Im Schatten der Moons

Mein Leben in der Familie des Reverend Sun Myung Moon

Von Nansook Hong

Vorwort

Das Läuten meines Telefons riss mich aus dem Schlaf. Ich erkannte mit Schrecken, dass die Sonne bereits aufgegangen war. Licht, das durch die Fenster fiel, spielte auf den blaugestreiften Tapeten des Kinderzimmers. Ich konnte die Umrisse der Hügel draußen vom Fußboden bei Shin Hoon's Bettchen aus sehen, wo ich eingeschlafen sein musste, gerade bevor der 8. August 1995 heraufdämmerte.

Ich wusste, dass Madelene mich zu erreichen versuchte. Ein rascher Blick auf meine Armbanduhr bestätigte, dass ich mich für das vereinbarte Treffen um 5 Uhr früh verspätet hatte. Wie konnte ich an diesem wichtigen Tag so sorglos gewesen sein? Hätte ich nun, nach Monaten mit heimlichen Treffen und sorgfältiger Planung, in letzter Minute alles vereitelt?

Ich schlich durch den weiten Korridor zum Schlafzimmer, meine nackten Füße leise auf dem roten Teppich bewegend. Ich atmete kaum, als ich mein Ohr an die dunkel gestrichene Türe presste. Ich hörte nur das gutturale Husten, das stets die nächtlichen Kokainsitzungen meines Mannes unterstrich.

Unsere einzige Hoffnung war, dass Hyo Jin's Drogenrausch ihn für noch einen Morgen vergesslich machen würde. Monatelang hatte er kaum bemerkt, dass Möbel, Kleider und Spielzeug vom zweiten Stock des Backsteinhauses verschwanden, wo wir auf den Besitzungen seines Vaters lebten, des Reverend Sun Myung Moon, des Gründers der Vereinigungskirche und selbsternannten Herrns der Zweiten Ankunft.

Erst vor einer Woche hatten Hyo Jin's blutunterlaufene Augen das Fehlen des IBM-Computers bemerkt, der normalerweise in einer Ecke des Zimmers von Shin June stand. "Wo ist der Computer?" fragte er Shin June, das älteste unserer fünf Kinder. Mit ihren zwölf Jahren fiel ihr allzu natürlich die Rolle der Mitverschwörerin zu. Das Leben auf dem Gelände der Moons - in einer Atmosphäre, die weniger von Spiritualität als von Palastintrigen erfüllt war - hatte alle meine Kinder wohl gelehrt, Geheimnisse zu bewahren.

"Er ist kaputt, Papa, wir haben ihn zur Reparatur gegeben", antwortete sie ohne Zögern. Ihr Vater zuckte nur die Achseln und kehrte in sein Zimmer zurück.

Ich sage, "sein" Zimmer, denn ich hatte seit langem die Hauptsuite aufgegeben. Sie war weniger ein Schlafzimmer als die private Drogenhöhle meines Mannes, ihr cremefarbener Teppich verschmutzt durch Zigarettenstummel und leere Tequillaflaschen, ihr Videorecorder programmiert, eine endlose Folge von pornographischen Videos zu spielen.

Ich hatte seit dem letzten Herbst versucht, mich von diesem Zimmer so weit wie möglich fernzuhalten, als ich entdeckte, dass Hyo Jin dort Kokain schnupfte, nach so vielen falschen Versprechungen, damit aufzuhören. Ich versuchte, das Kokain die Toilette hinunterzuspülen. Er schlug mich so arg, dass ich dachte, er würde das Baby in meinem Leib töten. Er ließ mich das verstreute weiße Pulver vom Badezimmerfußboden aufwaschen, während er mich weiter schlug. Später bot er eine religiöse Rechtfertigung dafür an, warum er eine Frau im siebenten Monat halb bewusstlos geschlagen hatte: er hatte mich gelehrt, in Gegenwart des Sohnes des Messias demütig zu. sein.

Das achtzehn Morgen große einsame Landgut in Irvington, wo wir vierzig Minuten nördlich von New York City lebten, ist das Welthauptquartier der Vereinigungskirche und das Haus des Gründers der religiösen Bewegung, welche die Welt als die "Moonies" kennt. Die Liegenschaft, East Garden genannt, war vierzehn Jahre lang mein persönliches Gefängnis seit dem Tag an, als der Reverend Moon mich aus Korea kommen ließ, um die Kinderbraut seines ältesten Sohnes zu werden, des Erben von Moons göttlicher Sendung und weltlichem Reich. Damals war ich erst fünfzehn, eine naives Schulmädchen, das bestrebt war, seinem Gott zu dienen. Nun war ich neunundzwanzig, eine Frau, die bereit war, ihr Leben zurückzufordern. Heute würde ich fliehen. Ich würde das einzige mitnehmen, was mir aus dieser Ehe heilig war, meine Kinder, und den Mann zurücklassen, der mich schlug, und den falschen Messias, der dies zuließ, Männer, die so voll von Fehlern waren, dass ich jetzt wusste, Gott würde niemals Sun Myung Moon oder seinen Sohn erwählt haben, seine Bevollmächtigten auf Erden zu sein.

Es ist für Außenstehende leicht, über die Idee zu spotten, dass jemand so etwas überhaupt geglaubt haben könnte. Für den Großteil der Welt beschwört der Name Moonies Bilder von gehirngewaschenen jungen Leuten herauf, die ihr Leben damit vergeuden, indem sie an Straßenecken Blumen feilbieten, um den klugen und charismatischen Leiter eines religiösen Kults zu bereichern.

In dieser Sicht liegt einige Wahrheit, aber sie ist viel zu sehr vereinfacht. Ich wurde in meinem Glauben geboren. Gerade so, wie Kinder aus etablierteren christlichen Religionen dazu erzogen werden zu glauben, dass Jesus Christus der Sohn Gottes ist und auf die Erde gesandt wurde, um die Sünden der Menschheit zu tilgen, wurde ich in der Sonntagsschule gelehrt, dass Reverend Moon von Gott erwählt worden war, um die Sendung Jesu, den Garten Eden wieder herzustellen, zu vervollständigen. Der Reverend Moon war die Zweite Ankunft.

Mit seiner Frau würde der Reverend Moon die erste sündenlose Wahre Familie Gottes bilden. Seine Kinder, die Wahren Kinder, würden auf dieser fehlerlosen Grundlage aufbauen. Mitglieder der Vereinigungskirche würden der reinen Blutlinie der Wahren Familie durch Heiratszeremonien aufgepropft, die von Reverend Moon arrangiert und gesegnet werden und deren Massencharakter so viel Aufsehen in der Welt erregt hatte.

Diese Glaubensvorstellungen, isoliert von der Theologie, in die sie eingebettet sind, und von der Kultur, der sie entstammen, klingen zugegebenermaßen bizarr. Aber was ist mit den Wundern Jesu? Oder der Teilung des Roten Meeres? Sind Bibelgeschichten von Jungfrauengeburt und Auferstehung nicht ebenfalls phantastisch? Alles Glauben ist eben Glaubenssache. Wenn mein Glaube anders war, dann war er es vielleicht nur bezüglich der Intensität. Gibt es einen mächtigeren, unschuldigeren Glauben als den eines Kindes?

Aber jeder Glaube wird durch die Erfahrung geprüft. Der Reverend Moon sündenlos? Die Moonkinder fehlerlos? Vater -- der jedesmal Verachtung für das Gesetz demonstriert, wenn er einen Papiersack voll undeklariertem Bargeld fragwürdiger Herkunft entgegennimmt, das von wahren Gläubigen gesammelt wurde? Mutter -- die so viel Zeit in schicken Kleiderläden verbrachte, dass ihre jüngster Sohn einmal antwortete: "Sie kauft", wenn sein Lehrer ihn aufforderte, das Lebenswerk seiner Mutter zu beschreiben? Der älteste Sohn -- der raucht, betrunken Auto fährt, Drogen missbraucht und sich vorehelichem und außerehelichem Sex hingibt, dabei die Lehre seiner Kirche verletzend? Diese Familie ist die Heilige Familie? Das ist ein Mythos, der nur aus der Entfernung aufrechterhalten werden kann.

Zu akzeptieren, dass der Reverend Moon jener Betrug war, als den ich ihn nun kenne, war ein langwieriger und schmerzhafter Prozess. Er war nur deshalb möglich, weil diese Erkenntnis am Ende meinen Glauben an Gott nicht erschütterte. Moon hat Gott im Stich gelassen, er hat mich und alle seine idealistischen und vertrauensvollen Anhänger im Stich gelassen. Aber Gott hat mich nicht im Stich gelassen. Zu Gott wandte ich mich in meiner Einsamkeit und Verzweiflung, ein Teenager auf den Knien in einem seltsamen Haus und einem fremden Land, der um Hilfe betete. Gott allein war es, der mir beistand, einer Kindfrau in den Händen eines Gatten, der mich entweder als Spielzeug für seine sexuelle Lust oder als Ziel seiner gewalttätigen Rasereien behandelte.

Gott leitete mich jetzt, als ich meine schlafenden Kinder überblickte und die Koffer, die wir wochenlang heimlich gepackt hatten. Mein Glaube an Sun Myung Moon war neunundzwanzig Jahre lang das Zentrum meines Lebens gewesen, aber ein erschütterter Glaube der Liebe einer Mutter nicht ebenbürtig. Meine Kinder waren die einzige Quelle meiner Freude in der abgeschlossenen, vergifteten Welt der Wahren Familie. Ich musste um ihretwillen und um meinetwillen fliehen.

Als ich zuerst den Älteren sagte, dass. wir fortgehen würden, entschloss sich keines von ihnen, zurückzubleiben, obwohl sie wussten, dass dies das Ende ihres verschwenderischen Lebensstiles sein würde, dessen sie sich immer erfreut hatten. Es würde kein herrschaftliches Wohnhaus geben, keine Chauffeure, kein Schwimmbecken mit olympischen Ausmaßen, keinen privaten Bowlingplatz, keine Reitstunden, keine Privatschule, keine japanischen Erzieher und keine Erste-Klasse-Ferien, wohin wir gehen würden.

Außerhalb der Mauern des Moonschen Besitzes würden sie nicht als die Wahren Kinder des Messias verehrt werden. Keine Kirchenmitglieder würden sich vor ihnen anbetend verbeugen und sich um die Gunst bewerben, ihnen dienen zu dürfen.

"Wir wollen nur in einem kleinen Haus mit dir wohnen, Mama", sagte die Älteste zu mir, deren anspruchslose Phantasie ein Spiegelbild meiner eigenen war.

Und doch hatten Zweifel und eine unerwartete Traurigkeit mich den größten Teil der Nacht vom Schlafen abgehalten. Lange nachdem es im Hause still geworden war, ging ich in den Hallen und vertrauten Räumen des Hauses umher, betend und leise weinend. Jedesmal, wenn ich meine Augen geschlossen hatte, füllte sich mein Bewusstsein mit den Fragen, die mich seit Monaten verfolgten. Tat ich das Richtige? War das Weggehen wirklich eine Befolgung des göttlichen Willens oder war es ein Zeichen meines eigenen Versagens? Warum war ich nicht fähig gewesen, meinen Gatten dazu zu bringen, mich zu lieben? Warum gelang es mir nicht, ihn zu ändern? Sollte ich bleiben und darum beten, dass mein Sohn, einmal erwachsen, eines Tages die Vereinigungskirche auf den rechten Weg zurückbringen möge?

Ich hatte noch bedrückendere Ängste. Den Umkreis des Reverend Sun Myung Moon zu verlassen würde mich und meine Kinder zu geistlich Ausgestoßenen machen, aber würde es uns auch in körperliche Gefahr bringen? Wenn ich floh, würde die Kirche mich verfolgen, um mich zum Schweigen zu bringen? Aber wenn ich bliebe, wäre ich dann sicherer? Wie oft hatte Hyo Jin gedroht, mich und die Kinder umzubringen? Ich wusste, wenn er unter Drogen- oder Alkoholeinfluss stand, wäre er fähig, diese Drohungen wahrzumachen. Er hatte sicherlich dazu die Waffen, ein wahres Arsenal, aus Kirchengeldern gekauft, das er benützte, mich und jeden, der ihm in den Weg kam, zu terrorisieren.

Ich erinnere mich daran, dass ich nicht übereilt handelte. Ich hatte für diesen Tag seit dem vergangenen Winter geplant, als Hyo Jin's letzte eklatante Untreue sogar den Reverend Moon aus seiner normalen Gleichgültigkeit riss. Als Vater weiterhin darauf bestand, dass mir die Schuld für die Sünden meines Gatten zufiel, dass ich als Frau für die unberechenbaren Wege seines Sohnes verantwortlich sei, da wusste ich, dass ich gehen musste.

Ich hatte jede erdenkliche Vorsichtsmaßnahme ergriffen. Ich begann, Geld zu sparen, sobald ich den Entschluss zu fliehen gefasst hatte. Ich hob Geld von der Bank ab, das ich für die Ausbildung der Kinder beiseite gelegt hatte. Ich behielt jeden Dollar von den Tausenden in Bargeld, die Frau Moon mir regelmäßig zum Ausgeben übergab; wenn sie mich zu einem Jaeger-Laden mitnahm, um mich für die kirchliche Zeremonie anlässlich der Geburt meines Kindes auszustatten, trug ich die Tausend-Dollar-Kleidung, die sie kaufte, mit dem Preisschild diskret verdeckt. Ich gab die Kleidung am nächsten Tag zurück und bekam das Geld wieder.

Mit der Hilfe meines Bruders und seiner Frau, der ältesten Tochter des Reverend Moon, fand ich ein bescheidenes Haus in der Stadt Massachusets, wo sie bereits im Exil von den Moons lebten. Ich beneidete sie, als sie zuerst die Kirche verließen, und nun, einige Jahre später, verließ ich mich darauf, dass sie mich zu jener Freiheit führten, die sie gefunden hatten. Ich war um sie besorgt gewesen, wie ich auch um meine eigenen Eltern besorgt war, die Mitglieder der Elitegruppe von Moons ursprünglichen koreanischen Anhängern gewesen waren und die die Vereinigungskirche enttäuscht etwa zur gleichen Zeit verlasen hatten. Meine Eltern warteten in Korea auf eine Nachricht meines Bruders, dass ich frei sei.

Ich war so dankbar. Allzu oft betrachtete ich die Hilfe meines Bruders als selbstverständlich, schon als Kind. Auch wenn wir verschiedener Meinung waren - und das geschah oft -, war Jin immer für mich da. Jin fand Anwälte, die mich berieten, wie ich mich und meine Kinder schützen sollte, wenn wir einmal frei wären. Ihr Rat half mir, den Tag festzulegen, wann wir fortgehen sollten. Wir würden an einem Dienstag fliehen, denn der Familiengerichtshof in Massachusets, wo wir leben würden, veranstaltete an Mittwochen Anhörungen von geschlagenen Frauen, um Maßnahmen gegen ihre missbrauchenden Partner zu ergreifen.

Ich versuchte auch, jene zu schützen, die ich zurücklassen würde. Kumiko war fünf Jahre lang mein Babysitter gewesen. Sie war, ebenso wie ihr Mann, ein Gärtner am Gelände des East Garden, ein unterwürfiges Mitglied der Kirche aus Japan. Wochenlang hatte sie beobachtet, wie ich einpackte, aber sie sagte nichts. Kein Mitglied würde unverschämt genug sein, ein Mitglied der Wahren Familie in Frage zu stellen. Aber sie hatte jahrelang aus nächster Nähe das Leid in meinem Leben gesehen. Ich war besorgt, dass sie zur Rechenschaft gezogen würde, wenn der Reverend Moon entdeckte, dass wir weg waren.

Einen Monat vor unserer Flucht fragte ich Kumiko, wo in der Welt sie und ihr Mann am liebsten leben würden. Sie wollten nach Japan zurückkehren, zu den Eltern ihres Mannes. Diese waren betagt und er war das einzige Kind. Sie wollten heimkehren, um sich der Eltern anzunehmen.

Ich wusste, dass in East Garden kein Personalwechsel ohne die Zustimmung von Frau Moon, oder Mutter, wie wir sie nannten, stattfinden konnte. Dreiundzwanzig Jahre jünger als der alternde Reverend Moon, ist sie mehr und mehr die Macht hinter dem Thron. Wir waren einander nie nahegekommen, teils weil sie sich mit einflussheischenden Speichelleckern umgab, die ihre eigene Position dadurch verstärkten, dass sie über meine Fehler als Frau und Mutter berichteten. Jedoch hatten lange Jahre der Erfahrung mich gelehrt, wie ich Mutter kleine Begünstigungen abschwatzen konnte.

Ich ertappte mich dabei, wie ich die Geschichte in der Fortsetzung verschönte. Die Eltern von Kumiko's Mann waren in meinem Bericht nicht nur alt, sie waren kränklich. Das Ehepaar musste nach Japan zurückkehren, um sich um sie zu kümmern. Ich würde eher ohne Babysitter auskommen als sie von ihrer Pflicht abzuhalten. Dieser letzte Punkt, das wusste ich, würde bei Mutter Anklang finden. Wie oft hatte Vater sich darüber beklagt, dass seine Belegschaft zu groß und ihre Ernährung und Behausung zu teuer sei? Ein Babysitter und ein Gärtner weniger würden eine Feder auf Mutters Hut sein. Sie erklärte sich gerne bereit, sie ziehen zu lassen, und sagte mir, ich könne sicher sein, dass Peter Kim, der persönliche Assistent von Reverend Moon, ihnen Geld für die Reise gäbe. Sie flogen zwei Tage vor unserer Flucht nach Japan.

Eine andere junge Frau, die mir half, für das Baby zu sorgen, sollte bald daheim in Korea einen Leibwächter des East Garden heiraten. Ich riet ihnen, ihren Besuch daheim bis Oktober zu verlängern, was, wie ich hoffte, Zeit genug zwischen unserer Flucht und ihre Rückkehr fügen würde.

Seitdem der Reverend Moon sich ein eigenes Haus und Konferenzzentrum um vierundzwanzig Millionen Dollar auf der Liegenschaft gebaut hatte, teilten wir die gemeinsamen Bereiche der Neunzehn-Zimmer-Villa in East Garden mit Hyo Jin's Schwester In Jin und ihrer Familie. Glücklicherweise - oder durch Gottes Fügung - waren sie am Wochenende davor verreist und noch nicht zurückgekehrt. Auch wenn In Jin gewarnt worden wäre, dass ich vorhätte zu fliehen, würde sie es niemals ernst genommen haben. Sie würde denken, ich würde vielleicht versuchen, Hyo Jin zu erschrecken, indem ich so tun würde, als wollte ich ihm die Kinder entziehen. Vielleicht würde ich versuchen, ihm eine Lektion zu erteilen. Ich würde zurückkehren. Weder In Jin noch sonst jemand in der Moon-Familie würde geglaubt haben, ich würde endgültig weggehen.

Die Wahrheit ist, dass kein einziger von ihnen mich gut genug kannte, um zu wissen, was ich tun würde. Überhaupt niemand kannte mich. Während vierzehn Jahren im Herzen der Familie Moon hatte mich niemand gefragt, was ich dachte oder fühlte. Sie befahlen: ich gehorchte. Heute würde ich ihr Nichtwissen zu meinem Vorteil verwenden.

Leise weckte ich Shin Hoon. Er war gerade an diesem Morgen neun Monate alt geworden und so ein braves Baby: er weinte nicht, als ich ihm einen kurzärmeligen Jumper anzog und dann sachte seine Geschwister weckte. Ich bat die Kinder, sich leise anzuziehen, während ich mich aufmachte, Madelene zu treffen.

Im letzten Jahr war Madelene Pretorius meine erste wirkliche Freundin geworden. Sie war nun, am anderen Ende der Telefonleitung, ein Instrument meiner Flucht. Madelene war vor zehn Jahren durch ein zufälliges Treffen mit einem Moonie an einer Fischpier während der Ferien in San Francisco in die Vereinigungskirche hineingelockt worden. Es ist eine klassische Rekrutierungstechnik der Kirche, sich mit einer jungen Person anzufreunden, die allein weit weg von daheim auf der Reise ist. Die Unterhaltung wird bald von Freundlichkeiten auf Philosophie und auf die Kirche gelenkt. Eine erfolgreiche Begegnung endet damit, dass der Tourist einverstanden ist, an einem Vortrag oder an einem Treffen teilzunehmen. Manche von ihnen kommen niemals wieder heim.

In den letzten drei Jahren arbeitete Madelene für Hyo Jin bei den Manhattan Center Studios, der kircheneigenen Tonbandaufzeichnungsanlage in New York City. Sie hatte den Kokainmissbrauch meines Mannes und sein wütendes Temperament aus nächster Nähe erlebt. Als ich ihr meinen Fluchtplan anvertraute, bot sie mir Unterstützung an. Es war ein Risiko. Wenn er wusste, dass sie geholfen hatte, würde er sich auch gegen sie wenden.

Hyo Jin war unsere Freundschaft bereits verdächtig. Nur Wochen zuvor war er in die Küche gekommen und hatte uns ruhig über einer Tasse Tee sprechen gehört. Er befahl mir, hinauszugehen, und ihr, East Garden zu verlassen. Oben drohte er, mir jeden einzelnen Finger zu brechen, wenn ich es wagte, eine persönliche Freundschaft mit einem Kirchenmitglied weiterzuführen. Solche Drohungen waren typisch für sein beherrschendes und machtgieriges Verhalten.

Ich zitterte nun bei der Erinnerung an die Bemühungen meines Mannes, mich zu beherrschen. Ich winkte dem Gärtner und dem Leibwächter, als ich allein durch das Eisengitter von East Garden fuhr, um meine Freundin zu treffen. Sie wartete vor dem örtlichen "Deli".

Ich würde sie wieder in der Anlage verschwinden lassen, gerade so wie ich unser Habgut wochenlang aus der Anlage verschwinden ließ. Fast täglich fuhr ich an den allgegenwärtigen Sicherheitskameras mit Stühlen und Lampen, Schachteln und Koffern vorbei. Die Wachen hatten ohne Frage akzeptiert, dass ich nur Möbel umstellte und alte Kleidung im Belvedere lagerte, einem anderen Haus der Moons unten an der Straße. Frau Moon machte dies die ganze Zeit so.

In Wahrheit war mein Ziel der Lagerraum in der Stadt, den ich gemietet hatte, um die Einrichtungen für ein neues Leben aufzubewahren. Heute war es auch für uns Zeit, zu gehen. Mein Bruder und Madelene warteten.

Die Straßen von Irvington und Tarrytown waren ruhig. Es war Hochsommer, und die Touristen auf der Suche nach den Geistern von Washington Irving's Sleepy Hollow genossen die ländliche Gegend gemeinsam mit den Ortsansässigen. Aber es war zu früh am Morgen, dass jemand von ihnen sich rührte. Ich traf Madelene an der bezeichneten Straßenecke und schmuggelte sie unter einem Leintuch zurück in die Anlage, so dass sie mir mit den Kindern helfen konnte. Wir würden zu der selben Ecke zurückkehren, um ihren Wagen mitzunehmen, uns mit meinem Bruder treffen und gemeinsam in einem Caravan nach Massachusets fahren.

Als wir den letzten Koffer in den Wagen geladen hatten, geleiteten Madelene und ich fünf bloßfüßige Kinder auf Zehenspitzen am Schlafzimmer vorbei, die Hauptstiege hinunter und beim vorderen Tor hinaus. Der Vater rührte sich nicht.

Madelene versteckte jedes Kind in einem verfügbaren Spalt in dem überladenen Wagen und glitt darauf auf den Beifahrersitz, sorgfältig die Kinder und sich selbst mit Leintüchern verbergend. Ich ließ den Wagen langsam den langen gewundenen Fahrweg hinunterrollen, der von alten Ulmen gesäumt war, fuhr beim Haupttor hinaus und lächelte dem Leibwächter zu, der erst vor einigen Tagen dort seinen Dienst angetreten hatte. Ich bog von East Garden zur Sunnyside Lane hinaus. Ich blickte nicht zurück.

Titel der Originalausgabe:

In the Shadow of the Moons
My life in the Reverend Sun Myung Moon's Family
Von Nansook Hong
Little, Brown & Company, 1998
ISBN 0-316-34816-3

Übersetzung: Friedrich Griess

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