Fylkesmann Ann-Kristin Olsen:

Man muß die Übergriffe angreifen - nicht die Glaubensgemeinschaften

Fylkesmann Ann-Kristin Olsen meinte, das Wichtigste, das die Teilnehmer von der Konferenz mitnehmen könnten, sei, daß man Machtmißbrauch und Übergriffe angreifen müsse - nicht die Glaubensgemeinschaften. Olsen, die Juristin ist, hat auch Erfahrung aus dem Europarat und von Interpol.

Dies war ein schwieriges Thema, ein Thema, bei dem wir alle uns trotz guter Absichten irren könnten. Wir sprechen von Elternverantwortung. Ich hoffe, daß wir nicht über Elternmacht sprechen.

Es gibt Kinder, die in Gottes Namen isoliert leben. Sie leben so, wie ihre Eltern meinen, daß es ihr Recht sei, alles Mögliche ihren Kindern gegenüber zu tun.

Es gibt auf diesem Gebiet einen großen Bedarf an Definitionen. Wenn wir Forschung betreiben oder Maßnahmen ergreifen wollen, die Kindern helfen können, dann kommen wir nicht umhin, daß wir in unserem Sprachgebrauch präziser werden und zu Definitionen gelangen müssen.

Magne Raundalen sprach über das Kind, das forscht, das Kind, das alles, was um es herum ist, in sich aufnimmt. Dies scheint mir eine entscheidende Aussage zu sein. Wir - die Eltern und die Umgebung - sind das, was das Kind in sich aufnimmt. Das auferlegt uns große Verantwortung.

Das Formale - ein wichtiger Ausgangspunkt

Handelt es sich um Kontrolle und Macht? Oder handelt es sich um Wachsen und Entscheidung?

Das sind einige grundlegende Fragen, die wir zu stellen wagen und auf die wir zu antworten wagen müssen.

Wir haben verschiedene Wirklichkeitsbilder. Einige dieser Wirklichkeitsbilder sind so abweichend, daß jenen Kinder, die aus ihrer Umgebung heraustreten und über ihr Wirklichkeitsbild erzählen, tatsächlich nicht geglaubt wird. Das müssen wir in uns aufnehmen. Wir müssen an die Wirklichkeitsbilder von Kindern aus isolierten Glaubensgemeinschaften glauben.

Selbstverständlich haben wir verschiedene Gottesbilder, aber das ist es nicht, worüber wir heute diskutieren. Wir richten unseren Blick auf die Kinder. Da gibt es eine zentrale Frage: Was ist Kindererziehung, was das Kennzeichen der Dimensionen Freiheit uns Beeinflussung? Welchen Rahmen geben wir der Kindererziehung entlang dieser Dimensionen? Was soll der Inhalt der Kindererziehung sein? Der Inhalt der Elternverantwortung und die Begrenzung der Elternverantwortung gehören zu dem, was wir von dieser Konferenz mitnehmen müssen.

Da ist das Formale - die Gesetze und die Rechte - ein wichtiger Ausgangspunkt. Die Kinder haben Rechte, und die Eltern haben Rechte, niedergelegt in nationalen Gesetzen und in der Kinderkonvention der Vereinten Nationen und in den Europäischen Menschenrechtskonventionen - um zwei wichtige internationale Instrumente zu nennen.

Wie können Gesetze und Konventionen uns helfen? Sie geben Richtlinien. Sie geben auch Begrenzungen, innerhalb derer man sich halten muß - ungeachtet welches Gottesbild man hat.

Welche Konsequenzen soll es haben, daß gewisse Milieus die Rechte verletzen, die in diesen Gesetzen und Konventionen niedergelegt sind?

Wir haben gehört, daß die Kinderkonvention Kinder vor physischen und psychischen Übergriffen schützt. Sie gibt den Kindern das Recht zu eigenen Meinungen und Äußerungen. Kinder haben auch das Recht auf Religionsfreiheit und Gedanken- und Gewissensfreiheit. Sie haben auch das Recht auf ein Privatleben. Und sie haben das Recht auf Ausbildung.

Die Übergriffe - nicht die Glaubensgemeinschaften

Heute haben wir Beispiele gehört, daß diese Rechte systematisch verletzt werden. Wenn Einseitigkeit und nicht Mannigfaltigkeit von Information vorherrscht, dann widerspricht dies der Kinderkonvention. Wenn physische und psychische Abstrafung erfolgen, dann ist auch das ungesetzlich.

Das Wichtigste, das wir von dieser Konferenz mit uns nehmen können, ist das Bewußtsein, daß wir das Problem des Machtmißbrauchs und der Übergriffe angreifen müssen, nicht die Glaubensgemeinschaften. Der Zusammenhang, in dem Machtmißbrauch vor sich geht, spielt mit hinein, aber wir müssen den Übergriffen selbst entgegnen, wenn wir den Kindern helfen wollen. Wenn wir das Problem beinhart angreifen, können wir moralische Panik vermeiden.

Wir müssen uns auch mehr um spezifische Dinge kümmern: Welche Forderungen soll die Gesellschaft an Freischulen stellen? Das ist ein vielschichtiges Problem - wir müssen uns sowohl um die großen moralischen Fragen als auch um Detailfragen kümmern.

Und: Wie können jene, die isolierte Glaubensgemeinschaften verlassen haben, neue Wege finden? Wer soll ihnen helfen? Wer soll entdecken, daß sie vorhanden sind? Viele sind so verzweifelt, daß sie in die offene Gesellschaft mit der folgenden Einstellung hinausgehen: Entweder schaffe ich es oder ich schaffe es nicht. In der letzteren Alternative liegen fürchterliche Schicksale, für die jemand die Verantwortung übernehmen muß, sie abzuwenden zu versuchen.

Die Medien können vorbeugen

Die Medien wurden nicht erwähnt. Ich möchte die Medien als wichtige Unterstützer hervorheben. Ich glaube in der Tat, daß die Medien vorbeugen können, indem sie Offenheit bezüglich des Problems schaffen, das wir heute erörtern. Die Medien schaffen die Grundlage für die meisten Auffassungen der Gesellschaft. Richten die Medien das Augenmerk auf ein Problem, dann ist viel gewonnen. Selbstverständlich ist das ein Gebiet, auf dem Sensationsmache eine Gefahr ist, aber sehen wir auf die Berichterstattung, die im Vorhinein über diese Konferenz erfolgte, so war diese seriös. Wir können eine Parallele zu sexuellen Übergriffen gegen Kinder ziehen, bei denen die Medien eine sehr positive Rolle gespielt haben. Selbstverständlich gab es auch dort Ausrutscher, aber wenn das Bewußtsein in der norwegischen Gesellschaft so stark ist, wenn so viele einsehen, daß sexuelle Übergriffe geschehen, dann können wir dies den Medien verdanken.

Eine wichtige Frage ist auch: Wir können wir die Kenntnisse sichern? Wie können Fachleute Kenntnisse erwerben, so daß sie besser enthüllen, auffangen und jenen helfen können, die es benötigen? Wir müssen uns systematisch Kenntnisse aneignen. Wir benötigen Forschung.

Ganz zum Schluß: Wir müssen dafür arbeiten, daß es in der Gesellschaft allgemein akzeptiert wird, daß Eltern zu sein Verantwortung und nicht Machtposititon bedeutet.


Anmerkung des Übersetzers: Norwegen ist politisch in 18 "Fylker" unterteilt, die in Österreich etwa den Bundesländern entsprechen. Der Fylkesmann ist also etwa einem österreichischen Landeshauptmann - oder in diesem Fall einer Landeshauptfrau - zu vergleichen.