Neuigkeiten Samstag, 22. Juli 1995 Woche 29 Tønsbergs Blad

- Wir dürfen uns nicht von der Furcht treiben lassen

NØTTERØY: - Alles, was ich tat, tat ich aus Furcht. Dies sagt die 33 Jahre alte Renate Gulliksen über ihr Aufwachsen in Der Christlichen Gemeinde - besser als Smiths Freunde bekannt. Als Teenager trotzte sie der Furcht vor den Autoritäten, den Gemeindebrüdern und dem Gottesbild, zu dem sie erzogen wurde. Renate definierte sich selbst und brach mit den Freunden. - Nun möchte ich mich für die vielen, die sich noch immer fürchten, Individuen zu sein, zu Wort melden, sagt sie.

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ANNE WEIDER AASEN

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Renate Gulliksen spricht offen über ihr Verhältnis zur Gemeinde Smiths Freunde, bevor und nachdem sie sich zurückgezogen hatte. Sie möchte nicht diejenigen heruntermachen, die noch immer in der Gemeinde sind.

- Ich möchte meinen Eltern nicht schaden. Sie sind selbst ein Produkt des Systems, in dem sie aufgewachsen sind. Es ist auch nicht meine Absicht, die Menschen in Brunstad zu verurteilen. Aber ich möchte allen zurufen, die sich nicht zurechtfinden, daß es möglich ist, auszubrechen und doch weiterhin an Gott zu glauben. Es gibt so viele, die sich nach Freiheit sehnen, aber es nicht wagen, anders zu denken, als es bei den Smiths Freunden gelehrt wird.

Märtyrertod

Renate, die aus Fredrikstad stammt, kam frühzeitig mit dem in Konflikt, was sie bei den Smiths Freunden erlebte.

- Meine Kindheit war von Furcht geprägt. Ich erhielt eine Auffassung von Gott als eine schreckeneinflößende, verdammende Autorität. Wir lernten, daß Gott hinter allem stehe, was geschieht, und daß Unglücke Gottes guter Wille zur Rettung der Menschen seien, erzählt Renate.

- Die Smiths Freunde verkünden, daß 144.000 Menschen in den Himmel kommen, nach der Offenbarung des Johannes. Wir lernten, daß wir für unser Heil in Furcht und Beben arbeiten müßten, damit wir in den Himmel kommen könnten. Wenn es uns dennoch nicht gelänge, gut genug zu sein, so könnten wir uns dadurch retten, daß wir den Märtyrertod erlitten. Drohungen mit dem Märtyrertod erzeugen bei einem kleinen Mädchen große Angst.

Keine Integrität

- Immer galt das, was die Brüder verkündigten. Wir wurden nicht dazu angeleitet, die Bibel selbst zu lesen. Die Verkündigung in Frage zu stellen war undenkbar, sagt Renate. - Für selbständiges Denken gab es keinen Platz.

Aber Renate dachte doch. Sie fühlte, daß sie durch die starke Gottesfurcht gefesselt war, und fragte sich, ob Gott nicht mehr war als das Bild, das sie bisher erfaßt hatte. Sie stellte darüber Fragen und entwickelte sich immer mehr zu einem denkenden, selbständigen Individuum. Dies machte es schwierig, bei den Smiths Freunden zu bleiben.

- Ich fühlte frühzeitig, daß mir meine Integrität genommen wurde. In einem homogenen Milieu, wo vom Kleinkindalter an alle gleich aussehen, ist es schwierig, sich eine eigene Identität zu bilden. Wir wurden gleich gekleidet und dazu erzogen, gleich zu denken, entsprechend dem, was die Brüder verkündigten.

"Die große Hure"

Um ihre Identität zu betonen, mußte Renate verschiedene Maßnahmen ergreifen - Maßnahmen, welche von den Freunden als Aufruhr empfunden wurden.

- Ich schnitt mir das Haar ab, als ich 14 war. Es war für mich wichtig, etwas zu tun, was mir die Gemeinde nicht wieder wegnehmen konnte. Hätte ich Hosen angezogen, so wären die bald wieder verschwunden gewesen. Aber mit dem kurzen Haar konnte niemand etwas machen, sagt Renate. - Daß ein Mädchen im Jugendschulalter sich das Haar schneidet, war einzigartig. Die Leute sahen mich wie eine Verrückte an. Für sie war ich die große Hure.

Renate stellte ihre Andersartigkeit bei den Versammlungen in Brunstad unter Beweis, zu denen sie mitgenommen wurde, bis sie 16 war.

- Ich ging zwischen den Baracken umher, nur mit T-Shirt und Unterhose bekleidet. Ich gehörte auch zu einer Gruppe, die bei der Türe stand und rauchte. All dies war streng verboten.

Der "Aufruhr" wurde von der Wachmannschaft niedergeschlagen. Die Jugendlichen mußten zu ihnen hineingehen und auf den Knien um Vergebung bitten.

- Ich bereute das nicht, was ich getan hatte, daher weigerte ich mich, zu ihnen hineinzugehen, berichtet Renate. Sie wurde daher vom Versammlungsort verwiesen.

Weit unten

- Wenn jemand bei den Smiths Freunden ausschert, dann tut er es oft allzu gründlich, sagt Renate.

- Plötzlich sollen so viele Seiten den Lebens wie möglich in kurzer Zeit ausgekostet werden.

Renate war selbst ganz unten gewesen. Gegen Ende des zweiten Lebensjahrzehnts wurde viel ausprobiert. Aber als sie 20 war, traf sie ein Mädchen aus einem Teenager-Zentrum in Oslo.

- Das Mädchen hatte eine ganz besondere Ausstrahlung. Ich verstand, daß man in einer Beziehung zu Gott leben konnte, ohne dauernd Angst zu haben, sagt Renate. Sie hatte an Religion gedacht, nachdem sie mit den Freunden gebrochen hatte. Aber sie ertrug den Gedanken nicht, zurückzukehren.

- Viele, die mit den Smiths Freunden brechen, glauben, daß sie zur Hölle gehen, wenn sie nicht zurückkehren, sagt Renate. - Das wurde ihnen in der Gemeinde gesagt. Aber ich glaube nicht, daß das richtig ist. Man kann sehr gut mit einem Gott leben, ohne ein Smiths Freund zu sein. Sie kümmert sich darum, daß Menschen, die mit den Normen der Smiths Freunde in Konflikt geraten, nicht aus Furcht vor der ewigen Verdammnis in der Gemeinde bleiben, wenn sie ausbrechen wollen.

Nicht verbittert

- Ich bin über die Menschen in Brunstad nicht verbittert. Ganz im Gegenteil, ich liebe sie und vermisse sie oft, sagt Renate. Sie hat versucht, mit mehreren von Ihnen in Kontakt zu kommen. Aber der Preis für den Ausbruch stellte sich ein. Wieder und wieder rief sie ihre Geschwister an. Selten erhielt sie Antwort.

- Ich bemühe mich darum, daß das, was ich erzählt habe, nicht zu einer Verallgemeinerung der Menschen bei den Smiths Freunden führt. Von vielen von Ihnen glaube ich, daß sie glückliche Menschen sind. Ich möchte nicht, daß meine Kinder von den Smiths Freunden einen negativen Eindruck haben sollen. Es ist wichtig, daß sie zu diesen Dingen selbst Stellung beziehen. Im Gegensatz zu meiner eigenen Kindheit möchte ich, daß sich meine Kinder über Dinge aussprechen, die ihnen nicht gefallen, und bei Dingen, die sie betreffen, kritische und aktive Teilnehmer sein sollen. Ich möchte, daß sie Individuen werden. Selbstverständlich möchte ich nicht, daß sich die Kinder für die Smiths Freunde entscheiden, wenn sie groß sind. Aber wenn sie es doch tun, dann muß ich es akzeptieren. Sonst bin ich ihnen gegenüber ebenso intolerant, wie die Freunde es mir gegenüber waren.

Gibt sich Reflexionen hin

Dinge eher aus Freude denn aus Angst zu tun, ist ein roter Faden bei dem Gespräch mit Renate. Die Furcht und das selbstauslöschende Ich, das sie als Kind erlebte, haben ihre Spuren hinterlassen.

- Ich mache immer noch einen Prozeß durch, sagt Renate. Mit dem werde ich wohl nie fertig. Aber das Wichtigste für mich ist nun, "mich den Reflexionen hinzugeben" und das Leben auf den Saiten in meinem Inneren spielen zu lassen. Fesselnde Musik und Lebensfreude sind nun die Antriebskräfte in mir. Bei den Smiths Freunden war solche Musik verbannt. Ich erinnere mich daran, wie die Brüder umhergingen und Radios zertrümmerten. Für mich als Zehnjährige kam es nicht in Frage, mir etwa zu Weihnachten Musik zu wünschen.

- Für ein Mädchen ist es besonders schwierig, mit den Smith Freunden zu brechen, sagt Renate. - Die Frauen werden mit Kopftüchern und Zöpfen zugedeckt, damit sie nicht daraufkommen, daß es auch ein anderes Leben gibt, wo sie selbst entscheiden können. Unangepaßte Mädchen bei den Smiths Freunden sollen sich nicht davor fürchten, auszubrechen. Es gibt hier heraußen ein gutes alternatives Leben in Freiheit...

Übersetzung : Friedrich Griess