tagebuch aus Rom] als Neuauflage erschienen sind und wozu der nachstehende Prolog verfaßt wurde.

Prolog 1998

Das zweite Vatikanische Konzil ist das größte Ereignis des zwanzigsten Jahrhunderts in der katholischen Kirche. Auch für die übrige Christenheit wirkte es stimulierend und inspirierend.

Vierhundert Jahre lang hatte die römische Kirche ihr eigenes Leben gelebt, getrennt von ihrer östlichen Hälfte, der orthodoxen Schwesternkirche, und in Kontroverse mit den Kirchen der Reformation. An verschiedenen Orten der katholischen Christenheit, vor allem in Frankreich und Deutschland, gab es ein wachsendes Bewußtsein darüber, daß die Kirche nicht nur mit der Zeit aus dem Takt gekommen war, sondern auch den Kontakt mit ihrer eigenen Geschichte verloren hatte. Das kirchliche Leben und das theologisch Denken waren von der Gegenreformation und vom Antimodernismus geprägt. Die "neue Theologie", die nun in der Zwischenkriegszeit heranzuwachsen begann und nach dem zweiten Weltkrieg Form und Schwung annahm, wollte von starren Kategorien aufbrechen und zur Jugend der Christenheit zurückfinden , zur Zeit der ungeteilten Kirche. Gegenüber einer fast alleinherrschenden scholastischen Theologie behauptete man das Recht auf theologischen Pluralismus und einen erneuerten Kontakt mit den Quellen des Christentums: der Bibel, der Liturgie und den Kirchenvätern. Diese Strömungen stießen, vor allem in den Fünfzigerjahren, in Rom auf starkes Mißtrauen und heftigen Widerstand.

Als Pius XII. 1958 nach einem langen Pontifikat starb, folgte ihm der siebenundsiebzigjährige Angelo Roncalli nach, den man sich als einen stillen Übergang zum nächsten Pontifikat vorstellte. Er nahm den Namen Johannes XXIII. an. Bereits das war eine Überraschung, denn es war lange her, daß ein Papst diesen Namen gewählt hatte. Die große Überraschung kam ein halbes Jahr später, als Johannes unerwartet seine Absicht verkündete, alle Bischöfe der Kirche zu einer allgemeinen Kirchenversammlung, einem Konzil, zusammenzurufen. Dessen Ausgabe sollte eine Erneuerung der Kirche sein, ein aggiornamento.

Niemand war darauf vorbereitet. Die Theologen der römischen Kurie schickten sich nun an, eine große Menge von Dokumenten für das Konzil auszuarbeiten, die dort diskutiert und, wie man voraussetzte, genehmigt werden sollten. An der Vorbereitung nahm eine internationale Auswahl von Theologen teil, unter denen einige früher von Rom abgelehnt worden waren, aber diese hatten kaum etwas zu sagen. Die Arbeit wurde mit fester Hand von denen geleitet, die zu bestimmen gewohnt waren.

Als die zweitausenfünfhundert Bischöfe im Herbst 1962 nach Rom strömten, war man keineswegs darauf vorbereitet, was nun kommen sollte. Allein die Organisation dieser Riesenversammlung war ein Problem, und zu Beginn funktionierte es schlecht. Aber die Kirchenversammlung nahm Form an, ein Konzilsbewußtsein entstand, die empfohlenen Dokumente wurden zurückgewiesen und neue geschaffen und darüber abgestimmt. Das Ergebnis liegt in einer Anzahl von Konstitutionen und Dekreten vor, die nun während fünfunddreißig Jahren den Grund für das Leben und die Ordnungen der Kirche gelegt haben.

Was neue Generationen über das Vaticanum II wissen, sind im Großen und Ganzen diese Dokumente, die im täglichen Leben der Kirche studiert und angewendet werden. Aber das Konzil war kein Produzent von Lehrmitteln, es war ein Ereignis, eine große und einzigartige Begebenheit, mit seinem wechselnden Pulsschlag, seiner Gruppendynamik, seiner Dramatik, ein Abenteuer mit Kämpfen, Siegen und Niederlagen, aber vor allem ein gemeinsames Suchen nach der Leitung des Heiligen Geistes und eine Verteidigung der Einheit trotz aller Gegensätze. Um den Geist des Konzils zu verstehen und daran teilzunehmen, muß man nicht nur seine Texte lesen, sondern muß auch Einblick ins Geschehen erhalten, als es Form annahm. Dies ist es, was dieses Buch bieten möchte.

Ich bin nun wohl der letzte lebende Schwede, der an Ort und Stelle direkt und aktiv das ganze Zweite Vatikankonzil 1962 - 1965 erlebt hat. Vom ersten bis zum letzten Tag verfolgte ich als freischaffende Journalistin die vier Sessionen der Kirchenversammlung. Außer einer Menge von Zeitungsartikeln schrieb ich ein Tagebuch aus Rom in vier Teilen; es erschien bei Bonniers, ist aber seitdem lange aus dem Buchhandel verschwunden. Hier kommt es nun wieder, nach etwas allgemeinem Putz und mit den richtigen Namen bei den Angaben, da ihre Anonymität nicht mehr beschützt werden muß.

Das Buch möchte über die Themen, die auf dem Konzil diskutiert wurden, berichten und sie erklären, und zeigen, welche Resultate produziert wurden. Ich habe auch über einen Teil der vielen wichtigen Vorträge und Pressekonferenzen berichtet, die am Rande des Konzilsgeschehens angeboten wurden. Außerdem wollte ich so viel wie möglich von der Atmosphäre vermitteln, über das unvergleichliche und unvergeßliche Klima, das in Rom während dieser vier Herbstsessionen herrschte, als sich die Kirche im "Konzilszustand" befand. Ein Ausnahmezustand, da kein Thema mehr tabu war, da das disziplinierte Schweigen gebrochen war und alle die Meinung ihres Herzens aussprachen. Ich habe eine Anzahl persönlicher Anmerkungen über Wetter und Wind, über Gespräche mit Kollegen, Theologen und Bischöfen und sogar Kostproben aus der Anekdotenflora, die die ganze Zeit hindurch neue Blüten sprießen ließ, mit hineingenommen.

Das Buch kann nicht nur wie eine kirchenhistorische Reportage gelesen werden, sondern auch als eine Blütenlese von erinnernswerten Äußerungen und Argumenten und sogar festlichen Albernheiten. Ich gehe unter anderem das Risiko ein, mich zu wiederholen, wenn ich von übereinstimmenden Beiträgen berichte, darunter nicht selten von geflügelten Worten, die es verdienen, bewahrt zu werden. Das Buch ist sicher parteiisch; ich stehe von Beginn an auf der Seite der Reformwilligen, die schließlich auch die Mehrzahl der Konzils bildeten.

Die Minderheit, die tapfer aber vergeblich die Erneuerungsarbeit beim Konzil bekämpfte, hatte ihren Kern in der römischen Kurie, die schon damals den Schlachtruf "Das Konzil geht vorüber, die Kurie bleibt" lancierte. Der Widerstandskampf wurde auch fortgesetzt, zu Beginn diskreter, aber jetzt ganz offen. Das Ziel ist ganz klar: ein Zurückgehen zur vorkonziliaren Ordnung mit einer extremen Zentralisierung in Rom und mit beinharter Kontrolle der Arbeit der Theologen.

Dies hat dem Konzil selbst und auch meinem Buch erneute Aktualität gegeben. Man fühlt notwendigerweise das Anliegen, zu aktualisieren, was beim Konzil gesagt und beschlossen wurde, um wieder an den Appellen, Mahnungen und Forderungen teilzuhaben, die damals mit so großer Kraft und Überzeugung vorgebracht wurden.

Wir sind an Kritik von außerhalb der Kirche gewöhnt. In diesem Buch, während der Kirchenversammlung, sind es die Leiter der Kirche selbst, befreit von gewohnheitsmäßiger kirchlicher Etikette und Forderung nach gleichgerichtetem Jasagen, die eine massive Kritik an der Kirche liefern. Eine Kritik, die sie von all dem Abfall befreien will, den sie im Laufe der Jahrhunderte in sich aufgesammelt hatte. Und eine enthusiastische Vision einer Kirche, die zu glauben wagt, daß der Geist das Volk Gottes auf der Wanderung leitet.

aus: Gunnel Vallquist, Dagbok från Rom, Andra Vatikankonciliet - en kamp om förnyelse.

Artos Bokförlag - Skellefteå, 1999, ISBN 91-7580-166-3

Übersetzung: Friedrich Griess