Le Soir (Belgien), 5.4.2002

Das Tvind-Humana-Imperium enthauptet

Ein ganzes sektiererisches und finanzielles Imperium stürzt zusammen: Amdi Petersen, der Leiter von Tvind, wurde am vergangenen 17. Februar in Los Angeles verhaftet

MARTINE VANDEMEULEBROUCKE

Vor sechs Monaten hat die dänische Justiz einen internationalen Haftbefehl gegen den Gründer und Leiter von Tvind ausgestellt. Die Polizei hatte gegen ihn im Rahmen eines riesigen Aktenberges Untersuchungen wegen Betrugs durchgeführt, aber der "Guru", der seit mehr als 20 Jahren verborgen in einer kameraüberwachten Luxusvilla lebte, hatte seit dem 25. Mai die Flucht angetreten. Im dem Augenblick, als eine große Antibetrugs-Operation gegen eine seiner gemeinnützigen Gründungen mit dem Namen ´Trust for the support of humanitarian purposes, the avancement of research and for the protection of environmentª, gewöhnlicher die ´Fondationª genannt, begann.

Tvind ist der Name eines alternativen Bildungssystems im Dänemark der Siebzigerjahre, das heute dutzende Organisationen und Unternehmen auf der ganzen Welt umfaßt. Eine seiner in der europäischen Ländern und bei uns besser bekannten Zweige ist die Vereinigung Humana, die über ein weites Netz von Kleidersammelbehältern und ein Second-Hand-Geschäft in Brüssel verfügt.

Dänische Journalisten haben Amdi Petersen in Miami aufgestöbert. Der Mann dürfte nicht vor Anfang August ausgeliefert werden und vervielfältigt seine juristischen Manöver, um dies zu verzögern. Es ist wahr, daß die dänische Justiz noch nicht damit zu Ende ist, die Hintergründe eines großangelegten Betrugs an der öffentlichen Wohltätigkeit bloßzulegen, eines Betrugs, der immerhin seit mehr als sechs Jahren von mehreren Journalisten angeprangert wird.

Was Tvind zu Fall bringen wird, ist die Entdeckung durch die dänischen Behörden, daß die Spenden der Steuerpflichtigen, die von einer steuerlichen Absetzbarkeit profitierten, nicht für Projekte des öffentlichen Interesses benützt wurden, sondern daß Amdi Petersen und vier andere Beschuldigte sie dazu benutzten, um in ihre privaten Unternehmen, in Plantagen in Brasilien und eine private Fernsehkette zu investieren. Die Strategie war immer die gleiche: Das Geld, für humanitäre Projekte oder für den Umweltschutz bestimmt, endete nach dem Durchlaufen einer Vielzahl von Unternehmen und Vereinigungen (alle von Tvind-Mitgliedern geleitet) schließlich in den Taschen des humanitären Fonds und seiner Leiter. Die dänischen Behörden sprechen von einem Betrug in der Höhe von mehreren Dutzend Millionen Euro. Vor etwa zehn Tagen hat sich die Justiz entschlossen, drei andere Tvind gehörende Fonds ebenso anzugreifen. Sie besitzen in Dänemark Liegenschaften, Schiffe und Autos in einem Wert, der auf mindestens dreißig Millionen Euro geschätzt wird!

Die Polizei benötigte sechs Monate, um den Zugangscode zu den Computern von Tvind knacken zu können. Diese lange Untersuchungsarbeit hat ihnen erlaubt, daß ganze Organigramm von Tvind und seinen vielfältigen Fonds und Vereinigungen aufzuzeichnen, die sich wie russische Puppen auftürmen. Unter seinen Satelliten befindet sich die wichtige Föderation UFF-Humana oder ADPP-Humana, die in mehreren europäischen Ländern Second-Hand-Kleider sammelt und sie angeblich zugunsten von Entwicklungshilfeprojekten verkauft. Die Föderation hat auch in den Vereinigten Staaten (unter dem Namen Planet Aid) und sogar in China Fuß gefaßt.

Das Rückgrat des Systems ist die Lehrergruppe, ein Netz von 300 bis 400 Personen, die dem Prokurator des Gerichtshofs von Ringkøbing zufolge die Grundlage der Ausdehnung aller Aktivitäten Tvinds darstellt. Bis 1996 haben die Tvindschulen die sehr liberale dänische Gesetzgebung benützt und mißbraucht, welche die privaten Schulen unterstützte. Die Lehrer übergaben eine Teil ihres Gehalts (der von der Regierung bezahlt wurde) an die Gruppe, die sehr schnell phänomenale Summen anhäufte.

Die Lehrergruppe wurde immer von Amdi Petersen geleitet, ohne den nichts entschieden wurde. Im Laufe der Jahre hat die Gruppe in den skandinavischen Ländern andere Schulen gegründet, aber auch Unternehmen (vor allem Textilfirmen) und die Föderation UFF-Humana. Die Lehrer waren nicht nur zur ´kollektiven Ökonomieª verpflichtet. Die Gruppe entschied auch, wo ihre Mitglieder arbeiten sollten. Mehrere von ihnen haben so Humana-Geschäfte gegründet. Eine der bekanntesten Figuren, Jytte Nielsen, war lange Zeit die Präsidentin von Humana-Belgien. Der Bauherr der Föderation UFF-Humana, Poul Jørgensen, der 1993 auch Präsident der ´Fondationª war, ist einer der fünf Beschuldigten.

Die dänischen Untersuchungsbeamten haben mehrere Dokumente gefunden, welche die ständige finanzielle Wechselbeziehung zwischen der ´Fondationª und der Föderation UFF-Humana beweisen. In diesem letzten Bereich merkt der Prokurator an, daß die Föderation substantielle Mittel an das Kapital der Lehrergruppe überwiesen hat und daß der Verkauf von Second-Hand-Kleidern keinem humanitärem Zweck diente, sondern eine der direkten Grundlagen des Kapitals der Lehrergruppe darstellt.

Die Untersuchungsbeamten haben auch Spuren einer Überweisung von 270.000 Dollar von der Föderation Humana direkt an Amdi Petersen und seine Gefährtin Kirsten Larsen unter dem Vorwand des Kampfes gegen die Sida in Afrika gefunden. Aber das ist zweifellos nur die Spitze des Eisberges. Die Arbeit der Untersuchungsbeamten bezüglich des Themas ´UFF-Humanaª ist noch nicht vollendet.