Philip G. Zimbardo, Ph.D.
Präsident der American Psychological Association (2002)

Gedankenreform - Bewußtseinsmanipulation:
Psychologische Realität oder geistlose Rhetorik?

Eine der faszinierendsten Sitzungen der beim Jahreskongreß der APA in den Vordergrund gerückten Präsentationen ehemaliger Kultmitglieder (Siehe "Kulte des Hasses"). Einige Teilnehmer forderten unseren Berufsstand heraus, eine Arbeitsgruppe über extreme Einflußformen zu bilden, um sicherzustellen, daß die zugrundeliegenden Tatsachen den Stoff für Diskussionen über die Rekrutierung von Terroristen, über das Verhältnis von destruktiven Kulten zu neuen religiösen Bewegungen, über soziale-politische "Therapie"-Kulte und über menschliche Beeinflußbarkeit oder Widerstandskraft bei der Konfrontation mit autoritärer Macht liefern.

Dieser Vorschlag ist interessant. Auf der einen Interessensebene finden sich akademische Fragen über die Gültigkeit des Rahmenkonzepts einer Psychologie der Bewußtseinsmanipulation. Auf einer breiteren Ebene entdecken wird jedoch ein Netzwerk von lebenswichtigen Fragen:

Persönliche Freiheit

Ein grundlegender Wert des psychologischen Berufsstandes ist die Förderung menschlicher Freiheit zu verantwortlicher Tätigkeit, begründet auf dem Bewußtsein verfügbarer Verhaltensoptionen und das Recht des Individuums unterstützend, diese zu gebrauchen. Was immer wir unter "Bewußtseinsmanipulation" verstehen, widerspricht dieser positiven Wertorientierung.

Bewußtseinsmanipulation ist der Prozeß, durch den individuelle oder kollektive Wahlfreiheit und Tätigkeit durch Urheber oder Mittel beeinträchtigt wird, welche Wahrnehmung, Motivation, Affekt, Erkennen und/oder Verhalten verändern oder verzerren. Dies ist weder magisch noch mystisch, sondern ein Prozeß, der eine Anzahl grundlegender sozialer psychologischer Prinzipien involviert.

Das Erregen von Konformismus, Willfährigkeit, Überredung, Dissonanz, Widerstand, Scham und Furcht, die Formung und Identifikation sind einige der Hauptinhalte sozialen Einflusses, die in psychologischen Experimenten und Feldstudien gründlich untersucht wurden. In gewissen Kombinationen bilden sie einen mächtigen Schmelztiegel von extremer mentaler und verhaltensmäßiger Manipulation, wenn sie mit mehreren anderen Realweltfaktoren wie charismatischen autoritären Leitern, dominanten Ideologien, sozialer Isolation, physischer Schwächung, induzierten Phobien und extremen Drohungen oder versprochenen Vergünstigungen, die typisch täuschend orchestriert sind, über einen längeren Zeitraum hinweg kombiniert und intensiv angewendet werden.

Tatsachenmaterial der Sozialwissenschaft zeigt, daß Bewußtseinsmanipulation, wenn sie systematisch durch staatliche Polizei, Militär oder destruktive Kulte angewendet wird, falsche Bekenntnisse hervorrufen, Bekehrte erzeugen, welche bereitwillig "erfundene Feinde" foltern oder töten, und indoktrinierte Mitglieder verpflichten kann, unermüdlich zu arbeiten und ihr Geld - und sogar ihr Leben - für "die Sache" zu opfern.

Machtkämpfe

Es scheint mir, daß der eigentliche Kernpunkt der Kontroverse über die Existenz von Bewußtseinsmanipulation eine Neigung zum Glauben an die Kraft der Leute ist, der Macht von Situationskräften zu widerstehen, an die individuelle Willenskraft und an den Glauben, alle bösen Widerwärtigkeiten zu überwinden. Es ist das Beispiel Jesu, der den Versuchungen des Satans widersteht, und nicht der Anfälligkeit von Adam und Eva für Täuschung. In neuerer Zeit gab es jedoch reichliche Beispiele dafür, welche diese Zuschreibung von Kraft an die Person in Frage stellen. Von den Dreißigerjahren an gab es viele historische Fälle von staatlicher Macht, die individuelle Überzeugungen und Werte überwand. In Stalins Moskauer Schauprozessen bekannten seine Gegner öffentlich ihre Verbrechen. Der katholische Kardinal Mindzenty gab ebenso zugunsten seiner kommunistischen Gefängniswärter falsche Bekenntnisse ab. Während des Koreakrieges bekannten amerikanische Flieger nach intensiven Indoktrinationssitzungen, daß sie an bakterieller Kriegsführung teilgenommen hatten. Das chinesische Gedankenreformprogramm brachte viele Bekehrungen zu neuen Überzeugungen zustande.

Es wurde auch berichtet, daß die CIA fast 150 Projekte - MKULTRA genannt - verwirklichte, um verschiedene Formen von exotischer Bewußtseinsmanipulation zu entwickeln, einschließlich der Verwendung von LSD und Hypnose. Mehr als 900 Bürger der USA begingen Selbstmord oder ermordeten Freunde und Verwandte auf Grund des überzeugenden Befehls ihres Kultführers des Tempel des Volkes, Jim Jones.

Die Macht von sozialen Situationen, "verändertes Ich"-Verhalten sogar bei den besten und gescheitesten Leuten zu erzeugen, wurde in einer Vielzahl von gesteuerten Experimenten gezeigt, darunter Stanley Milgram's Studien zum Gehorsam einer Autorität gegenüber, Albert Bandura's Forschung über Entmenschlichung, mein Stanford Prison Experiment und andere über Entindividualisierung.

Das Verstehen der Dynamik und des Durchsetzungsvermögens von Situationsmacht ist wesentlich, um zu lernen, wie man ihr widerstehen und wie man die Vorherrschaft der vielen Mittel der Bewußtseinsmanipulation entkräften kann, die ihr Geschäft täglich hinter verschiedenen Gesichtern und Fassaden mit uns allen betreibt.

Anmerkung:

Dieses Material erschien ursprünglich auf Englisch in MONITOR ON PSYCHOLOGY als Artikel mit dem Titel "Mind control: Psychological reality or mindless rhetoric?", November 2002, Seite 5, Copyright © by the American Psychological Association. Übersetzt und wiedergegeben mit Erlaubnis. APA ist nicht für die Genauigkeit der Übersetzung verantwortlich. Die weitere Wiedergabe oder Verteilung ohne die schriftliche Genehmigung der American Psychological Association ist nicht gestattet.