Besprechung eines Kapitels aus dem Buch:
Lowell D. Streiker: Smith's Friends - A "Religion Critic" Meets a Free Church Movement
First published 1999
Praeger Publishers, 88 Post Road West, Westport, CT 06881

Im Buch "Der Weg des Kreuzes" beruft sich der Autor Kjell Arne Bratlie auf die positive Beurteilung der Smiths Freunde (SF) durch Lowell. D. Streiker. Er verschweigt jedoch, daß in diesem Buch an den SF auch Kritik geübt wird, und zwar ab Seite 114 unter der Überschrift

"What I did not like?" - "Was mir nicht gefiel?"

Zunächst findet Streiker die SF "extremely suspicious" ("extrem verdächtig") in menschlicher Hinsicht und bezüglich Vorstellungen in ihrem spirituellen Leben. Er schreibt: "Sie akzeptieren und glauben eher als sie studieren und untersuchen. Sie bleiben eine Bewegung ohne Denker, Theologen, religiöse Wissenschaftler, Historiker und Leute, die zur menschlichen Kultur etwas beitragen. Ich denke, viel davon stammt von ihrer Vorstellung, 'nicht von der Welt zu sein' und ihrer Überbetonung von Demut ... und ihrer Verachtung für religiöse Vollzeitberufungen". Er weist darauf hin, daß der Gründer Johan Oskar Smith sehr wohl aus Schriften anderer religiöser Denker zitierte, die SF sich heute aber ausschließlich auf die Schriften ihre eigenen Autoren berufen und diese als "die Lehre" betrachten, und hält dies für einen Rückschritt Auch, daß sie größeren Wert auf ekstatische Erlebnisse als auf Reflexion und Denken legen. Das soll nicht heißen, daß es unter ihnen nicht auch Menschen gäbe, die in ihrem Beruf intellektuell etwas leisten. Aber wenn Streiker unter ihnen sei, vermisse er die Gesellschaft von Bibelexegeten und anderen religiösen Intellektuellen, die Diskussion über den geschichtlichen Hintergrund eines bestimmten Buches der Bibel, über sprachliche Nuancen der originalen hebräischen und griechischen Texte, die Zeugnisse der Archäologie, die Einsichten von Verhaltensforschern, das Zeugnis von 2000 Jahren Kirchengeschichte. Er vermisse die Grenzdenker, die sich bemühen, die "human condition" zu verstehen, die ihre Einsichten in Worten und künstlerischen Bemühungen artikulieren, die durch Künste, Literatur und prophetische Zeugnisse Gottes Wort einer Welt vermitteln, die dies nötig hat.

Streiker kritisiert vor allem die Methode des sogenannten "Mannakorn", die darin besteht, daß man, um ein Problem zu lösen, ein zufälliges Zettelchen mit einem Bibeltext zieht. Von den mehr als 30.000 Versen der Bibel sind in diesen Mannakorns nur 2296 enthalten, etwa die Hälfte davon aus dem alten Testament. Damit wird die Bibel auf weniger als 10 Prozent ihres Inhaltes reduziert, und man fragt sich natürlich auch, nach welchen Kriterien diese 10 Prozent ausgewählt sind. "Steinbruchmethode"? Das Zusammenstellen von aus dem Zusammenhang gerissenen Bibelversen im Verein mit dem Festhalten an Erkenntnissen einer früheren Führergeneration bedeute, so Streicher, für ihn nicht dasselbe wie ein Studium der Bibel und eine Zuwendung zum Worte Gottes.

Was das soziale Verhalten der SF betrifft, so kritisiert Streiker, daß sie das Streben nach Heiligkeit und nach der Reinheit der Lehre über die Werke der Nächstenliebe und die prophetische Verurteilungen jener stellen, welche die Armen mißachten oder ausbeuten, obwohl er zugesteht, daß es auch hier rühmliche Ausnahmen gibt. Gerade von den Beispielen, die er als positiv hervorhebt, ist mir aber aus anderer Quelle bekannt, daß sie in erster Linie zugunsten von Mitgliedern der eigenen Bewegung benützt wurden. Diese Einstellung geht übrigens auch aus einem Gespräch mit meiner Tochter hervor, in dessen Lauf ich sagte, ich bemühte mich, meinem Volk und meinem Staat, in dem ich lebe, nützlich zu sein. Ihre Antwort darauf war: "Volk? Staat? Das hat doch keinen Sinn, die werden doch ohnehin alle verdammt. Nur für die Gemeinde hat es einen Sinn, etwas zu tun". Ebenso sagte ein Gemeindeleiter in Deutschland zur Mutter einer Anhängerin, es hätte keinen Sinn, für Kinder in Afrika etwas zu spenden, und als die Mutter einer Anhängerin in Norwegen zu dieser sagte, sie könne doch nicht mehr gebrauchte Kinderkleider dem Roten Kreuz geben, antwortete diese: "Nein, denn die geben uns ja auch nichts."

Streiker findet bei einigen Anhängern der SF die Tendenz, übertrieben introspektiv und fast nur mit sich selbst beschäftigt zu sein. Gemeinnützige Aufgaben fänden einfach nicht die Aufmerksamkeit, die sie in einer solchen Bewegung haben sollten. Die Leute seien bisweilen viel zu passiv gegenüber der Außenwelt. Ein Beobachter könnte den Eindruck gewinnen, daß sie zwar verkünden, sich im Sinne des Evangeliums zu engagieren, daß es aber wenig Zeichen eines Einwirkens auf die Umwelt und wenig missionarischen Eifer gebe (für das Letztere kann man nur dankbar sein, F.G.).

Streiker findet ihre Versammlungen langweilig, wenig abwechslungsreich, phantasielos und ständig dasselbe wiederholend. Dies erinnert ihn an das Wort Jesu gegen die Eiferer seiner Zeit: "Heuchler", man könnte auch "Schauspieler" sagen. Er meint es nicht im heute gebräuchlichen Sinn, sondern er denkt an jene, die bei Konferenzen und Treffen durch ihre "Zeugnisse" versuchen, sich ein Image als triumphierender Christ zuzulegen.

Nachdem Streiker mehrere Wochen bei den SF zugebracht hatte, fühlte er sich wie in einem kontinuierlichen Gottesdienst, bei dem einige zentrale Phrasen endlos wiederholt werden. Kurze Zeugnisse seien austauschbar und vorhersehbar. Freilich weiß er, daß die SF ihm nicht zustimmen werden, sondern die Treffen aufbauend und herausfordernd finden. Und als "Onkelphänomen" bezeichnet er den Umstand, daß die Wichtigkeit und Bedeutung einer Nachricht von der Beziehung des Zuhörenden zum Sprecher abhängt. Er meint, es bestünde die Gelegenheit, bei den vielen nationalen und internationalen Treffen den Horizont zu erweitern, Visionen zu schaffen und Erreichtes zu feiern. Es wäre sinnvoll, ein Drittel bis die Hälfte der immer gleichlautenden Zeugnisse durch Berichte von anderen Ländern und Kurse darüber zu ersetzen, wie man in der Öffentlichkeit spricht, wie man Kinder erzieht, wie man die Bibel studiert, wie man einen Gottesdienst vorbereitet, wie man Zeit, Talente und Geld gut verwendet, wie man Werbung betreibt und wie man Kritik begegnet.

Streiker bewundert zwar die aufopfernde Fürsorge der SF für Kinder und Jugendliche, aber er meint, sie würden besser auf das Erwachsensein vorbereitet, würde man sie in ihrem jeweiligen Alter auch ernst nehmen.

Ein Diskussionspunkt für Streiker ist auch, ob die SF die Bibel richtig interpretieren oder mißverstehen. Sie haben keinen Sinn für die Disziplinen der Hermeneutik, der Exegese oder der sprachlichen und historischen Analyse. Wie der Bericht von Jesu Versuchung zeigt, kann auch der Teufel die Bibel zu seinem Vorteil zitieren. Die SF weigern sich zu erkennen, daß zwar alles in der Bibel zu unserem Aufbau dient, aber nicht alles als Aufforderung an uns gerichtet ist, wie z.B. der Auftrag in der Genesis, sich zu vermehren, und erläutert dies an Hand des ersten Korintherbriefes, von dem die SF meinen, die konkrete Situation im damaligen Korinth sei für das Verständnis des Briefes belanglos. In diesem Punkt gibt es schwerwiegende Differenzen zwischen Streiker und etlichen Mitgliedern der SF, denen er vorwirft, die Bibel in tausende kleine Stücke zu zerreißen und diese Stücke ohne Sinn für ihren ursprünglichen Zusammenhang und ihre Bedeutung zu benützen. Die SF meinen, daß wissenschaftliches Studium der Bibel nur zu verschiedenen Auffassungen und damit zu Spaltungen führe. Streiker nennt das Bibelverständnis der SF "Obskurantismus" und die Methode, die Bibel an einer zufälligen Stelle aufzuschlagen und zu meinen, in dem ersten gefundenen Vers "Gottes Willen" zu erkennen, Aberglauben und Magie.

Streiker zeigt auch, daß die von den SF praktizierte Zurückweisung ordinierter Dienste als legitime Vollzeitberufung für Christen praktisch die Verwerfung eine großen Zahl der Briefe des Apostels Paulus bedeutet. Er kritisiert auch, daß man ihm unabhängig voneinander vier Anwendungsprinzipien nannte: a) "alles ist erlaubt, was die Schrift nicht ausdrücklich verbietet", b) "alles ist verboten, was die Schrift nicht ausdrücklich erlaubt", c) "Wir haben Freiheit in allen Dingen", d) "die Lehre ist zu befolgen, wie sie von den Brüdern verkündet wird, die das Wort Gottes haben", und er fragt sich logischerweise, wann man weiß, welches der 4 Prinzipien wann anzuwenden ist.

Die SF bestreiten ja oft, eine Organisation zu haben. Streiker: "Es gibt eindeutig eine 'Respektpyramide' bei den SF, genau so klar und festgelegt wie die Struktur irgend einer Kirche, Sekte oder Denomination. Es gibt klare und festgelegte Autoritätslinien. Das System ist eine 'Meritokratie', basierend auf dem erreichten Respekt, der Reinheit der Lehre, den Verdiensten und der geographischen Nähe zu Brunstad in Norwegen. Brunstad ist das Maß für die Bewegung", und zeigt dies an Hand der immer gleichen Photographien der "leitenden Brüder", die die Wände der Wohnungen schmücken und die man in den Buchhandlungen der SF zu kaufen bekommt. Frauen seien in viel größerem Maß als in anderen christlichen Gemeinschaften, selbst im Vergleich zur katholischen Kirche, von leitenden Aufgaben ausgeschlossen, und Streiker fragt sich, warum man mit Hinweis auf eine einzige Bibelstelle (1 Kor 14, 34-35: "Die Frau soll in der Kirche schweigen...") und im Gegensatz zu vielen anderen gegensätzlich lautenden Versen auf die Hälfte der Begabungen der Anhänger verzichte. In einer Anmerkung schreibt Streiker dazu: "Ein Norweger und mit J.O. Smith durch Blut oder Einheirat verwandt zu sein scheint auch von einiger Wichtigkeit zu sein..."Und: "Wenn die katholische Kirche einen polnischen Papst haben kann, warum kann nicht jemand aus irgend einem Teil der Welt die Leitung der Bruderschaft innehaben?" Er nennt die Leitungsstruktur "unreif".

Die Ironie der Leitungspyramide in einer Gemeinschaft, die Geltungsbedürfnis und Stolz verdrängen möchte, illustriert Streiker mit einem katholischen Witz: "Bei einer Konferenz in Rom begegnet ein Priester einem Prior einer Abtei. Er fragt den Mönch: 'Habe ich von Ihrem Orden schon einmal gehört?' 'Nun', erwidert der Ordensmann, 'wir sind nicht so berühmt wie die Jesuiten bezüglich ihrer Gelehrtheit oder wie die Trappisten für ihr Schweigen und Gebet. Aber was die Demut betrifft, so sind wir Spitze'".

Die jungen Menschen bei den SF sind laut Streiker gut in der Lehre und in der Bibel gedrillt. Aber er bezweifelt, wieviel sie wirklich davon verstehen und wieweit sie selbständig denken. Die Forderung, sich selbst zu kreuzigen, kann im Extremfall Kreativität und Wettbewerbsfähigkeit zerstören, wenn Demut ohne den Dank an Gott für die Begabungen jedes einzelnen Individuums suggeriert wird, die für den Aufbau jeder christlichen Gemeinschaft und christlichen Persönlichkeit nötig sind. Streiker ist außerdem besorgt über den Mangel an bewußter Entwicklung von Führungseigenschaften und theologischen Kenntnissen und über die begrenzte Fähigkeit, das Evangelium für Menschen außerhalb der Bewegung zu verkünden. Er denkt, daß die Leiter der SF manchmal so reagieren, als ob sie annähmen, ihre Kritiker innerhalb und außerhalb der Bewegung hätten immer Unrecht, und das sei ein schwerer Fehler, denn er verleite zu einer unnötigen Verteidigungshaltung und Taubheit gegenüber berechtigten Einwänden. In irgend einer Weise müßten die SF lernen, zuzuhören und auch berechtigten Einwänden Rechnung zu tragen.

Schließlich ist Streiker auch irritiert über ihre - jetzt offenbar aufgegebene - Praxis, sich selbst keinen Namen zu geben, und schlägt "International Christian Fellowship" vor. Wie wir wissen, wurde leider inzwischen ja der weitaus anmaßendere Name "Die Christliche Gemeinde" und in den englischsprechenden Ländern sogar "The Christian Church" gewählt.

Friedrich Griess