Kapitel 3

Geri-Ann Galanti, Ph.D.

Überlegungen zu "Gehirnwäsche"

Eines der Gebiete größter Kontroversen im Zusammenhang mit dem Thema "Kulte" ist das der"Gehirnwäsche" oder Bewußtseinsmanipulation. Im Rahmen dieses Beitrages werde ich diese beiden Begriffe austauschbar verwenden. Was ist genau Bewußtseinsmanipulation, und welche Rolle spielt sie bei der kultischen Bekehrung ? Da landläufige Modelle der Gehirnwäsche von den Gedankenreformprozessen abgeleitet sind, die durch die chinesischen Kommunisten während des Koreakrieges auf Kriegsgefangene angewendet wurden, wird alles, was nicht unter Verwendung von extremem physischen Mißbrauch oder Beeinträchtigung geschieht, nicht für Gehirnwäsche gehalten. Dieses überholte und ungenaue Stereotyp bildet weiterhin eine der Barrieren für das Erkennen und Verstehen von Gehirnwäsche im Zusammenhang mit Kulten. Im Gegensatz zu diesem Stereotyp werden die Techniken, welche die Kulte verwenden, auch dazu benützt, Individuen in unsere Gesellschaft einzuordnen. Obwohl dieser Prozeß bei Indoktrination durch einen Kult viel intensiver und manipulativer ist, befindet er sich nicht außerhalb unseres Erkenntnishorizontes.

Gehirnwäsche oder Bewußtseinskontrolle bedeutet in Wirklichkeit Einfluß: die Fähigkeit bestimmter Personen und Milieus, eine Änderung unserer Überzeugungen, Gewohnheiten und / oder unseres Verhaltens zu bewirken. Wir sind ständig beeinflussenden Prozessen ausgesetzt - in der Werbung, in den Schulen, in der militärischen Ausbildung und in den Medien.

Nicht alle Formen von Beeinflussung sind gleich. Langone (1989) diskutiert z.B. ein Kontinuum von Einflüssen, das von Einflüssen, welche Entscheidungen respektieren (erzieherisch, beratend und bestimmte Typen von Überredung), bis zur Willfährigkeit (Überredung und Kontrolle) reicht. Entsprechend Langones Formulierung fallen therapeutische Einflüsse in den Teil des Kontinuums, welcher Entscheidungen respektiert, während destruktiver Einfluß, der in bestimmten Kulten beobachtet wird, in den Teil des Kontinuums fällt, der Willfährigkeit erzeugt. Obwohl Definitionen dessen, was therapeutisch und was destruktiv ist, je nach persönlichen Vorurteilen verschieden sein werden - Kultmitglieder werden z.B. sicher argumentieren, daß das, was sie tun, den Mitgliedern zum Vorteil gereicht - , kann jedoch mit Sicherheit behauptet werden, daß Kulte weithin indirekte und betrügerische Techniken der Überredung und Kontrolle benützen, um eher den Interessen der Führer als denen der Mitglieder zu dienen.

Ein weiteres Hindernis für unser Verständnis der Bewußtseinsmanipulation ist es, daß unsere Gesellschaft nicht die volle Bandbreite von veränderten Bewußtseinszuständen erkennt, denen menschliche Wesen unterworfen sein können. Wenn der Durchschnittsamerikaner an veränderte Bewußtseinszustände denkt, dann denkt er gewöhnlich an Träume, Drogeneinfluß und psychopathologische Zustände. Andererseits kennen Sozialwissenschaftler (siehe Tart, 1969) weitaus mehr Zustände. Obwohl wir uns normalerweise das Autofahren nicht als veränderten Bewußtseinszustand vorstellen, haben die meisten Leute die Erfahrung gemacht, daß sie nach Zurücklegung einer gewissen Strecke auf der Autobahn plötzlich feststellen, sich an die letzten paar Meilen nicht erinnern zu können. Dies, weil sie da in einem anderen Bewußtseinszustand waren. Wenn die Leute die Idee überwinden könnten, sie müßten sich betrunken oder zumindest "high" fühlen, um in einem anderen Bewußtseinszustand zu sein, dann würden sie die Wirklichkeit der Gehirnwäsche leichter akzeptieren.

Die Kulterfahrung erzeugt einen Bewußtseinszustand ähnlich dem, der unter Hypnose erfahren wird. Im Gegensatz zu volkstümlichen Auffassungen ist Hypnose nichts anderes als ein Zustand konzentrierter Aufmerksamkeit. Es ist ein Beweis für die Lernfähigkeit eines konzentrierten Bewußtseins, daß Hypnose das Verhalten so effektiv beeinflussen kann. Ein Individuum, welches das "Training" in einem Kult durchmacht, wird in eine Umgebung versetzt, wo alle Aufmerksamkeit auf die Überzeugungen und das Verhalten des Kultes konzentriert wird. Es gibt keine Meldungen, die einander widersprechen, keine außerkultischen Ablenkungen. Unter dieser Bedingung der konzentrierten Aufmerksamkeit erfolgt das "Lernen" viel schneller und so findet Indoktrinierung statt. Auf diese Weise werden Individuen "gehirngewaschen" oder beeinflußt, das Verhalten und dann den Glauben der Gruppe anzunehmen.

Die vorstehenden Punkte sollen mit Beispielen illustriert werden, die während einer dreitägigen Teilnehmerbeobachtung als Felderfahrung im Laufe meiner anthropologischen Forschung über Kulte und Deprogrammierung unternommen wurden. Es folgt nun eine Analyse der Gehirnwäsche, wie sie sich 1983 während eines Wochenendes im Camp K, einem Trainingslager der Vereinigungskirche (Moon-Sekte) in Nordkalifornien ereignete. Ich hoffe, daß die Prinzipen und die Analyse, die hier vorgestellt werden, auf die Erfahrungen in anderen kultischen Gruppen verallgemeinert werden können.

DER HINTERGRUND

Ich entschloß mich, "verdeckt" zu agieren, denn ich war sicher, wenn die Moonies wüßten, daß ich eine Wissenschaftlerin war, würde mir nicht dieselbe Erfahrung zuteil werden wie einem durchschnittlichen von der Straße geholten Rekruten. Vorher hatte ich eine beträchtliche Menge von Forschung bezüglich der Vereinigungskirche betrieben. Ich hatte mehrere Bücher von ehemaligen Mitgliedern gelesen, ich hatte eine Anzahl ehemaliger Mitglieder interviewt. und ich hatte eine Dokumentation über die Erfahrung in Trainingslagern gesehen. Ich hatte sogar etwas "Pro-Kult"-Literatur gelesen, um eine ausgewogenere Perspektive zu gewinnen, als ich sie allein von ehemaligen Mitgliedern erhalten hätte.

In meinem Gepäck der Erwartungen hatte ich auch eine Menge von Vorstellungen über den Prozeß der Gehirnwäsche. Da ich während den Fünfzigerjahren zu viele Filme gesehen hatte, sah ich vor mir böse Folterknechte in Zimmern, die von einer einzigen nackten Glühbirne erleuchtet waren, die von der Decke baumelte und über einige unbeschreibliche Folterinstrumente Schatten warf. Gespräche mit mehreren ehemaligen Mitgliedern veranlaßten mich, lange schlaflose Nächte, Eiweißentzug und ständige Belästigungen zu erwarten. Ich war sicher, zu erkennen, daß ich gehirngewaschen würde, wenn ich in der Doktrin der Moonies einen Sinn fände. Ich fand darin sicher keinen Sinn vor meinem Feldversuch, wenn ich daher später darin einen Sinn fände, wäre dies der Beweis, daß mein Bewußtsein, das ich mit meinem Intellekt gleichsetzte, tatsächlich "unter Kontrolle" stand.

Was ich herausfand, war meinen Erwartungen völlig entgegengesetzt und diente dazu, die Macht und die Subtilität der Bewußtseinsmanipulation zu unterstreichen. Unglücklicherweise hindern uns unsere stereotypen falschen Vorstellungen über die Natur der Gehirnwäsche daran, sie zu erkennen. Aus dieser Erfahrung schließe ich auch - im Gegensatz dazu, was ich früher glaubte -, daß nicht zuerst das Bewußtsein beeinflußt wird. Vielmehr, falls es eine Zeitverzögerung zwischen den Veränderungen unserer Überzeugungen und unseres Verhaltens gibt, dann ändert sich zuerst unser Verhalten und die Überzeugungen folgen: auf diese Weise erhalten wir die Konsistenz zwischen diesen beiden aufrecht.

DIE ERFAHRUNG

Alle die Berichte von ehemaligen Moonies, die ich gelesen hatte, beschrieben, wie sich die Mitglieder so lange wie möglich bemühten, vor neuen Rekruten zu verbergen, daß sie Moonies seien. Offensichtlich gab es im Rekrutierungsprozeß zwischen den Siebziger- und den Achtzigerjahren große Veränderungen, denn als ich eines Freitags abends in die Vereinigungskirche in der Bush Street in San Francisco hineinging, war das Erste, was man mir sagte: "Sie verstehen, daß dies die Vereinigungskirche ist und daß wir Anhänger von Reverend Moon sind ?" Auch war an der Vorderseite des Gebäudes ein klar erkennbares Zeichen angebracht, das ihre Zugehörigkeit ausdrückte. An diesem Abend, nachdem ich Unkenntnis über die Kirche und Interesse, mehr zu erfahren, vorgetäuscht hatte, wurde mir ein Videoband über die Kirche und über Reverend Moon gezeigt. Damit ich über das Wochenende in ihr Camp fahren konnte, hatte ich eine Erklärung zu unterzeichnen, die klar besagte, daß ich mich mit der Vereinigungskirche einließ. Angesichts meiner früheren Erwartungen trug diese ganze offensichtliche Aufrichtigkeit dazu bei, meine Verteidigungsbereitschaft zu untergraben.

Eine andere offensichtliche Reaktion der Vereinigungskirche zu Jahren negativer Presse war die Art und Weise, wie Mitglieder sich nun den Anklagen stellen - jedoch auf indirekte Art. Während der ersten Nacht hörte ich das Wort Gehirnwäsche vier- oder fünfmal, immer in scherzendem Zusammenhang. Schließlich fragte ich "John", meinen "geistigen Vater" während dieses Wochenendes, warum dieses Wort so oft auftauchte. Er sagte, es sei deshalb, weil die Leute sie oft beschuldigten, gehirngewaschen zu sein. "Die Leute sind so zynisch. Sie können nicht glauben, daß wir glücklich sein können und anderen Leuten helfen und einander lieben wollen, deshalb meinen sie, wir müßten gehirngewaschen sein, um so fühlen zu können", erklärte er, mit einem guten natürlichen Lachen hernach, um die Lächerlichkeit der Beschuldigung zu unterstreichen. Auch erzählten mir zwei verschiedene Moonies über neuere psychologische Studien, welche Moonies mit jungen Erwachsenen aus anerkannten religiösen Gruppen verglichen. Die Moonies wären viel besser weggekommen, sagten sie, bezüglich Unabhängigkeit, Aggressivität, Behauptungsvermögen und anderen positiven Charakteristiken. Die Statements der Moonies über Gehirnwäsche, die während des Wochenendes mehrmals wiederholt wurden, erinnerten an das alte Cliché "Angriff ist die beste Verteidigung". In gewisser Weise schienen ihre Erklärungen recht vernünftig zu sein, und meine Antwort auf ihre häufige Frage "Wir sehen doch nicht gehirngewaschen aus ?" war immer "nein".

Ohne die Subtilität der verschiedenen Phasen des Bewußtseins in Betracht zu ziehen, sah ich mich nach glasäugigen Zombies als ein Anzeichen von Gehirnwäsche um. Ich fand niemanden. Die stärkste Annäherung an dieses falsche Stereotyp war ein neues Mitglied, kürzer als zwei Monate dabei, dessen Blick ständig umherschweifte. Alle anderen verhielten sich vollständig normal. Sie konnten lachen und scherzen als auch ernst über etwas sprechen. Der einzige Zug, der mir als seltsam auffiel, war eine Art von falscher Über-Enthusiasmus: es gab viele Möglichkeiten, sich an diesem Wochenende zu betätigen, und wenn immer jemand dies tat, wurde er stets mit der Art von Willkommen und Applaus bedacht, der normalerweise nur den talentiertesten Künstlern zuteil wird. Ein Zeichen meiner eigenen "Gehirnwäsche" war, daß ich am Ende dieses Wochenendes diese Reaktionen eher bezaubernd als störend empfand.

Nach und nach schwanden meine Erwartungen bezüglich des Auftauchens offener Bewußtseinmanipulation. Sie stellten sich nicht nur selbst offen als Moonies dar und sahen normal aus, sondern, als wir dann im Camp waren, konnte ich keinen Mangel an Schlaf und Eiweiß und keine Beeinträchtigung oder Belästigung bemerken. Jeden Morgen stand ich zwischen 8:30 und 9:00 Uhr auf - wenn ich es müde war, herumzuliegen; niemand forderte mich auf, früh aufzustehen. Wir bekamen während der drei täglichen Mahlzeiten Eier, Fisch, Thunfisch, Käse und andere eiweißreiche Nahrung zu essen, außerdem gab es täglich dreimal Snacks. Es wurde mir "erlaubt" - wenn auch kurz -, mit anderen neuen Rekruten private Gespräche zu führen; ich hatte sogar gelegentlich Zeit für mich. Wo war all die sogenannte Gehirnwäsche ?

DIE "ERZIEHUNGS"-ERFAHRUNG

Als Erzieher in grundlegenden und universitären System interessierte ich mich für ihre Methode, die Lehre zu übermitteln. Ich hatte auch angenommen, daß die wirkliche "Gehirnwäsche" in diesen Vorlesungsperioden zum Vorschein kommen würde. Ich beobachtete andauernd meinen geistigen Zustand. Während der drei täglichen Vorlesungen über die Lehre, jede von einer bis eineinhalb Stunden Dauer, saß ich da und kritisierte die Vorlesung selbstgefällig für mich selbst. Sieben Jahre an einer höheren Schule und ein Jahr an einer Lehrerbildungsanstalt hatten mich für diese Aufgabe gut vorbereitet. Ich amüsierte mich (und isolierte mich wahrscheinlich auch), indem ich die Art der Techniken feststellte, die sie verwendeten.

Unmittelbar vor uns nach jeder Vorlesung führte uns der Instruktor in Lieder aus ihrem Gesangsbuch mit Gitarrenbegleitung ein. Die Lieder waren sehr schön, mit unterhaltenden Texten. Die meisten handelten von Liebe, Glück, Gott und der Familie. Singen ist eine Tätigkeit der rechten Gehirnhälfte; kritische Analyse ist größtenteils der linken Hemisphäre zugeordnet. Daher diente das Singen nicht nur dazu, die Vorlesungen mit einem Glorienschien der Güte zu umgeben, sondern es gelang ihm auch, die nichtanalytische Seite des Gehirns zu stimulieren.

Die Vorlesung

Vorlesungen wurden in einer Art von Schnellfeuer vorgetragen, mit wenig Gelegenheit zum Denken. Die Instruktoren schrieben eine Menge an die Tafel, während sie sprachen. Wir alle bekamen Papier und Bleistifte, um uns Notizen zu machen; wenn ich auf die Papiere derer um mich herum sah, beobachtete ich, daß die anderen Zuhörer einfach das aufschrieben, was an der Tafel stand: Worte und Phrasen, die für sich allein sinnlos waren. Es blieb keine Zeit, die wichtigsten Punkte in ihrer Gesamtheit aufzuschreiben.

Damit wirkliches Lernen stattfindet, ist es für den Lernenden notwendig, aktiv am Lernprozeß teilzunehmen. Ich bin ein absoluter Anhänger der sokratischen Frage-Antwort-Methode; die Moonies sind es jedoch nicht. Sie erlauben während der Vorlesungen keine Fragen. (Auch traditionelle asiatische Lehrer erlauben keine Fragen. Den Studenten wird beigebracht, nur das aufzuschreiben, was die Lehrer sagen). Als ich später fragte, warum keine Fragen erlaubt seien, wurde mir gesagt, daß es der Zweck der ersten Vorlesung sein, einen Überblick zu geben: sie wollten alles einbeziehen und ein Aufenthalt bei Fragen würde den Fluß unterbrechen. (Ehemalige Mitglieder berichteten, daß sie auch bei fortgeschrittenen Vorlesungen keine Fragen erlauben). Sie erklärten, daß wir in den kleinen Diskussionsgruppen, die auf die Vorlesungen folgten, Fragen stellen dürften. Inzwischen könnten wir unser Papier und unsere Bleistifte dazu benützen, um Fragen für später aufzuschreiben.

So schrieb ich also meine Fragen und Gegenargumente auf, während die Vorlesung weiterging. Ich fand jedoch, daß am Ende der Vorlesung viele meiner Fragen dumm und weit hergeholt geklungen hätten, daher stellte ich sie nicht. Wenn ein Argument auf 15 Punkten beruht und Punkt 2 nicht stimmt, daß fällt das ganze Argument in sich zusammen. Wenn ich aber Punkt 2 nicht in Frage stellen kann, bis wir zur endgültigen Schlußfolgerung gekommen sind, hat das Gegenargument keinen Sinn und die Schlußfolgerung stimmt. Noch schwieriger wird die Sache dadurch, daß die Schlußfolgerungen sehr allgemein und idealistisch sind. Wer möchte argumentieren, daß die Welt keine Liebe benötigt ?

Ich verbrachte während des Wochenendes mindestens acht Stunden bei Vorlesungen; nachher erinnerte ich mich fast an gar nichts, außer daß die Welt voll von Haß ist und Gottes Liebe braucht, und wie sehr wir eine auf Gott gerichtete Familie benötigen - eine, die in Gottes Liebe wurzelt. Für acht Stunden ist das nicht sehr viel, besonders für jemand, der 25 Jahre in Schulen verbracht hat und im Lernen geübt ist. Die Moonies hören sich immer wieder die selben Vorlesungen an. Ich fragte einige, ob sie nicht müde wurden, sie so oft zu hören. Sie sagten, nein, sie hörten in ihnen immer wieder neue Dinge. Rückblickend bin ich nicht überrascht. Ihre Methoden sind zum Unterrichten ungeeignet, daher lernt man nicht wirklich. Die Phrasen bleiben hängen, aber das ist auch alles. Das letzte Ziel ist es, die Vorlesung zu "lernen", das den Zuhörer von der Aufgabe ablenkt, das zu verstehen und zu analysieren, was gesagt wurde.

Diskussionsgruppen

Während der Diskussionsgruppen gab es wenig kritische Analysen. Die meisten Kommentare von Mitgliedern betrafen Fragen zur Klärung oder Lob für bestimmte Ideen. Da sonst niemand Fragen zum Inhalt stellte, nahm ich mich dieser Aufgabe an. Während des Wochenendes erwarb ich mir in meiner Gruppe den Ruf eines "Diskussionsflegels". Ich fragte, was ich für wesentliche Fragen über die Natur Gottes und die Wirklichkeit hielt, die Rolle der Evolution, die Position der Kirche bezüglich der "Geretteten" gegenüber den "Verdammten" (die sich von Beschreibungen ehemaliger Mitglieder unterschied), der Möglichkeit, angesichts der natürlichen Auslese völlig selbstlos zu handeln, und so weiter. Sie antworteten auf meine Fragen mit einer Menge Zweideutigkeiten, aber sie taten es so nett und aufrichtig, daß es schwierig war, ihnen zu widersprechen. Insgesamt wurde niemals mitgeteilt, daß diese Themen zur Diskussion standen; die Diskussionsleiter verhielten sich so, als ob ihre Rolle bloß darin bestehe, für uns Neulinge das zu erklären, was gesagt worden war.

 

Schlußfolgerungen

Bezüglich der "Erziehungs"-Erfahrung möchte ich zwei Punkte erwähnen. Erstens sind die Methode und die Techniken in höchstem Grade manipulativ und dazu geschaffen, im "Lernenden" die Idee zu erzeugen, daß man diese Information akzeptieren und sich merken müsse, statt sie auf die Probe zu stellen und sie zu analysieren. Die Moonie-Instruktoren verhindern aktiv die Benützung von höheren kritisch denkenden Fähigkeiten. Statt dessen ist ihre Art und Weise eher so, wie sie für kleine Grundschulkinder verwendet wird. Ich fühlte dauernd, daß zu mir heruntergesprochen wurde, was tatsächlich mit der Methode des ganzen Wochenendes übereinstimmte: wir wurden ständig dazu gebracht, uns eher als kleine Kinder zu fühlen denn als Erwachsene. Die Vortragenden nehmen eine Stellung der Autorität in Anspruch, denn sie sind diejenigen, welche im Besitz der Kenntnisse sind; bevor wir alles gelernt haben, müssen wir fragenlose Kinder / Studenten bleiben.

Zweitens war ich wegen meiner Erziehung und meines Hintergrundes viel besser als der durchschnittliche Rekrut darauf vorbereitet, mit dem Beeinflussungsprozeß zurechtzukommen. Psychologisch war ich durch mein eigenes sehr starkes Glaubenssystem und meine selbstauferlegte Rolle als Beobachter geschützt. Zu keiner Zeit fühlte ich, daß mein Glaube beeinflußt wurde; mein Intellekt schien intakt zu sein. Ich beobachtete mich selbst aktiv während des ganzen Wochenendes. Der Umstand, daß ich trotz all dem beeinflußt wurde, unterstreicht die Macht der Überredungstechniken.

ROBERT JAY LIFTON UND DIE

BEWUSSTSEINSMANIPULATION

Jeder, der sich mit Bewußtseinsmanipulation befaßt hat, kennt Liftons (1961) zukunftsweisende Arbeit, in der er die acht Kriterien beschreibt, die zu ideologischem Totalismus führen. Ich möchte hier beschreiben, wie diese Kriterien auf die Erfahrung mit den Moonies anzuwenden sind.

Milieukontrolle

Das erste Kriterium, das Lifton (1961) beschreibt, ist Milieukontrolle, oder die Beschränkung jeder Art von Kommunikation mit der äußeren Welt. Es handelt sich um eine geschlossene Umgebung. Dies stimmte sicher für Camp K, das physisch in den Wäldern isoliert war, weit weg von jeder Stadt. Es gab kein Fernsehen, kein Radio, keine Zeitungen und keinen anderen Einfluß von außen. Als Ergebnis wurde die Gruppe zur einzigen Realität.

Das für sich allein ist nicht sehr schlimm. Dies geschieht auf natürliche Weise während des Prozesses der Sozialisation. Jede Kultur hat ihre eigene "Beschreibung der Realität", wie Castaneda (1972) sagt. Ein heranwachsendes Kind lernt diese Realität leicht genug. Wenn man in andere Kulturen überwechselt, geht man durch einen Prozeß der Akkulturation, in dem man die Überzeugungen, die Werte und das Verhalten der neuen Kultur annimmt. Die Geschwindigkeit, mit der dies abläuft, hängt von vielen Faktoren ab, einschließlich der Zeit, die man mit "äußeren" Einflüssen verbringt, d.h. mit Mitgliedern der eigenen ursprünglichen Kultur. Je mehr Zeit man ausschließlich innerhalb der neuen Kultur verbringt, desto schneller und vollständiger dürfte die Akkulturation vor sich gehen.

Die Fähigkeit, sich anzupassen, ist in das menschliche Biogramm eingebaut. Das ist eine der Ursachen dafür, warum wir als Art so erfolgreich sind. Die Prozesse der Sozialisierung und Akkulturation sind natürlich.; sie finden ständig statt und wir sind darauf "programmiert", auf sie zu reagieren. Sie gehören zur Erfahrung von uns allen. Wenn sie daher während des Kultbekehrungsprozesses auftreten, dann ertönt kein Warnsignal: es ist ja nichts Neues. Der Unterschied im Zusammenhang mit dem Kult liegt vielleicht darin, daß es mit der spezifischen Absicht geschieht, jemand zum akkulturieren, der es in diesem Augenblick wünscht oder auch nicht wünscht, akkulturiert zu werden. Wenn jemand von einem Land in ein anders übersiedelt, dann weiß er, was ihn erwartet; der durchschnittliche Rekrut , der an einem Wochenend-"Camp" teilnimmt, weiß das nicht.

Mystische Manipulation

Das zweite Kriterium, das Lifton diskutiert, ist die mystische Manipulation. Der neu zu Bekehrende ist überzeugt, daß die Gruppe für einen "höheren Zweck" arbeitet und daß er bei der Erreichung dieses Zieles ein Instrument sein kann. Ganz von Beginn an ließen mich die Moonies wissen, daß sie daran arbeiteten, die Welt zu Gott zurückzubringen. Dadurch würden sie alles Übel, Hunger, Armut und Kriminalität ausmerzen. Sie unterschieden sich von anderen Religionen und Organisationen, sagten sie, denn sie hatten nicht nur Ideale, sie lebten danach. Du kannst wohl auch für dich allein Gutes tun, aber wenn du dich der Gruppe anschließt und mit ihr arbeitest, werden die Auswirkungen deiner Anstrengungen viel größer sein. Ich war mehr als durch anderes durch die offensichtliche Ehrlichkeit ihres Glaubens betroffen, daß sie wirklich die Welt retten würden - und daß Gott von jedem einzelnen von ihnen abhing, dies zu tun.

Dies hängt mit einem anderen Faktor zusammen, der nicht so sehr täuschend manipulativ ist, sondern der einen Teil der Faszination der Kulte ausmacht. Die Gruppe bietet einen Sinn für das Dasein an. Leute, die beitreten, sind davon überzeugt, daß sie die Welt verändern können. Es ist schwierig, die existentialistische Position einzunehmen; Menschen benötigen Sinn in ihrem Leben. In den Sechzigerjahren konnten wir unsere Energien dem Vietnamkrieg zuwenden. Obwohl ich vor meinem Studienabschluß kein politisch ausgerichteter Mensch war, beinhalten meine bemerkenswertesten Erinnerungen vom College meine Teilnahme an Protesten gegen den Krieg. Der Gemeinschaftsgeist, den ich während des "Candellight Moratorium" fühlte, das Gefühl, in etwas viel Größeres als ich selbst involviert zu sein, war ein unglaubliches Gefühl, das ich seitdem selten hatte. Heutige junge Leute haben wenig Ursachen für Inspirationen. Die Kulte bieten sie.

Geheiligte Wissenschaft

Lifton diskutiert auch die Annahme der grundlegenden Gruppendogmen als geheiligt: eine Aura geheiligten Wissenschaft umgibt das Glaubenssystem. Wie früher angedeutet, wurden Dogmen der Kirche in den Vorlesungen vorgestellt, als wären sie wissenschaftliche Wahrheiten. An einer einzigen Stelle erwähnte der Vortragende, daß es bloß eine "Theorie" sei, aber für der Rest des Wochenendes wurde es als "Wahrheit" präsentiert. Eine der Fragen, die ich in der Diskussion stellte, war, ob sie die Göttlichen Prinzipien (die Bibel der Vereinigungskirche) als absolute Wahrheit oder als Wahrheit unter vielen anderen Wahrheiten darstellten. Die Antwort, die ich bekam, lautete im wesentlichen folgendermaßen: Alle Religionen haben Elemente der Wahrheit. Wir glauben, daß wir die Größere Wahrheit haben. Wir haben es ausprobiert. Es funktioniert. Rekruten werden eingeladen, es für sich selbst zu versuchen und es dann zu sehen.

Beachten Sie die Betonung auf der traditionellen wissenschaftlichen Methode von Hypothese und Experiment. Das ist jedoch nur der äußere Anstrich der Wissenschaft. Was fehlt, ist die Methode der Widerlegung. Die grundlegenden Lehrsätze ihres Glaubens müssen gläubig angenommen werden; es gibt keine Möglichkeit, sie zu widerlegen. Die Korruption in der Welt ist für sie das offensichtliche Zeichen, daß Satan uns kontrolliert. Es gibt keine Möglichkeit, Satans Existenz zu beweisen oder zu widerlegen. Jede Diskussion beginnt bei der grundsätzlichen Annahme, daß die Göttlichen Prinzipien wahr sind. Ihre Verifikation ist kein Diskussionsgegenstand.

Die Darstellung von Dogmen als Wahrheit ist meiner Meinung nach ein anderer Gesichtspunkt, der junge Leute anzieht. Einer der Kurse, die ich unterrichte, ist der über die Entwicklung des Menschen. Was mir an diesem Gegenstand am besten gefällt, ist gerade das, was die meisten Studenten am wenigsten mögen: der Umstand, daß wir so wenig über die Vergangenheit wissen, und daß sich die Vorstellungen ständig mit jeder neuen Entdeckung eines Fossils ändern. Intelligente Gelehrte diskutieren über konkurrenzierende Theorien. Statt sich an den Geheimnissen zu erfreuen, sind die meisten Studenten wegen des Fehlens von festen Tatsachen frustriert; sie möchten wissen, wessen Theorie recht hat.

Vielleicht weil heute so viel Unsicherheit in der Welt herrscht, suchen junge Leute nach endgültigen Antworten, nach etwas Stabilem, an das man glauben kann. Traditionellerweise ändern sich Kulturen sehr langsam. Seit dem Beginn der Industrialisierung stimmt das aber nicht mehr. Die Technologie hat sich mit solcher Schnelligkeit entwickelt, daß die Kultur bockspringen muß, um ihr folgen zu können. Die Wahrheit ändert sich ständig, und viele junge Leute mögen das nicht. Deshalb seufzen sie erleichtert auf, wenn ihnen jemand erzählt, das dies die Weise ist, wie die Dinge wirklich sind, daß es Wahrheit gibt und wir sie gefunden haben, und sie begeben sich in der falschen Sicherheit zur Ruhe.

Unterordnung der Person unter die Doktrin

Gemäß diesem Kriterium hat die Gruppendoktrin den Vorrang vor allem, was der Einzelne früher gelernt hat. Der Wert des Individuums ist dem Wert der Gruppe, ihrer Arbeit und ihrer Doktrin untergeordnet. Im Kontext der Vereinigungskirche wird dir klargemacht, wie selbstsüchtig es ist, dich selbst und deine individuellen Bedürfnisse und Wünsche an erste Stelle zu setzen. Wir müssen zuerst an die anderen und an Gott denken, bevor wir an uns selbst denken. Individualität wird mit der Vorstellung von Selbstsucht verbunden, die Gruppe hingegen mit dem Konzept der Selbstlosigkeit. Unsere Kultur hat uns zu glauben gelehrt, daß Selbstsucht schlecht und Selbstlosigkeit gut sind; deshalb ist es natürlich zu lernen, man solle sich unter das Gute der Gruppe unterordnen, um eine "gute" Person zu sein. (Das ist auch für viele asiatische Kulturen charakteristisch).

Die Aberkennung der Existenz

Hier wird eine scharfe Linie gezogen zwischen jenen, die "gerettet" werden und denen, die "verdammt" werden (Nichtmitglieder). Als Antwort auf meine Frage bestritten die Moonies offen, daß dies einer ihrer Glaubenssätze sei, obwohl ehemalige Mitglieder berichten, daß dies später gelehrt wird. Diese Lehre bildet die Basis für vieles von der Angst und dem Schuldgefühl, von dem ehemalige Mitglieder berichten, daß es sie so lange in der Gruppe hielt. Obwohl man einwenden könnte, daß ehemalige Mitglieder Vorurteile haben, ist die Aberkennung der Existenz ein Teil vieler, wenn nicht der meisten, größeren Religionen und ist vermutlich auch Teil der Ideen der Vereinigungskirche.

Persönliches Bekenntnis

Die Forderung nach persönlichem Bekenntnis seiner innersten Befürchtungen und Ängste ist eine andere Technik, die zur Erlangung der Bewußtseinsmanipulation benützt wird. Ich erfuhr während meines Wochenendes im Camp eine sehr milde Version davon. Das Bekenntnis bestand hauptsächlich darin, daß ich über mich und meine Gefühle gefragt wurde. Ich stellte mich als psychologisch gesunde Person dar und sie drängten mich nicht weiter.

Ich wurde jedoch Zeuge von etwas, das erwähnt werden soll. Meine "geistliche Mutter"

zeigte mir einen Brief, der ihr von einer ihrer "geistlichen Schwestern" mit der Hand geschrieben und übergeben worden war, einer jungen Frau, mit der ich ziemlich viel gesprochen hatte. Meine "Mutter" erklärte mir, daß sie einmal im Monat Briefe wechselten. Sie las ihn mir vor, um mir den Unterschied zwischen der Art von Briefen, welche sie von ihrer leiblichen Schwester und ihren "Schwestern" in der Kirche erhält, zu zeigen. Ihre leibliche Schwester schreibt ihr über die Ereignisse in ihrem Leben. "Susan" (meine geistliche Mutter) sagte, daß sie daran nicht interessiert sei. Ihre Kirchenschwestern schreiben ihr über ihre Gefühle, darüber, was in ihnen geistig vorgeht. In dem Brief, den sie mir vorlas, bekannte ihre Schwester Jane, daß sie sich am vergangenen Tag sehr niedergeschlagen und deprimiert gefühlt hatte und daß sie sich sehr anstrengen mußte, um diese Gefühle zu überwinden. Sie schrieb über ihre ständigen inneren Kämpfe und Herausforderungen - ein wichtiges Thema in vielem, was ich an diesem Wochenende hörte.

Die Aussagen in Schwester Janes Brief sind aus zwei Gründen wichtig. Erstens zeigen sie eine Form von Bekenntnis, das in der Gruppe ständig gepflegt wird, obwohl ich nicht sicher bin, wie weit verbreitet es ist. Zweitens sind sie ein Beispiel für die emotionelle Niedergeschlagenheit, die vorkommt. Ich hatte tatsächlich an dem Tag, auf den sich der Brief an Susan bezog, viel Zeit zusammen mit Jane verbracht. Ich bilde mir ein, für die Stimmungen und Gefühle anderer Leute empfänglich zu sein, ich merkte jedoch nichts von Janes Niedergeschlagenheit, die sie in ihrem Brief beschrieb. Mir erschien sie glücklich - gerade wie hier jeder glücklich zu sein schien. Dennoch war hier Jane, die zugab, daß sie es nicht war. Ob die glückliche Fassade zugunsten neuer Rekruten aufgesetzt wurde oder etwas war, was die Moonies eingeübt hatten (à la "graue Wolken werden sich verziehen, mach ein glückliches Gesicht"), oder eine Kombination von beiden, darüber bin ich mir nicht sicher. Ebenso weiß ich nicht, warum sie mir erlaubten, die Diskrepanz zu sehen. Es zeigt jedoch, daß das, was wir an der Oberfläche sehen, nicht immer das widerspiegelt, was darunter ist. Das ist sehr wichtig und ein Teil der Methode, mit der sie Leute "fangen". Levine (1984) kommentiert so:

Soviel ich auch strahlende Gesichter und Zeugnisse von Freudenausbrüchen gesehen habe, irgend etwas hat mich immer daran gehindert, mitgerissen zu werden. Wieder und wieder habe ich bei hunderten von engagierten Gruppenmitgliedern gefühlt, daß es eine Vorstellung ist, ein Fall von schlechter Schauspielerei, bei der der Schauspieler selbst von der leuchtenden Wahrheit seiner Rolle mitgetragen wird, es ihm jedoch nicht gelingt. die Zuseher zu überzeugen.... Sie sind nicht gehirngewaschen oder verrückt, aber sie sind auch nicht ganz in Ordnung. Das glückliche Gesicht, das Mitglieder vorzeigen, ist gerade deshalb nicht ansteckend, weil es ihre innere Dynamik nicht genau wiedergibt. (S. 25-26),

Susan mache auch mir gegenüber ein "Bekenntnis". Sie sprach häufig über ihre Arbeit beim Project Volunteer, einem Regierungsprogramm, in dem an Arme kostenlos Nahrungsmittel verteilt werden. Sie ist weiß; die meisten Empfänger des Projektes sind schwarz, und viele haben wegen ihrer Hautfarbe und ihrer Zugehörigkeit zu den Moonie eine feindselige Einstellung. Sie bekannte, daß sie das sehr schmerzte und daß es für sie sehr schwierig war, aber sie fügte hinzu, daß sie es als Herausforderung betrachte, als etwas, das ihr half, zu wachsen und ein besserer Mensch zu werden.

Psychologisch hat Bekenntnis den Effekt, die Leute enge aneinander zu binden und sie dazu zu bringen, ihre innersten Gedanken und Gefühle auszutauschen. Wir neigen dazu, stärkere Bindungen zu jenen zu fühlen, denen wir uns anvertraut haben. Vielleicht war das der Grund dafür, daß sie mir erlaubte, etwas von ihrem Unglücklichsein zu sehen. Vielleicht ist die Mitteilung, es sei gut, auszutauschen, was du denkst und was du fühlst, ein so wichtiger Teil des psychologischen Einfangens, daß es nichts ausmachte, mich dabei hinter ihre "glückliche" Fassade blicken zu lassen.

Die Forderung nach Reinheit und die Bedeutungsverschiebung der Sprache

Die Forderung nach Reinheit ist die Forderung, ständig nach Perfektion zu streben, um das höhere Ziel zu erreichen. Janes Briefe und Susans Gespräche mit mir zeigen, daß sie sich stets dessen bewußt sind, sie müßten versuchen, bessere Menschen zu werden.

Die Bedeutungsverschiebung der Sprache beinhaltet die Erschaffung einer Ausdrucksweise, die bekannten Wörtern neue Bedeutungen zuordnet. Das trägt dazu bei, Mitglieder von Nichtmitgliedern noch mehr zu trennen. Ein wichtiges Beispiel dafür ist die Verwendung der Ausdrücke Mutter, Vater, Schwester und Bruder. Statt sich auf Blutsbande zu beziehen, bedeuten sie Kirchenbindungen. "Bruder" bezieht sich auf alle männlichen Moonies, "Schwester" auf alle weiblichen Moonies; deine geistliche "Mutter " und dein geistlicher "Vater" sind jene, die sich von dem Augenblick an, wenn du die Kirche betrittst, um dich kümmern (und fast nie von deiner Seite weichen). "Vater" selbst ist Reverend Moon und "Mutter" seine Frau. Sie sind deine "wahren Eltern".

Die Zuordnung neuer Bedeutungen zu gefühlsmäßig belasteten Ausdrücken dient in dieser Hinsicht auch dazu, um die Mitglieder von ihren natürlichen Familien zu trennen. Zusätzlich macht der Gebrauch dieser speziellen Ausdrücke de facto den Rekruten zu einem "Kind". Die Moonies nennen dich niemals direkt so, aber wenn sie deine geistliche Mutter und dein geistlicher Vater sind, was kannst du dann anderes sein als ihr Kind ? Der Zusammenhang ist der, daß du jemand bist, der nicht sehr viel weiß, jemand, der belehrt werden muß. Zusammen mit der kindlichen Natur von anderen Aktivitäten (die im nächsten Abschnitt behandelt werden), dient dies dazu, dich psychologisch in jene Zeit zurückzuführen, in der die Sozialisierung zum erstenmal stattfand, um so den Prozeß der Resozialisierung zu erleichtern.

Schlußfolgerungen

Wie früher bemerkt, ist keines der von Lifton definierten Kriterien, wie sie sich im Zusammenhang mit dem Camp-Wochenende zeigten, besonders schlimm: viele sind Aspekte des normalen Lebens. Die Gefährlichkeit ihrer Verwendung in Kulten liegt darin, daß sie alle zugleich in der Absicht benützt werden, potentielle Rekruten zu bekehren, ohne sie darüber voll zu informieren, was vor sich geht. Hineingezogen in einen Wirbelwind von Erfahrungen und mit wenig freier Zeit, in welcher sie das Geschehene analysieren können, werden Rekruten fast ohne ihre Kenntnis oder ihre Zustimmung "gefangen".

Der Prozeß der Resozialisation - oder Akkulturation in die neue Subkultur - findet innerhalb einer gewissen Zeitspanne statt; nicht alles geschieht nur an einem Wochenende. Der Prozeß der Änderung von Glaubensvorstellungen geht langsamer vor sich. Der Trick liegt darin, den Rekruten so lange zum Bleiben zu veranlassen, bis dies eintritt. Hier kommen die vielen manipulativen und betrügerischen Praktiken ins Spiel. Im nächsten Abschnitt werde ich darauf zu sprechen kommen, wie die Moonies neue Rekruten zum Bleiben beeinflussen.

BEEINFLUSSUNGSTECHNIKEN

Ein wichtiges Gebiet im Studium des Busisness Management ist das Studium der Macht - oder der Fähigkeit, andere zu beeinflussen und / oder ihr Verhalten zu steuern. Johnson und Johnson (1975) beschreiben sechs Grundlagen der Macht: Belohnung, Zwang, Legitimierung, Beziehung, Expertentum und Information. Vier davon sind hier von besonderer Bedeutung:

1. Legitimierung: Gruppenmitglieder glauben, daß eine Person aus Gründen der Stellung oder der Verantwortung Macht haben sollte.

2. Beziehung: Gruppenmitglieder tun das, was die Person wünscht, aus Respekt, weil sie sie lieben, oder weil sie geliebt werden wollen.

3. Expertentum: Gruppenmitglieder glauben, daß die Person spezielle Kenntnisse oder Fertigkeiten hat und daß sie vertrauenswürdig ist.

4. Information: Gruppenmitglieder glauben, daß die Person nützliche Informationen hat, die anderswo nicht zu erhalten sind.

Der Glorienschein der legitimen Macht kommt denjenigen zu, die in der Rolle von Vortragenden sind. Man hätte ihnen die Stellung eines Lehrers nicht gegeben, wenn sie nicht die Kenntnisse und Fähigkeiten dazu hätten, oder ? Auf diese Weise wird ihnen auch Expertenmacht zugesprochen. Legitime Macht erhalten auch die Gruppenmitglieder - im Gegensatz zu den Rekruten -, weil sie nun in der Position von geistlichen Eltern sind, und wir alle wissen, daß Eltern dieselbe legitime Macht über Kinder haben wie Lehrer über Studenten.

Die Moonies präsentierten einen alternativen Lebensstil, der sehr anziehend war: Gemeinschaft, Liebe, Idealismus. Sie präsentierten ein Bild von wahrem Glück, von dem ich jedoch lernte, das es falsch war. Die meisten jungen Leute streben nach solchen Zielen, die sie mit vielen der Leute gemeinsam haben, die von Kulten angezogen werden. Die Moonies präsentierten sich als Leute, die einen Weg gefunden hatten, der funktionierte, um diese Ziele zu erreichen. Nicht nur das, sondern sie wollen ihren Weg mit uns teilen, sodaß auch wir diese Ziele erreichen können, die es zu erreichen sich lohnt. Auf diese Weise arbeiten sie mit der Macht der Experten und der Macht der Information.

Ich erlebte ein direktes Beispiel von Beziehungsmacht am Samstagabend, als wir uns in unseren kleinen Gruppen versammelten, um darüber zu sprechen, "was uns heute am besten gefallen hatte" - nicht was wir über den Tag dachten, sondern was uns am besten gefallen hatte. In der Runde erwähnten die Leute Dinge wie die Vorlesung über Reverend Moon, den Film über die Vereinigungskirche oder etwas, was in der Vorlesung gesagt worden war. Mir persönlich hatte an diesem Tag das Volleyballspiel am besten gefallen. Aber es war mir klar, daß wenn ich dies sagte, es sehr oberflächlich klingen würde, daher suchte ich nach etwas, das in ihren Augen besser aussehen würde und dennoch wahr wäre. Als die Reihe an mich kam, sagte ich :"Es gefiel mir wirklich, eine Reihe von netten Leuten kennenzulernen". Auf diese geringfügige Weise war mein Verhalten bereits beeinflußt worden

"Love Bombing"

Selbstachtung ist ein grundlegendes menschliches Bedürfnis. Die Moonies benützen eine Technik, die als "Love Bombing" bekannt ist, um aus diesem Bedürfnis Vorteile zu schlagen. Sie besteht grundlegend daraus, jemandem eine Menge positiver Aufmerksamkeit zu schenken. Zum Beispiel sagte Jane eines Morgens zu mir: "Weißt du, du bist wirklich eine der offensten Personen, die ich jemals kennengelernt habe. Du baust keine Verteidigung auf. Du bist wirklich offen. Ich denke, das ist großartig". Außer der Verstärkung des Verhaltens der Offenheit gegenüber neuen Ideen, was klarerweise dem Ziel dienen würde, mich zum Mitglied zu machen, brachte dies mir ein gutes Gefühl mir selbst gegenüber. Natürlich war ich darauf vorbereitet; sofort blitzte es in einem Teil meines Bewußtseins auf: "Love Bombing, Love Bombing". Der andere Teil meines Bewußtseins sagte jedoch: "Ja, aber das ist wirklich wahr. Ich bin ein offener Mensch". Obwohl ich wußte, daß es eine manipulative Technik war, wollte ich glauben, daß sie es wirklich meinte, und ich beschloß, daß es wirklich so sei. Jedenfalls stimmte es mit meiner eigenen Einschätzung überein.

Während einer der ersten Gruppensitzungen, bei der wir uns vorstellten, erwähnte ich, daß ich gerne tanzte. Während wir an diesem Abend unsere Gruppenpräsentationen für die "Saturday Night Live Talent Show" vorbereiteten, munterten mich alle ständig auf, unsere musikalische Nummer zu choreographieren. (Die musikalische Nummer bestand darin, neue Worte zu einem alten Lied zu schreiben. Nach vielem Hin und Her wählten wir schließlich "On Broadway". Ich schlug eine Anzahl humoristischer Verse vor, welche das Camp K sanft verrissen; keiner wurde akzeptiert. Man sagte mir, ich solle "aufrechter" sein. Ich lernte schnell, daß man über die Moonies und ihre Lebensweise keine Scherze macht. Die Resozialisierung setzte sich fort.). Was meine Choreographie betraf, fühlte ich etwas Scheu, aber dachte schließlich, warum nicht ? Ich hatte niemals zuvor eine so kooperative Gruppe erlebt. Der einzige Fehler, den man machen konnte, war, nicht daran teilzunehmen. Ich hatte etwa 5 Minuten zur Verfügung, um mich vorzubereiten und die Nummer einer Gruppe von 15 Leuten beizubringen. Unnötig zu sagen, daß mein "Tanz" sehr einfach und ziemlich dumm war, aber es war ja nur Spaß und spielte wirklich keine Rolle. Es trug dazu bei, mich als Teil der Gruppe zu fühlen (eine andere Technik, um emotionelle Bindungen zu erzeugen: Leute aktiv an Gruppenaktivitäten teilnehmen lassen); es bot den Moonies auch reichliche Gelegenheit für noch mehr Love Bombing. Nach der Show und am ganzen nächsten Tag kam mindestens ein Duzend Leute zu mir, um mir zu sagen, welch "großartigen" Tanz ich choreographiert hatte. Trotz der Tatsache, daß ich wußte, es war nicht so, war es ein gutes Gefühl, von Leuten Komplimente für etwas zu bekommen, was für mich wichtig war. So schenkte man mir ein gutes Gefühl, indem man anerkannte, daß ich an der Gruppe aktiv teilgenommen hatte.

Einfluß durch Identifikation und Beispiel

Eine andere wirksame Technik, um Mitglieder zum Beitritt zu verleiten, ist die Identifikation mit Mitgliedern der Gruppe. Ein Teil meiner "Deckung" war, zu sagen, daß ich eine Schullehrerin dritten Grades sei, etwas, was ich einmal 10 Wochen lang gewesen war. Als ich das meinem geistlichen Vater gegenüber erwähnte, antwortete er: "Auch ich war einmal ein Schullehrer". Er betonte immer wieder, wie ähnlich wir einander seien, während wir es tatsächlich nicht waren. Er erzählte mir auch, wie sehr ich ihn an einen nahen Freund erinnerte. Eine Frau erzählte mir, wie sehr ich sie an ihre Schwiegertochter erinnere. Andere Leute sagten, ich sähe so "vertraut" aus. Es war ziemlich offensichtlich, daß dies bloß eine Technik war, um mir das Gefühl zu geben, daß wir nicht so sehr verschieden seien und daß ich Teil ihrer Gruppe sein könnte; ich sehe wirklich nicht so ähnlich wie viele andere Leute aus!

Sie praktizierten auch eine Technik der Verhaltensbeeinflussung durch Beispiel. Eine Weg dazu war der, daß sie mich fortwährend bedienten. Einer meiner geheimen Bedürfnisse ist es, jemanden zu haben, der nach mir aufräumt. Genau das passierte an diesem Wochenende. Nach dem Volleyballspiel ging ich unter die Dusche und klagte über den Geruch meines T-Shirt. Sofort nahm es einer der Moonies und ging es für mich waschen! Am nächsten Morgen fand ich es fein säuberlich zusammengelegt auf meinem Koffer.

Wenn ich Hunger hatte, schien ich nur daran denken zu müssen, etwas zu essen, und jemand würde mir einen Teller mit Essen bringen. Sie bedienten mich ständig, holten mir etwas, versuchten etwas für mich zu tragen. Zuerst gefiel mir das. Bald jedoch wurde es mir unangenehm. Die einzige Möglichkeit, dem zu begegnen, war, ihr Verhalten nachzuahmen: ich begann, Dinge für sie zu tun. Wieder Resozialisierung und zugleich Lehren der Unterordnung der Person unter die Doktrin.

Einfluß durch Gefühle, nicht durch den Verstand

Meine überwältigende Reaktion auf meine Erfahrung an diesem Wochenende war, daß es mir Spaß machte. Es war, als ob man wieder ein Kind wäre. Die meiste Zeit, die nicht bei Vorlesungen verbracht wurde, betraf essen, spielen und singen. Kein Wunder, daß es Camp K genannt wird. Zuerst hielt ich mich beim Singen zurück; ich habe eine schreckliche Stimme und kann die Melodie nicht halten. Aber bald entschied ich: "Warum nicht mittun wie jeder andere auch ? Ich möchte ja sehen, was für eine Erfahrung sie machen." (Gute Begründung). So tat ich es. Ich sang mit aller Energie und allem Enthusiasmus. Ich konnte Mut fassen, denn ich fühlte mich gut. Es war so schön, wieder ein Kind zu sein, ohne Verantwortung, außer es schön zu haben und ein wenig zu lernen. Kinder neigen dazu, die Dinge eher auf Gefühlsebene als auf Verstandesebene zu erfahren. Sicherlich wurde dieser Zugang an diesem Wochenende besonders forciert; er versetzt den Rekruten in einen verwundbaren Zustand und trägt dazu bei, seine Widerstandskraft gegenüber den Autoritäten lahmzulegen, welche versuchen, ihn zu beeinflussen.

DISKUSSION

Im vorhergehenden Abschnitt beschrieb ich mehrere der Techniken, die ich erlebte. Das Ergebnis war, daß mein Verhalten so verändert wurde, daß es mit den Gruppenzielen übereinstimmte, daß ich mich mit den Mitgliedern und daher mit der Gruppe identifizierte und gefühlsmäßige / psychologische Bande mit ihnen knüpfte. Dies sind die ersten Schritte im Prozeß der "Gehirnwäsche". Ich begann, wie sie zu handeln; wild bei mittelmäßigen Darbietungen Beifall zu klatschen, über Standpunkte zu berichten, von denen ich fühlte, daß sie ihre Zustimmung finden würden, aktiv an Spielen und Gesängen aus der Kindheit teilzunehmen. Meine Standpunkte änderten sich auch. Am aussagekräftigsten war eine Bemerkung zu dem Freund, mit dem ich vereinbart hatte, mich vom Camp K abzuholen: "Es war wunderbar. Erinnere mich wieder daran, was bei den Moonies so schlimm ist".

Am Tag nach der Camp-Erfahrung interviewte ich eine ehemalige Deprogrammiererin, die mehrere Jahre bei den Moonies verbracht hatte. Mitten im Interview bat ich sie, genau zu beschreiben, was sie während eines Deprogramming tue. Sie sah mir direkt in die Augen uns sagte: "Genau das, was ich mit dir jetzt getan habe".

Ich war entsetzt: ich brauchte kein Deprogramming. Ich habe ihre Doktrin nicht angenommen; sie haben mich nicht gehirngewaschen. Trotz meiner Proteste kam mir zu Bewußtsein, daß sie mich beeinflußt hatten : "Erinnere mich wieder daran, was bei den Moonies so schlimm ist". Ich kannte sehr wohl die Berichte über den Mißbrauch von Mitgliedern durch die Vereinigungskirche - die langen Stunden beim Geldsammeln, spät in der Nacht, oft in gefährlichen Gegenden; der Mangel an passender Nahrung; das Selbstmord-Training; die Furcht und die Schuldgefühle; die relative Armut, in der die Mitglieder dahinvegetieren, während die Führer im Überfluß leben; die Munitionsfabriken, welche einer Kirche gehören, die angeblich den Weltfrieden anstrebt; die Spaltungen, welche zwischen Familienmitgliedern erzeugt werden; die Betrügereien - den ganzen Horror. Aber dieses Wissen schien nicht mehr wichtig zu sein. Es ging mir wunderbar, die Leute schienen gut zu sein, daher mußte, so dachte ich, die Gruppe ebenfalls gut sein. Während ich bei ihnen war, war ich nicht fähig, die gefühlsmäßige Wahrheit mit der verstandesmäßigen in Einklang zu bringen, und die unmittelbarere gefühlsmäßige Wahrheit behielt die Oberhand. Erst später, als ich den Einflußbereich der Gruppe verlassen hatte, begann das, was ich wußte, wieder Platz zu ergreifen. Dann erst, frei vom sanften Druck, eher auf Grund des Gefühls als der Gedanken zu reagieren, konnte ich beginnen zu analysieren, was geschehen war.

Bewußtseinsmanipulation ist ein schwer belasteter Ausdruck, der Bilder hervorruft, in denen Leute lange Finger in unsere Gehirne stecken und uns wie hilflose Puppen steuern. In Wirklichkeit betrifft er die Verwendung von manipulativen Techniken, die in der Beeinflussung des Verhaltens anderer meist sehr effektiv sind. Sie sind nicht leicht zu erkennen, denn es sind Techniken, die von allen Kulturen - direkt oder indirekt - benützt werden, um Kinder zu sozialisieren und Einwanderer zu akkulturieren. Sozialisierung geschieht mit einem noch nicht geformten menschlichen Wesen; daher ist ihr Einfluß gewöhnlich viel stärker als der der Akkulturation. Wie ich früher bemerkt habe, dient die Erfahrung, während des Trainingswochenendes wieder ein Kind zu sein, der Intensivierung der Erfahrung, indem die Person psychologisch in jene Periode ihres Lebens zurückgeführt wird, in der Sozialisierung zum erstenmal stattfand. Gleichzeitig ist der Umstand, daß Menschen deprogrammiert werden können - d.h. zu ihrer ursprünglichen Persönlichkeit und dem ursprünglichen Niveau ihres Funktionierens zurückgeführt werden können -, ein Nebenprodukt des Umstandes, daß die "Resozialisierung" durch den Kult nur eine Überlagerung von etwas Tieferem und Stärkerem darstellt.

Menschliche Gesellschaften funktionieren auf ordentliche Weise nur deshalb, weil es eine allgemeine menschliche Tendenz zu Konformität gibt. Diese ist besonders stark in der Zeit der Adoleszenz, der Zeit, in der viele junge Leute sich Kulten anschließen. Es ist nicht leicht, darauf zu bestehen, etwas als blau anzusehen, wenn alle anderen dabeibleiben zu sagen, daß es rot ist. Kultmitglieder stellen eine vereinigte konsistente Weltanschauung dar. Sie scheinen sicher und zufrieden zu sein. Es ist eine natürliche menschliche Reaktion, von einer solchen Ansicht beeinflußt zu werden, wenn diese das einzige ist, das einem vorgestellt wird. Je längere Zeit man mit ihnen verbringt, desto mehr von ihren Anschauungen eignet man sich an. Durch die Anwendung von Techniken wie Gruppendruck, Belohnung und Bestrafung, Beispielgeben und sich auf das grundlegende menschliche Bedürfnis nach Liebe und Bewunderung zu verlassen, beeinflussen sie einen, solange bei ihnen zu bleiben, bis man vollständig akkulturiert ist. Man ist jetzt ein Moonie, daher macht es nichts mehr, wenn man jetzt das Camp verläßt.

Die Perspektive der Gehirnwäsche, die hier vorgestellt wird, beruht auf meiner persönlichen Erfahrung in einem Trainingslager der Moonies. Mein Vorschlag war, Gehirnwäsche als eine Art indirekter und manipulativer Beeinflussung zu sehen, welche vertraute Techniken benützt, die im normalen gesellschaftlichen Prozeß der Sozialisierung vorkommen. Diese Techniken werden bei der Sozialisierung gerade deshalb benützt, weil sie außerordentlich mächtig sind. Sie erscheinen unschuldig, aber wenn sie zum Zweck der Täuschung benützt werden, sind sie deshalb nicht weniger mächtig.

Die Verwirrung rund um den Prozeß der Gehirnwäsche rührt daher, daß die meisten Leute nach etwas Offensichtlichem und Fremdartigem Ausschau halten - ähnlich den sensationellen Medienberichten über die Gehirnwäsche bei den Chinesen (tatsächlich machten die Chinesen nicht das, was die Berichte den Leuten weismachten) - während es mit großer Sicherheit nicht so ist. Ich ging ins Camp K, um nach etwas Großartigem und Bösen Ausschau zu halten: ich fand etwas sehr Subtiles und Freundliches, und deshalb erkannte ich seine Macht nicht.

Außerdem fand ich, obwohl die Ausdrücke Gehirnwäsche und Bewußtseinsmanipulation das Schwergewicht auf die Beeinflussung des Intellektes legen, daß der Prozeß zuerst auf der Ebene der Gefühle und des Verhaltens wirkt. Da das emotionale Gehirn (das limbische System) älter ist als die analytische Neocortex, ist seine Macht sehr groß. Das Bedürfnis nach Liebe und Anerkennung - welches die Kulte ausnützen - führt zu psychologischer und verhaltensmäßiger Identifikation mit der Gruppe. Mit der Zeit ändern sich auch die Überzeugungen, aber mehr durch die Zurückdrängung des Intellekts als durch die Veränderung des Intellekts. Daher sind Deprogramming, Ausstiegsberatung und nachkultische Rehabilitation darauf aufgebaut, die analytischen Fähigkeiten zu stimulieren.

Gehirnwäsche ist sogar schwerer zu erkennen, wenn sie uns selbst zustößt, weil sie zusätzlich zu allen erwähnten Punkten eine Menge von Fragen des Selbstbewußtseins betrifft.

"Wenn sie gerade jetzt mit mir Gehirnwäsche betreiben, bedeutet das, daß ich ein schlechter Charakterkenner bin ? Bin ich nicht so gut, wie sie sagen, daß ich gut bin ? Kümmerten sie sich um mich als Individuum oder bin ich nur ein mögliches weiteres Mitglied ?" Und so weiter.

Das Problem der Kulte ist außerordentlich komplex. Ich kam zu meiner Felderfahrung mit einem definiten Vorurteil gegen Kulte auf Grund meiner eigenen Erfahrungen und meiner persönlichen Überzeugung von der Wichtigkeit des Individuums; dennoch sah ich immer noch die Leute, die ich im Camp K kennenlernte, als gute Menschen an. Falls es ihr vordringlicher Beweggrund war, mich zum Beitritt zur Vereinigungskirche zu veranlassen, so deshalb, weil sie (die Mitglieder) glaubten, daß sie auf diese Weise helfen würden, die Welt und meine Seele zu retten. Ist das so unehrenvoll ? Doch wie ehrenvoll ist es, solch manipulative Techniken zu benützen ? Ich verließ das Lager und hielt die Moonies, die ich kennenlernte, gleichzeitig für Opfer und für Täter .

Mein Wochenende mit den Moonies hatte den Zweck gehabt, einige meiner Fragen zu beantworten. Statt dessen warf es noch viel mehr Fragen auf. Das Wichtigste, was ich dabei erfuhr, war ein neues Verständnis von Gehirnwäsche. Wenn wir sie verhindern wollen, müssen wir zuerst lernen, sie zu erkennen.

LITERATUR

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Levine, S. (1984, August). Radical departures. Psychology Today, pp.20-27.

Lifton, R.J. (1961). Thought reform and the psychology of totalism. A study of "brainwashing" in China. New York: W.W. Norton.

Tart, C.T.(Ed). (1969). Altered states of consciousness. New York: John Wiley.

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Aus: Recovery from Cults. Help for Victims of Psychological und Spiritual Abuse.

Edited by Michael D. Langone, Ph.D., W.W Norton & Co - New York - London - 1993

Übersetzung: Friedrich Griess

Referenzen siehe Original


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