Gunnel Vallquist: Mühsame Gebetswoche

Dies schreibe ich in der Gebetswoche für die christliche Einheit.

Ich fühle ständig größere Zweifel angesichts dieser Gebetswoche.

Als man vor gut einem halben Jahrhundert damit begann, bedeutete sie einen Fortschritt, eine Öffnung. Sie führte nach und nach zu einem neuen kirchlichen Gefühl: Christen in anderen Kirchen-gemeinden waren nicht mehr in erster Linie Ketzer, die man bekämpfen und meiden sollte. Man gewöhnte sich daran, sie als Brüder und Schwestern zu bezeichnen und auch als solche zu behandeln. Längere Zeit hindurch konnte ich mich über diese Fortschritte ehrlich freuen. Nun ist mein stärkstes Gefühl ein anderes: ich schäme mich.

Ich schäme mich darüber, daß wir noch nicht weitergekommen, daß wir praktisch ein gutes Stück vor dem Ziel stehengeblieben sind. Und ich erinnere mich an eine Episode, die sich mir für immer eingeprägt hat: Es war bei einer Versammlung in Uppsala, 1968, als der Weltrat der Kirchen im Dom den Schlußgottesdienst feierte. Im Mittelgang, auf dem Weg hinaus, landete ich an der Seite von Monsignore Charles Moeller von der Glaubenskongregation, einem belgischen Priester und einer kulturellen Persönlichkeit, den Paul VI dorthin bestellt hatte, um das Amt zu reformieren. Wir begrüßten einander, und ich sah, daß sein Angesicht naß von Tränen war. Es waren nicht die Tränen der Rührung, es waren die der Verzweiflung. "Ja, nun sehen Sie, in welchem Zustand ich mich befinde", sagte er. "Wie war es möglich, daß wir das alles jahrzehntelang aushielten und nicht weiterkamen ?"

Die Ökumeniker antworten: "Wir sind in der Tat sehr weit gekommen, man muß geduldig sein". Die Spaltung ist eine ernste Sünde, und wenn es um soetwas geht, pflegt die Kirche sonst nicht zur Geduld zu ermahnen, sondern eher zu sofortiger Reue und Buße. Aber hier sollen wir geduldig sein und darauf warten, daß Experten und Diplomaten sich in Verhandlungen einigen, die schon ein dreiviertel Jahrhundert dauern.

Was trennt uns eigentlich ? In erster Linie wohl das überkommene Knabengerangel darüber, "wer als der Größte gelten soll", das unter den Jüngern ausbrach und das seitdem unablässig unter ihren Nachfolgern weitergeht. Als ob Jesus nicht ein für allemal diese Frage als weltlich und profan abgewiesen und eingeschärft hätte, daß bei denen, die ihm nachfolgen, der erste zuletzt kommt und der große Bruder den Platz des kleinen Bruders einnehmen wird.

Aber sind wir nicht auch im Glauben gespalten ? Selbst da sollte die Antwort einfach sein, wenn man sich ihrer annehmen wollte. Wir bekennen alle den Glauben der Apostel - dieser reichte für die ungeteilte Kirche, die damit ihre Identität verkündigte. Warum sollte er für uns nicht reichen ? Daß wir abweichende Glaubenslehren haben - also verschiedene Interpretationen desselben Glaubens, den wir bekennen - sollte kein Grund für Bruch, Spaltung und Sünde sein. Erste wenn wir die Interpretationen der anderen verurteilen, erst wenn wir über unseren Bruder und unsere Schwester zu Gericht sitzen und sie verstoßen, beginnt die Sünde.

Jede Kirche hat in ihrer Tradition ein heiliges Erbe, daß man achten muß. Die Tradition ist ein Ergebnis der Auseinandersetzung dieser Kirche mit lebenswichtigen Fragen, mit denen sie im Laufe der Geschichte konfrontiert wurde. Deshalb kann und darf sie diese Tradition nicht verleugnen oder vernachlässigen. Sie ist als ihr Beitrag zur Glaubenserfahrung der gesamten Christenheit gedacht, ebenso wie andere Kirchen daraus Nutzen ziehen können. Es kann sich um Stufen in der Entwicklung handeln: was zu einem bestimmten Zeitpunkt als unvereinbar erschien, kann später, von einem neuen Gesichtspunkt aus, zur vertieften Einsicht dienen.

Eines wußte die Theologie immer schon: daß sie niemals die ganze Wahrheit über Gott wissen und ausdrücken kann. An höchster Stelle, oder zutiefst im Inneren, gibt es einen Bereich von blendendem Licht, dem kein Auge nahen kann. Dort wohnt Gott, und in ihm werden die Gegensätze vereinigt, sagte Nikolaus Cusanus, der wußte, daß der menschliche Gedanke nicht weiter reicht als bis zur docta ignorantia, dem Nichtwissen der Weisheit.

Ich bin überzeugt, daß wir nun soweit gekommen sind, wie das auf diplomatischen Wegen möglich ist. Nun geht es darum, mit der Bekehrung Ernst zu machen und damit aufzuhören, die Erfüllung von Jesu feierlichem Gebet zu verhindern, das er am Abend vor seinem Leiden an seinen Vater richtete; daß wir, seine Jünger, alle vereint sein sollen, wie Jesus und der Vater eins sind, damit die Welt glauben kann.

Wir haben einander verurteilt und über einander den Bann gesprochen. Wollen wir auf Christus hören, so müssen wir uns schleunigst versöhnen. Das beinhaltet, daß wir alle Verbannungen feierlich zurücknehmen und für ungültig erklären, einander die Hände reichen und gemeinsam zum Altar gehen. Erst dann, wenn wir auf diese Weise unsere eigenen Urteile verurteilt haben, kommt der Heilige Geist, um uns so zu erfüllen, daß wir einander wirklich verstehen.

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Frau Prof. Gunnel Vallquist, Mitglied der Schwedischen Akademie, ist ständige Mitarbeiterin von "St.Olav", einer katholischen Zeitschrift für Religion und Kultur. Der vorliegende Beitrag erschien in der Nr. 3-4/1994 dieser Zeitschrift. Übersetzung: Friedrich Griess.