Heute können Menschen gezwungen oder manipuliert werden, das,
was sie gemäß dem Willen ihrer Manipulateure und Zwingherren tun
und unterlassen müssen, scheinbar freiwillig zu tun und zu unterlas-
sen. Denn nicht nur äußeres Verhalten und innere Gedanken und Ge-
fühle sind steuerungsfähig, sondern vor allem auch der in der intimsten
Persönlichkeitssphäre angesiedelte freie Wille, das Erlebnis der Frei-
willigkeit. Durch die totale Kontrolle einer totalen Institution kann
auch der normale Erwachsene - zurückgeworfen auf ein frühkindli-
ches Stadium äußerster Hilflosigkeit, nunmehr dem Kleinkind gleich,
zu dem er reduziert wurde - erzogen, umerzogen, dressiert, trainiert
und indoktriniert werden. Aus dieser meist nur allzu erfolgreichen
ªErziehungsperiode´ geht ein gänzlich veränderter -neuer- Mensch
hervor, jemand, der glaubt und glauben muß, daß er frei wählt und
will, was ihm tyrannisch eingegeben und eingeimpft wurde. Freiheit,
die sie meinen und bewilligen und auferlegen, wird dann zur einzigen,
die es gibt und geben darf.

Dies ist keine utopische, in die Zukunft projizierte Schreckvorstel-
lung; in tausendfacher, rnillionenfacher, vielleicht sogar milliardenfa-
cher Auflage werden durch Zwang, Erziehung und Umerziehung
Menschen modelliert, gestaltet, ªgemacht´, die nicht nur völlig im
Sinne ihrer Konstrukteure fühlen, handeln und frei wählen, sondern
das, was ihnen aufgezwungen wurde, tatsächlich für den Ausdruck ih-
res eigenen wahren und freien Willens halten.

Im subjektiv gültigen und ehrlichen Erlebnis der Opfer können die
brutalen Folterknechte als hilfreiche Betreuer erscheinen; die Zwangs-
konversion wird zur Bekehrung umerlebt. Die Farce der Freiwilligkeit
verbirgt und verfälscht die Tragödie dehumanisierter Unterwerfung.
Äußerster Zwang, der seine Anwendung als Hilfeleistung für das
wahre Wollen seiner Opfer darzustellen imstande ist, feiert seine höch-
sten und unmenschlichsten Triumphe, wenn Vergewaltigung seitens
der Unterdrücker vom Opfer selbst als dessen freie Entscheidung, au-
thentische Wesensfindung und befreiende Tat (un-)wahrgenommen
wird.

Im individuellen Fall verdichten sich zuweilen die wichtigsten Fra-
gestellungen und Antwortversuche einer Periode in eindringlich per-
sönlichem Detail zur dramatisch sensationellen Darstellung der Pro-
blematik des Großen und Ganzen. Im Prozeß, der dem konkreten ein-
zelnen gemacht wird, spiegeln sich symbolisch überhöht die gesell-
schaftlichen Prozesse und unausgetragenen Konflikte der Gemein-
schaft wider, und eine Epoche hält, meist recht zögernd und widerwil-
lig, Gerichtstag über sich selbst. Wie und warum im Falle der entführ-
ten, verführten, programmierten und entprogrammierten amerikani-
schen Millionärstochter Patty Hearst geurteilt, freigesprochen und
verurteilt wurde, erhellt schlaglichtartig das Dilemma der Freiheit in
unserer Zeit. Überdeutlich zeigen die komplizierten Wechselfälle der
Patty-Hearst-Prozesse, wie hilflos die Freiheitsauffassung der freien
Weit (nicht nur die des amerikanischen Strafverfahrens) dem ªneuen´
Problem der erzwungenen Persönlichkeitsveränderung gegenüber-
steht. Denn wird die Möglichkeit, Wirklichkeit und Wirksamkeit von
persönlichkeitsverändernden Methoden, deren Resultat vom Betrof-
fenen selbst als freiwillig empfunden wird, anerkannt, hätte dies unab-
sehbare rechtliche, moralische, politische und gesellschaftliche Folgen,
die eine revolutionäre Umwälzung bisheriger Auffassungen und Insti-
tutionen bedingen würde; wird jedoch die Wirksamkeit dieser Me-
thode abgestritten und trotz aller gegenteiligen Beweise an der grund-
sätzlichen Unbeeinflußbarkeit des autonomen freien Willens festge-
halten, führt das Leugnen der Wirkung von Unmenschlichkeit zu kras-
ser Ungerechtigkeit und Unmenschlichkeit.

Gibt es keine anderen Alternativen?

Friedrich Hacker

(Vorwort aus "Freiheit, die sie meinen"', Hoffmann und Campe, 1978).