Gedanken zur Kirchenkrise

 

Im frühen Christentum verstand es die Kirche meisterhaft, die Botschaft Jesu und der Apostel in das aktuelle und vorherrschende hellenistische Denken zu inkulturieren, wenn dabei auch manche auf Jesus zurückgehende Radikalismen verloren gingen und einige Kompromisse eingegangen wurden. Siehe dazu mehr in Geoffrey Robinson, Confronting Power and Sex in the Catholic Church – Reclaiming the Spirit of Jesus.  Diese Verbindung von Jesu Lehre mit dem Hellenismus hält ja Papst Benedikt für ganz wesentlich und warnt vor einer „Enthellenisierung“ des Christentums, siehe Regensburger Vorlesung.  Sie war damals wesentlich, aber ist sie es heute noch? Abgesehen von dem dahinter verborgenen Kulturkolonialismus ist es zweifelhaft, ob das hellenistische Denken den heutigen abendländischen Menschen, außer einigen Gelehrten, noch sehr viel bedeutet und ob nicht die Verfälschungen der Botschaft Jesu durch ihre Einpassung in die damals vorherrschende heidnische Philosophie dieser auch geschadet haben.

Im Gegensatz zur frühchristlichen Zeit scheinen entscheidende Kräfte in der Kirche vor der gegenwärtigen vorherrschenden Denkweise einen wahren Horror zu haben. Bezeichnender Weise ist es den Mitgliedern des Opus Dei verboten, Bücher moderner Philosophen und Theologen zu lesen. Als so genannte Tradition wird nicht auf die ursprüngliche Botschaft Jesu und der Apostel zurückgegriffen, sondern auf das, was Menschen im Laufe der Jahrhunderte daraus gemacht haben. Diese Satzungen von Menschen sind heute in den Augen der Kirchenführer wichtiger als die Botschaft Jesu und der Apostel. Ich zitiere dazu aus dem oben erwähnten Buch: "I find it strange that, if I were to tell a cardinal in the Vatican that I was struggling with doubts about the existence of God, I would receive sympathy and support. But if I were to tell the same cardinal that I had doubts about papal teaching on contraception and the ordination of women, I would receive a stern lecture on loyalty to the pope." ("Ich finde es seltsam, dass, wenn ich einem Kardinal im Vatikan erzählte, dass ich mit Zweifeln über die Existenz Gottes kämpfte, mir Sympathie und Unterstützung zuteil würden. Erzählte ich aber demselben Kardinal, dass ich Zweifel an der päpstlichen Lehre über Empfängnisverhütung und die Weihe von Frauen hätte, dann erhielte ich eine strenge Lektion über die Loyalität zum Papst.")

Am krassesten zeigt sich dieser Verrat an der ursprünglichen Botschaft Jesu und der Apostel bei der kirchlichen negativen Einstellung zur menschlichen Sexualität, die weder der Schöpfungswirklichkeit noch der Bibel gerecht wird, und im Zusammenhang damit in der Vorschreibung des Zölibats für den Priesterberuf. Bei Paulus (! Kor 12) ist von den vielen Gnadengaben die Rede. Die einzige Gnadengabe, die heute von der Kirche noch geachtet wird, ist die Bereitschaft zu einem ehelosen Leben, wenn nicht in vielen Fällen einfach die Unfähigkeit zur Ehe.

Während als drohendes „Zeichen der Zeit“ ein kirchlicher Missbrauchsskandal den anderen gerade dort jagt, wo man sich besonders fromm und papsttreu gibt, sitzen die Verantwortlichen untätig da und warten offenbar darauf, dass Gott seinen Schöpfungsplan nach ihren Vorstellungen ändert. Begründungen für diese Untätigkeit sind ausnahmslos leicht durchschaubare Schutzbehauptungen. Wenn wundert es da, dass die Zahl der Katholiken weltweit nicht mehr mit dem Bevölkerungswachstum Schritt halten kann, in vielen Ländern sogar abnimmt und besonders in Südamerika, wo die Priester ja bekanntlich äußerste Mangelware sind, Katholiken in Scharen zu den Sekten überlaufen.

Vermutlich ist es so, wie schon der Kirchenlehrer Johannes Chrysostomos schrieb: „Wenn Gott ein Übel beseitigen will, schickt er zuerst noch ärgere und schlimmere“.

 

Friedrich Griess

5. 9. 2009