Dr. Paul R. Martin: Cult - Proofing Your Kids
(Wie macht man seine Kinder gegen Kulte widerstandsfähig ?)
Zondervan Publishing House, Grand Rapids, Michigan, 1993
ISBN 0-310-53761-4.

Kapitel 5: Wie man einen Kult erkennt

Wenn jemand, den Sie treffen..."zu gut" oder "zu glatt" klingt oder aussieht, und Sie sich durch seine Worte fasziniert fühlen ...so machen Sie am besten einen Schritt zurück und schauen nochmals hin. Vielleicht haben Sie es mit einem Psychopathen zu tun.

- Walter Schreibman, in High Risk: Children Without Conscience

Als Kind ging Jane in eine hebräische Schule, wo sie alles über Kulte lernte. Man klärte sie darüber auf, wie Kulte neue Mitglieder anwerben: durch "love bombing", durch Anbieten von Gratismahlzeiten, von "Wochenendaufenthalten" und durch Vorfeldorganisationen, welche sich als Jugenddienstämter darstellen. Sie lernte auch über spezielle Kulte wie die Moonies, die Scientologen und die Kinder Gottes.

Jane fühlte sich der Begegnung mit einem Kult gewachsen. Sie hatte tatsächlich eines der besten Kultverhütungsprogramme absolviert, die an Schulen zur Verfügung standen. Doch nützte alle die Erziehung in Hinblick auf Kulte nichts, denn Jane schloß sich der "Universellen und triumphierenden Kirche" an, nachdem sie durch eine nahe Freundin geworben worden war. Später erkannte sie ihren Irrtum und kam nach Wellspring, um sich von ihrer Verwicklung in den Kult zu erholen. (Anm.d.Übers.: Wellspring ist das vom Autor geleitete Rehabilitationszentrum für Kultgeschädigte).

Wie konnte Jane, um alles in der Welt, in einen Kult gelangen ? Diese junge Frau erkannte nicht, daß Kulte auf verschiedene Weise werben. Sie erkannte auch nicht, daß auch die besten Bücher über Kulte hunderte, wenn nicht tausende andere Gruppen nicht erwähnen, die kultischer Natur sind. Statt dessen überlegte Jane, "wenn sie nicht ein Moonie oder ein Mitglied des 'Way' oder eine Scientologin ist, dann wendet sie nicht das 'love bombing' auf mich an. Man übt auf mich keinen Druck aus, zu irgendwelchen besonderen Treffen zu gehen, daher kann es kein Kult sein".

Oberflächliche Erscheinungen

Niemand ist jemals hausieren gegangen, um einem Kult beizutreten. Niemand hat sich jemals absichtlich eine Organisation ausgesucht, wo er ökonomisch, physisch und emotionell manipuliert werden könnte. Täglich werden jedoch Leute in Kulte und Randgruppen gelockt, welche das eine versprechen und ganz etwas anderes bieten.

Wie kann man nun einen Kult erkennen ? Wie kann man hinter die anfänglichen und oberflächlichen Erscheinungsbilder blicken, welche die Kulte bieten, um ihren inneren Mechanismus kennenzulernen ? Ein Weg dazu ist die Erkenntnis der Hauptmerkmale von Kulten.

Kultmerkmale

Kulte manipulieren die Leute

Der Schlüssel zur Werbung durch einen beliebigen Kult liegt darin, wie sie die Leute manipulieren. Sehen Sie sich die folgenden Definitionen von Manipulateuren an:

- Der aggressive Manipulateur fordert
- Der liebevolle Manipulateur erbittet durch Schmeicheln
- Der schwächliche Manipulateur benötigt
- Der starke Manipulateur überwältigt (4)

Um manipuliert zu werden, muß man die Kontrolle zu einem gewissen Grad abgeben. Wie geschieht das ? Zuerst sprechen Manipulateure die Bedürfnisse, Wünsche, Sehnsüchte und Schwächen eines Menschen an. Sie bieten etwas, das zu befriedigen scheint.

Zweitens gründen Manipulateure ihren Anspruch eher auf Emotionen als auf Logik. Die Leute scheinen sich heutzutage mehr durch die Dynamik der Darbietung als durch den Inhalt einer Botschaft überzeugen zu lassen. Harold Busséll bemerkte, daß sich Studenten des Gordon College mehr durch eine machtvolle Darbietung als durch den Inhalt einer Predigt begeistern ließen. Die Studenten verlangten nahezu unabänderlich, bestimme Prediger wieder einzuladen, wenn sie dynamische Prediger waren. (10). Inhalt oder Substanz hatten wenig mit ihren Anforderungen zu tun. Wenn wir nicht mehr an der Logik als an der Emotion interessiert sind, werden wir ohne Ende durch die "Verpackung" einer Botschaft manipuliert werden.

Drittens haben Manipulateure gelernt, wie sie in destruktiven Kulten ebenso erfolgreich arbeiten können wie in der Werbung. Kultwerber arbeiten wie raffinierte Verkäufer von Gebrauchtwagen. Alte Giftmischungen wurden in neue Elixiere von geistiger Vitalität und physischem Wohlbehagen umgebraut. Durchwegs in der Geschichte fielen Leute einfachen Antworten, schnellen Lösungen und großen Gewinnen zum Opfer.

Kulte erlauben keine Fragestellung

Wahre Führerschaft erlaubt Fragen und anerkennt sogar die Wichtigkeit gelegentlicher Dispute. Eines der ersten Kennzeichen von Kulten oder anderen Gruppen mit kultischen Tendenzen ist die Verurteilung des In-Frage-Stellen.

Eine Freundin sagte mir vor kurzem, wie empört sie war, als sie einen Aufkleber sah mit dem Text: "Stelle die Autorität in frage". Wie so viele andere Evangelikale betrachtete sie In-frage-Stellen von Autoritäten als ein Zeichen von Anarchie, Respektlosigkeit und Rebellion. Die Bibel erlaubt jedoch nicht nur die Infragestellung von Autoritäten, sondern sie sagt auch, daß es in der Verantwortlichkeit jedes Christen liegt, dies zu tun. Zum Beispiel:

Im Gegensatz zu diesem Geist hämmert der Kult den Glauben ein, daß die Infragestellung von Autorität Sünde ist. Fragen aber können das Zeichen eines berechtigtermaßen untersuchenden und analytischen Bewußtseins sein. Hätte man nur den Leuten gestattet, Jim Jones Fragen zu stellen, lange bevor sie den Gifttrank zu sich nahmen! Nicht das Infragestellen an sich ist ein Zeichen von Rebellion, wie es fast alle Kulte lehren, sondern die Haltung des Fragestellers, die Trotz gegen die Autorität anzeigen mag.

Kulte verlangen Unterwerfung unter die Autorität

Kulte fordern Abhängigkeit und nennen es biblische Unterwerfung. Als Reaktion auf dieses falsche Konzept der Unterwerfung verwirft man auch damit das Konzept wahrer Unterwerfung - weil es fälschlicherweise als ungesund, lähmend und psychologisch versklavend angesehen wird. Traurigerweise ist es das, was viele erleben, wenn sie sich der kultischen Art der Unterwerfung hingeben - ungesunde und lähmende psychologische Abhängigkeit.

Bei der kultischen Unterwerfung gibt es keine oder wenige Möglichkeiten zum Ausdruck seiner selbst. Geltung, Initiative, Infragestellen und der Ausdruck von Gefühlen der Individualität sind streng verboten oder werden schwer mißbilligt. Bei kultischer Unterwerfung fürchtet man Abweisung, bittet um Erlaubnis, braucht ständige Bekräftigung und Ratschläge von seiten der Leiter und gerät in Panik, wenn man fürchtet, ihnen mißfallen zu haben.

Kultische "Unterwerfung" ist Abhängigkeit - nicht Unterwerfung. Was ist gesunde Unterwerfung ? In biblischer Unterwerfung gibt es keine Verneinung seiner Persönlichkeit, seiner Gedanken, seiner Gefühle oder

seines Ausdrucks. "Sich selbst zu verleugnen" bedeutet nicht seine Persönlichkeit zu verleugnen. Wir sollen die selbstsüchtigen, sündhaften und verletzenden Eigenschaften unseres Ich verleugnen, aber sicherlich nicht unsere Persönlichkeit. Wir unterwerfen uns, weil wir jemand anderem dienen wollen oder einen bestimmten Dienst fördern wollen. Schließlich unterwarf sich Christus seinen Jüngern - er diente ihnen ständig.

Paulus, ein Apostel, der sich dem Herrn und den Brüdern unterwarf, zögerte nicht, Petrus wegen seiner Heuchelei zu tadeln, als er sich weigerte, mit den Heiden zu essen (Gal 2,11-14). Auch fromme Frauen, über welche die Schrift berichtet, zögerten nicht, ihre Meinung zu äußern, wenn es die Situation erforderte. Kalebs Tochter forderte, daß sie nicht nur ein Erbe von (trockenem) Land, sondern auch Quellen bekam (Jos 15,19). Sarah protestierte gegen die fortgesetzte Anwesenheit von Hagar und ihrem Sohn. Das war nicht gegen die Unterwerfung, denn Gott wies Abraham an, auf Sarah zu hören und Hagar und den Knaben wegzuschicken (Gen 21, 8-21). Abigail handelte ihrem Gatten Nabal zuwider, nachdem dieser sich geweigert hatte, der Armee Davids Nahrungsmittel und Unterstützung anzubieten, indem sie Davids Leuten die notwendigen Vorräte gab. Dies hielt David davon ab, gegen Nabal tödliche Rache zu üben. David dankte Gott für Abigails Großherzigkeit und pries ihre Weisheit (1 Sam 25, 9-38).

Bei der biblischen Unterwerfung mögen wir von unserer Zeit, unseren Talenten und unserer Energie geben, um anderen Freude zu machen und ihnen zu dienen, aber nicht zu unserem eigenen Schaden. Ich unterwerfe mich meinem Arbeitgeber, indem ich meine Arbeit ausführe, wie es angeordnet wurde. Ich werde mich aber nicht Versuchen unterwerfen, mich zu etikettieren und meine Existenz zu definieren. Ich werde niemandem erlauben, mir zu sagen, was ich fühlen oder nicht fühlen soll. Ich gehorche, wenn ich gebeten werde, etwas zu tun, was mit meiner Arbeitsverantwortung im Einklang steht, aber ich bin nicht verpflichtet, mich etwas zu unterwerfen, was falsch ist.

Als gläubiger Christ und als ernstzunehmendes Kirchenmitglied gibt es für mich Zeiten, wo ich mich freiwillig unterwerfe. Die Autorität von kirchlichen Leitern liegt jedoch hauptsächlich auf dem Gebiet des Glaubens und der Moral. Außerhalb der Verantwortlichkeit für Anweisungen bezüglich richtiger Lehre und Förderung des moralischen Verhaltens können kirchliche Leiter vernünftigerweise keine Unterwerfung erwarten. Auch auf diesen Gebieten haben die Leiter keine Autorität, über die klare Lehre der Schrift hinauszugehen. Es gibt viele zweitrangige Lehrpunkte, in welchen die Kirche immer unentschlossen war (die Art der Taufe, die Rolle der Frauen in der Kirche und daheim, die Art der Verehrung, usw.). In solchen Punkten steht es Pastoren und anderen frei, ihre Meinung und ihre Schlußfolgerungen zu sagen, aber abgesehen von der klaren und unzweideutigen Lehre der Schrift hat niemand die Autorität, die Annahme seiner persönlichen Gesichtspunkte zu erzwingen.

Dies bezieht sich auch auf Fragen des Verhaltens oder des Lebensstiles. Wenn die Schrift darüber schweigt, sollten Leiter nicht Gesetze machen. Sie mögen Mitglieder zu biblischen Grundsätzen anleiten und Wege vorschlagen, um diese Grundsätze in bestimmten Situationen anzuwenden, aber sie müssen die endgültige Entscheidung als eine Sache zwischen dem Einzelnen und Gott respektieren. Im zweiten Kapitel des Briefes an die Kolosser lehrt Paulus klar, daß Christen ihren Leitern nicht in Dingen folgen sollten, die nicht auf das Evangelium bezogen sind, oder in Dingen, die in Wirklichkeit eine Verdrehung des Evangeliums sind. In diesem Zusammenhang sollten die Vorschriften, besondere Tage zu beachten, bestimmte Nahrung zu essen oder nicht zu essen, oder besondere Notiz von Leitern zu nehmen, die sich mit Visionen brüsten und sich an speziellen Arten von Selbsterniedrigung erfreuen, vermieden werden. Die Andeutung des Paulus für uns ist klar - die Verehrung der Leiter hat ihre Grenzen, und die Verantwortung für die Unterscheidung im Glauben wird dem einzelnen Christen nie abgenommen. Wir müssen alle Dinge im Lichte dessen beurteilen, was wir als die Wahrheit erkennen - das Evangelium, wie es ursprünglich von den Aposteln gelehrt wurde und wie wir es im Neuen Testament finden.

Ich bin auch nicht verpflichtet, mich zu unterwerfen, indem ich stumm bleibe, wenn mein Pastor sündigt. Paulus sagt uns im ersten Kapitel des Galaterbriefs, wir sollten uns niemals jemandem unterwerfen, der Irrtum lehrt oder praktiziert. Paulus selbst weigerte sich, stumm zu bleiben, während sogenannte geistliche Leiter sich heuchlerisch verhielten (Gal 2, 11-14). In der Tat wäre ein wahres Zeichen meiner Unterwerfung unter meinen Pastor oder meine Pastorin, daß ich ihn bzw. sie zur Rede stelle, wenn er bzw. sie Fehler macht, und weiterhin korrekte biblische Richtlinien befolge und ihn/sie damit konfrontiere, bis er/sie das Verhalten ändert.

Ein letztes Wort über Unterwerfung. Das ganze Konzept von Unterwerfung muß im Zusammenhang von christlicher Gnade und Freiheit verstanden werden. Wenn Unterwerfung untereinander nicht zu größerer Gnade und Freiheit führt, dann ist es keine biblische Unterwerfung. Es ist Abhängigkeit und Tyrannei.

Kulte motivieren durch Furcht und Schuldgefühle

Warum gehorchen wir einander ? Ist es deshalb, weil wir uns dazu gezwungen, ängstlich und furchtsam fühlen ? Ist das der Fall, so sind wir durch Probleme geleitet. Andere können uns dann motivieren, indem sie auf unseren Neurosen spielen - unseren Ängsten, unserer Furcht und unseren Zwängen.

Kulte verlangen Gehorsam und motivieren ihre Opfer durch Furcht und Schuldgefühle. Tatsächlich lehren manche Kulte und Randkirchen, daß Mitglieder, die nicht gehorchen und die Gruppe verlassen, zur Hölle gehen. In einigen Gruppen werden ungehorsame Mitglieder öffentlich lächerlich gemacht und zuweilen sogar öffentlich geschlagen. Manchmal lehren die Leiter, daß bestimmte Flüche, Krankheiten oder möglicherweise dämonische Besessenheit jene erwarten, die nicht mit dem Programm der Kirche voll im Einklang stehen.

Einem jungen Mann wurde gesagt, nachdem er seine pfingstlerische Randkirche verlassen hatte, daß sein negativer Einfluß dämonische Angriffe auf seine Familie zur Folge haben würde. Angesichts des unlösbaren Dilemmas - er wollte nicht zur Irrlehre der Gruppe zurückkehren, aber auch keine dämonischen Angriffe auf seine Familie - beschloß er, sich umzubringen, im Glauben, daß dann wenigstens seiner Familie der dämonische Kampf erspart bliebe. Er fuhr tief in den Wald, stellte seinen Wagen ab und lief in den fernsten Winkel des Waldes. Dort setzte er sich neben einen Baum und trank eine ganze Flasche Beruhigungsmittel. Glücklicherweise wurde er durch einen Holzfäller gerettet, der ihn fand, bevor es zu spät war.

Diese Geschichte des jungen Mannes steht nicht allein da. Selbstmordversuche geschehen in den Kulten ziemlich regelmäßig. Auch unter denen, die nicht Selbstmord versucht haben, müßte ich erst jemand finden, der eine kultische Gruppe verließ und geleugnet hätte, daß die Gruppe durch Einschüchterung mit Angst und Schuldgefühlen herrschte.

In der ersten "Flitterwochen"-Phase des Einlassens mit einem Kult verbringen Mitglieder gewöhnlich lange und anstrengende Stunden damit, was immer die Leiter ihnen als den Willen Gottes hinstellen. In einigen Gruppen mag es Evangelisierung sein. Mitglieder beginnen früh am Morgen mit dem Evangelisieren und arbeiten bis spät in die Nacht, indem sie Traktate verteilen, an Türen klopfen, Literatur verkaufen oder Diskussionen mit Leuten im Park bestreiten. Kommunenmäßige "Zurück-zur-Natur"-Gruppen mögen ihre Mitglieder veranlassen, viele Stunden mit der Pflege von Gärten zu verbringen, biologische Nahrungsmittel zu verkaufen oder landwirtschaftliche Geräte zu reparieren. Vollzeit-Studenten, die z. Bsp. in der Boston Church of Christ aktiv sind, verbringen im Durchschnitt zwanzig bis fünfunddreißig Stunden pro Woche mit Bibelstudium, Bibelgesprächen (evangelistischen Bibelstudien), Gebeten, Evangelisierung und Zusammenkünften mit ihren älteren Partnern, die sie ausbilden. In sehr vielen Kulten ist es üblich, daß männliche Mitglieder als "freiwillige" Wartungsarbeiter, Rasenpfleger, Fahrer oder sonst etwas in Dienste gezwungen werden, welche die Leiter der Gruppe benötigen. Weibliche Mitglieder dienen oft als unbezahlte Babysitter, Haushälterinnnen oder Köchinnen für die Frauen der Leiter.

Niemand sollte bezweifeln, daß diese Gruppen eine Menge "Früchte" bezüglich zahlenmäßigen Wachstums und finanziellen Gewinnes erzeugen. Aber welche Art von Früchten sind das ? Sind sie echt oder sind sie durch Angst und Schuldgefühle erzwungen ? Wie lange werden solche Früchte andauern ? Viele Mitglieder verlassen diese Gruppen, da sie das Gefühl haben, sie hätten versagt; sie könnten nicht mehr Schritt halten. Sie sind erschöpft, verwirrt, entmutigt und von Schuldgefühlen geplagt. Andere wieder werden verbittert. Ein ehemaliges Mitglied von Great Commission International sagte mir, daß es wegen seines geistlichen Ausbrennens auf Grund seiner Aktivität in GCI nicht einmal mehr seinen Fuß in eine Kirche setzen werde. Ausbrennen, Furcht und Schuldgefühle können Leben zum Scheitern bringen.

Furcht und Schuldgefühle sind negative Emotionen. Sie können gewaltige (aber nur vorübergehende) Erfolge für religiöse Organisationen erbringen, indem sie neue Mitglieder zuführen, zu langen Arbeitsstunden für die "Sache" aneifern und den Reichtum und die Macht der Gruppe vergrößern. Motivierung durch Furcht und Schuldgefühle kann Probleme schnell lösen. Sie sollten aber nie Motive dafür sein, eine Aufgabe zu vollenden und eine Mission auszuführen.

Natürlich sind Furcht und Schuldgefühle in sich weder gut noch schlecht. Es sind Gefühle, die man nicht verleugnen kann. Wir können aber davon nicht leben. Furcht und Schuldgefühle sind wie rote Blinklichter, die uns sagen, das etwas nicht in Ordnung ist. Die Lichter sagen, es gibt ein Problem, bitte finde die Ursache und bringe es in Ordnung.

Kulte sind fanatisch

Obwohl viele Christen zeitweise versucht sein werden zu lügen, zu betrügen, zu stehlen oder Unmoralisches zu begehen, werden die meisten der Versuchung nicht nachgeben. Doch viele dieser Leute, die einer fleischlichen Versuchung nicht nachgeben würden, könnten zu anderen Extremen gedrängt werden - viele Stunden einer Sache zu widmen, ihre Bande zu Freunden und Verwandten zu lockern oder eine Elitementalität zu entwickeln, bei der sie ihre Gruppe als geistlicher und von Gott mehr bevorzugt sehen als andere Gruppen. Was ihnen nicht aufgeht, ist, daß pharisäischer Fanatismus und Extremismus ebenso destruktiv sind wie die Sünden des Fleisches.

Als ich zur Great Commission International gehörte, war auch ein Mann dabei, den ich John nennen will. John wurde einer der Leiter unserer Bewegung. In den frühen Tagen hatten einige der Leiter und ich einige Probleme in der Bewegung beobachtet und wir wollten offen und frei mit John über diese Probleme sprechen. Während John unserer Analyse zustimmte, argumentierte er die Probleme des Teams hinweg. Er sagte, wir seien jung und müßten noch lernen, daß es sonst nirgends eine geistliche "Aktion" gäbe und daß niemand sonst tue, was wir täten, um die Welt zu erreichen. Jede andere Gruppe sei im Vergleich zu uns tot.

Auf diese Weise entschuldigen John und zahllose andere Exzesse und Fehler vieler Art. Und sie wurden oft durch aus dem Zusammenhang gerissene Schriftstellen gerechtfertigt. "Seid listig wie die Schlangen und einfältig wie die Tauben" (Mt 10, 16) und "Die Weisheit hat durch die Taten, die sie bewirkt hat, recht bekommen" (Mt 11, 19) waren zwei der meist mißbrauchten Verse.

Andere Gruppen haben ihre Pastoren vor Anklagen der Unmoral mit ähnlichen Argumenten beschützt. "Wie könnte ein so dynamischer und geistlicher Seelen-Gewinner etwas Schlechtes tun ?", wußte ich über Pastoren, die ihre eigene sexuelle Unmoral rechtfertigten, weil sie "nicht wie andere Männer waren" und "Gott ihre besonderen Bedürfnisse kannte". Einige behaupten, daß ihre sexuellen Bindungen die einzige Möglichkeit seien, einigen Frauen (und in manchen Fällen, Männern) die Liebe Gottes zu zeigen. So rechtfertigen Kulte und Randkirchen ihre Praktiken und entschuldigen ihre Leiter.

Kulte mißbrauchen den Heiligen Geist

Viele geistliche "Mätzchen" verkleiden sich als Zeichen des Heiligen Geistes. Der frühere Kinder-Evangelist Marjoe Gortner konnte andere im Geiste "töten", "Heilungen" vollbringen und Leute "in Zungen sprechen" lassen - und dies lange, nachdem er seinen christlichen Glauben abgelegt hatte. Oft gepriesen als der Welt jüngster ordinierter Prediger, verlor er nach und nach die Begeisterung am Predigtgeschäft und stieg mit dreizehn aus. Etwa 14 Jahre später wollte er andere Evangelisten und Heiler als Scharlatane und Showleute entlarven. Gortner arbeitete an der Produktion des Filmes "Marjoe" mit, in dem er auf den Betrug und die gerissene Schaupielerkunst hinwies, die viele Prediger benützen, um die Leute davon zu überzeugen, daß die Kraft des Heiligen Geistes sich in ihrem speziellen Dienst bewegte.

Franz Anton Mesmer (1734 - 1815), der große Hypnose-Wissenschaftler, konnte fast alles vorwegnehmen, was man heute in einem modernen charismatischen Gottesdienst sehen kann. Er behauptete, er könne Leute mit Magneten heilen, und "heilte" auch eine Anzahl hysterischer Patienten, die an Neuralgie und verschiedenen anderen Leiden, etwa Krämpfen, litten. Seine Theorie des "tierischen Magnetismus" besagte, daß Magnete bestimmte Flüssigkeiten von der Atmosphäre in den Körper überführen und ihn so verjüngen könnten. Er wurde von der wissenschaftlichen Welt einmütig abgelehnt. Man fand später heraus, daß diese Verfahren auf den Prinzipien der Hypnose gründeten. Daher bedeutet das Wort "mesmerisiert" nun, daß jemand hypnotisiert oder fasziniert wird. Einer der Tricks von Mesmer war es, Leuten, die Heilung suchten, einen Stab auf die Schulter zu legen. Sofort würden diese Leute nach hinten fallen und in einen bewußtlosen Zustand geraten. Das Verfahren Mesmers gleicht dem von modernen Heilern oder Evangelisten, welche jemandem, der zum Gebet und zur Heilung nach vorne kommt, die Hand auf die Stirne legen und ihn dadurch bewußtlos werden und nach hinten fallen lassen, "erschlagen" vom Geist. Mesmer machte dies, lange bevor die moderne charismatische Bewegung Anfang unseres Jahrhunderts begann.

Auch einige nichtchristliche Religionen praktizieren Zungenreden, Heilung und "geistlichen Tanz". Viele betrachten diese Praktiken als problematisch für Christen, weil sie so leicht durch Nichtchristen nachgeahmt werden können. Andererseits ist etwas nicht deshalb vom Teufel, weil man dies behauptet. Der springende Punkt ist, daß fast alle diese Erscheinungen von Zuständen erweiterten Bewußtseins herrühren, das auf verschiedene Weise erzeugt werden kann, z.B. tiefe Entspannung, vermischte Nachrichten, die Verwirrung oder geteilte Aufmerksamkeit hervorrufen, erhöhte emotionelle Aufregung und körperliche Ermüdung.

Die biblische Mahnung, "die Geister zu prüfen, ob sie von Gott stammen" (1 Joh 4, 1), gilt weiterhin. Wir müssen äußerst vorsichtig sein, falls unser Kind oder ein Verwandter sich einer Gruppe anschließt, in der "übernatürliche Zeichen" vorkommen. Beansprucht die Kirche, daß nur sie solche Zeichen hat ? Stehen die Zeichen mit gesunder Lehre in Verbindung ? Wer sind die Leute, die diese wunderbaren Zeichen hervorrufen ? Können die Heilungen medizinisch überprüft werden ? Verbietet der Pastor anderen, seine Autorität und Macht in frage zu stellen ? Ist das der Fall, dann ist die Gruppe wahrscheinlich kultisch.

Kulte stellen die Erfahrung über die Vernunft

Kennen wir die Wahrheit aus Erfahrung ? Nein. Wir kennen die Wahrheit erst dann, wenn wir die Beweise untersucht, abgeschätzt und auf Widersprüche geprüft haben und dann aus unserer Informiertheit heraus zustimmen.

Anhänger des Guru Maharaj Ji, des Leiters des hinduistischen Kultes "Divine Light Mission", "wissen", daß er die Wahrheit ist, denn sie kosteten "göttlichen Nektar", sahen ein "göttliches Licht" und hörten "göttliche Musik", nachdem sie einigen seiner Meditationspraktiken gefolgt waren. Ein anderes Beispiel von "Wissen" aus Erfahrung wären die Anhänger von Jim Jones, die wegen seiner "Heilungen", seiner "Worte des Wissens" und seiner offensichtlichen Leidenschaft für die Armen von seiner Lauterkeit überzeugt waren.

Und Christen können den gleichen Fehler begehen. Mitten in einer öffentlichen Diskussion am Himmelfahrtstag auf einem Universitäts-Campus erhob sich ein Pastor, um zum Publikum zu sprechen und, wie er meinte, die Sache ein für allemal zu entscheiden. Er sagte: "Ich weiß, daß Jesus lebt und daß er von den Toten erstand, denn er lebt in meinem Herzen". Er wiederholte die Phrase aus dem altem Hymnus "Er lebt", aber fast alle krümmten sich angesichts der völlig subjektiven und antiintelektuellen Natur des "Glaubens" dieses Pastors.

Kulte mißbilligen individuelle Freiheit

Vieles vom Konzept der Freiheit, wie wir es heute kennen, stammt aus der jüdisch-christlichen Tradition, worauf viele Autoren hingewiesen haben (11). Das Westminster-Bekenntnis bekräftigt klar das Prinzip der Freiheit: "Gott allein ist der Herr des Gewissens, und er hielt es frei von den Lehren und Geboten der Menschen...und ein absoluter und blinder Gehorsam bedeutet, die Freiheit des Gewissens und des Denkens zu zerstören." (12)

Freiheit bedeutet Loyalität zur Wahrheit, zum Gewissen und zu der Fähigkeit, über Angelegenheiten des Glaubens, der Ethik und der Moral seine eigenen Entscheidungen zu fällen. Kultführer hingegen behaupten, daß ihre Mitglieder nicht dazu fähig sind, weise persönliche Entscheidungen zu fällen. Sie neigen dazu, unter anderem die Benützung der Zeit, die Verabredungen, die Gedanken und den Glauben ihrer Mitglieder zu diktieren.

Der Mangel an Freiheit ist das Herzstück des Kultwesens. Sie ist in der Tat der Grund, auf dem das Kultwesen gedeiht.

Kulte bieten Dinge an, die zu schön sind, um wahr zu sein.

Unsere Nation hat viele Programme, um Betrug am Konsumenten zu verhindern und unser Geld zu schützen; es gibt jedoch keine Programme, die verhindern könnten, daß jemand unsere geistige Gesundheit oder unsere Seelen selbst stiehlt. Skrupellose Geschäftsleute, welche ein schadhaftes Produkt oder einen ebensolchen Dienst verkaufen, können sich nicht hinter dem Ersten Zusatz (Anm. d. Übers.: zur Verfassung der USA) verstecken. Aber religiöse Kulte können es und tun es ständig. Wenn das mißbräuchliche Werk der destruktiven religiösen Kulte aufgedeckt wird, dann hallt oft der Schrei: "Religiöse Diskriminierung !"

Wenn immer jemand Ihnen ein Produkt oder einen Dienst anbietet, dann sollten Sie immer fragen, ob es nicht zu gut klinge, um wahr zu sein. Wenn es so ist, dann ist es wahrscheinlich auch zu gut, um wahr zu sein. Wie Jeannie Mills, eine Aussteigerin aus dem "Tempel der Volkes" von Jim Jones, die anschließend ermordet wurde, sagte.

Wenn Sie die freundlichsten Leute treffen, die Sie je gekannt haben, die Sie in die liebenswürdigste Gruppe von Leuten einladen, die Sie je getroffen haben, und Sie im dortigen Leiter die inspirierteste, fürsorglichste, mitleid- und verständnisvollste Person finden, die Sie je getroffen haben, und dann erfahren, daß der Grund der Gruppe etwas ist, von dem Sie nie zu hoffen wagten, daß es verwirklicht werden könnte, und alles dies zu gut klingt, um wahr zu sein - dann ist es auch wahrscheinlich zu gut, um wahr zu sein. Werfen Sie nicht ihre Erziehung, ihre Hoffnungen und Ambitionen über Bord, um einem Regenbogen zu folgen. (13)

Stelle Fragen !

Meine Frau und ich schrieben einst einer Freundin, um sie zu warnen, daß nach unserer Meinung ihre Kirchengruppe kultische Tendenzen habe. Was tat sie ? Sie lud die Pastoren der Kirche zum Abendessen

ein und fragte sie dann, ob ihre Gruppe ein Kult sei ! Was glauben Sie, daß sie ihr sagten ? "Ja, wir sind ein Kult, und wir wollen Ihnen schaden" ? Natürlich nicht. Manipulative Leiter von Randkirchen oder kultischen Kirchen werden nie zugeben, daß sie Schuldgefühle, Furcht und Einschüchterung benützen, um ihre Mitglieder zu manipulieren.

Unsere Freundin müßte anders gefragt haben. Wenn Sie einen Gebrauchtwagen kaufen, wäre es ohne Zweifel weise, jemand anderen als den Verkäufer über den Zustand des Wagens zu befragen. Lassen Sie ihn von einem vertrauenswürdigen Mechaniker überprüfen. Fragen Sie Ihre Bank, wieviel der Wagen wert ist. Ebenso, wenn Sie sich über eine Kirchengruppe unsicher sind, entweder eine, der Sie sich anschließen wollen oder eine, in der Sie derzeit beheimatet sind; um alles in der Welt : stellen Sie Fragen ! Nur durch das Stellen von Fragen werden Sie in der Lage sein zu beurteilen, ob eine Gruppe ein Kult ist oder nicht.

Es folgt eine Liste von Fragen, die Sie bezüglich einer Gruppe stellen könnten. Nehmen Sie sich die Zeit, soviele wie möglich zu beantworten. Sie werden Ihnen helfen, die Problembereiche in der Gruppe zu identifizieren und es ihnen ermöglichen, eine Gruppe mit kultähnlichen Tendenzen zu erkennen.

Wir müssen Fragen stellen und wir müssen auch unsere Kinder lehren, solche Fragen zu stellen, wenn wir sie in unserer Gesellschaft kultfest machen wollen.

Anmerkungen zu Kapitel 5:

  1. Everett I. Shostrom and Dam Montgomery, The Manipulators (Nashville, Tenn.: Abingdon Press, 1990), 29.
  2. Ebd., 27.
  3. Ebd., 27, 28.
  4. Ebd,. 28.
  5. Ebd.
  6. Ebd., 29-30.
  7. Ebd., 82.
  8. Ebd., 84.
  9. Ebd., 89.
  10. Harold Busséll, Unholy Devotion (Grand Rapids, Mich.: Zondervan Publishing House), 62, 63.
  11. Richard V. Pierard, "Schaeffer on History", in Reflections on Francis Schaeffer, Ronald Ruegsegger. ed. (Grand Rapids, Mich.: Zondervan Publishing House), 209; Rousas J. Rushdoony, This IndependentRepublic (Fairfax, Va.: Thoburn Press, 1978(, 24, 25; Junius Brutus, A Defense of Liberty Against Tyrants (Edmonton, Alberta, Canada: Still Waters Revival Books, 1989), 31.
  12. Westminster Confession, chapter 20, paragraph 2, "Of Christian Liberty and Liberty of Conscience."
  13. Cited in Sandy Andron, Cultivating Cult Evading (Miami: Central Agency for Jewish Education, 1983), Appendix f