Anmerkungen zu den Kirchenaustritten

 

Der Vertrauensverlust der katholischen Kirche wird unter anderem auch durch fadenscheinige Ausreden gefördert. Die Menschen ziehen dann den Schluss: "Wenn die Dinge, die sie uns erzählen und die wir überprüfen können, nicht der Wahrheit entsprechen, wer weiß dann, ob das wahr ist, was sie uns erzählen und was wir nicht überprüfen können."  Dazu gehören die vielen Versuche, die Zahl der Missbrauchsfälle innerhalb der Kirche herunterzuspielen, wo doch jeder halbwegs informierte Mensch weiß, dass das zahlenmäßige Verhältnis von Priestern zu Männern insgesamt fast 1:1000 beträgt und so der prozentuelle Anteil der Priester an Missbräuchen höher ist als bei Nichtpriestern, oder die ständige Versicherung, der Missbrauch habe mit dem Zölibat nichts zu tun. Deshalb empfinde ich den Titel der Broschüre "Die Wahrheit wird euch freimachen ", in der dies Letztere ja auch behauptet wird, als blanken Hohn. Es wird dort die Information benützt, die Wissenschaft habe erwiesen, dass normale Männer nicht des Zölibats wegen pädophil werden. Das stimmt zwar, aber mit Pädophilie ist in diesem Fall der Missbrauch von vorpubertären Kindern und Jugendlichen gemeint. Die Glaubenskongregation hat aber festgestellt,  das von den seit 2001 von ihr behandelten Missbrauchsfällen nur 10% Pädophilie, aber 60% Ephebophilie (Missbrauch von Burschen über 14) und 30% Parthenophilie (Missbrauch von Mädchen über 14) betreffen.  Die Fälle, die ich selbst erlebt habe, betrafen 16-jährige Jugendliche und ich bin sicher, sie wären nicht geschehen, wäre der betreffende Priester verheiratet gewesen. Auch die Versicherung, die Entschädigungen würden nicht zu Lasten der Kirchenbeitragszahler gehen, erscheint mir problematisch. Natürlich werden deswegen nicht die Kirchenbeiträge erhöht, aber ich fragte, wie viele Kinder man mit diesem Geld vor dem Hungertod hätte retten können. Die Antwort, man hätte diese Beträge, wären sie nicht für Entschädigungen benötigt worden, sicher nicht für hungernde Kinder verwendet, erschreckte mich. Schließlich stellte sich heraus, dass angekündigte "Strukturreformen" keineswegs etwa eine Rückkehr zu Gepflogenheiten der frühen christlichen Kirche und ein Abwerfen späteren unbiblischen Balastes betrafen, sondern die De-facto-Errichtung von Megapfarren.


Ich habe einiges davon im Sommer 2010 der Bischofskonferenz geschrieben - bis heute kam keine Antwort. Auf eine frühere Mail an die Bischofskonferenz betreffend die Einstellung der Kirche zur Sexualität erhielt ich  im Auftrag von Bischof Küng  von seinem Sekretär eine völlig unbefriedigende Antwort.

 

Kardinal Schönborn halte ich immerhin zugute, dass er gemeinsam mit "Wir sind Kirche" eine Bußandacht hielt und dass er Veronika Prüller-Jagenteufel zur Leiterin des Wiener Pastoralamts ernannte. Aber leider tritt er doch immer wieder ins Fettnäpfchen, wie seine Erklärung anlässlich einer Pressekonferenz zeigt: "Wenn der Zölibat die Ursache für den sexuellen Missbrauch wäre, dann dürfte es dort, wo es keinen Zölibat gibt, auch keinen Missbrauch geben". Niemand behauptet, der Zölibat sei der einzige Grund. Ein anderer Grund sind autoritäre Strukturen, die es in der Kirche aber auch anderswo gibt. Auch sein ständiger Verweis, Reformen könnten nur im Einvernehmen mit der Weltkirche geschehen, muss hinterfragt werden. Neulich erfolgte in unserem Nachbarland Schweiz eine Bischofswahl, mit der alle sehr zufrieden sind. Und den Umstand, dass es demnächst verheiratete katholische ex-anglikanische Priester und sogar ebensolche Bischöfe geben wird, während man dies in der lateinischen Kirche für ausgeschlossen hält, hat übrigens auch nicht die "Weltkirche" entschieden, sondern der Papst, möglicherweise mit der Zustimmung einiger Berater.

 

Auch die Behauptung, Rom blockiere jeden Dialog, trifft nicht immer zu. In den Lineamenta oder im Instrumentum laboris für die Bischofsynode 1999 stand, die Bischöfe sollten das Thema der Synode mit allen Gläubigen besprechen. Ich fragte Bischof Kapellari, der damals Österreich bei der Synode vertrat, ob dies nicht noch geschehen könne. Seine Antwort: "Nein, das wird nicht geschehen. Wir Bischöfe wissen selbst, was wir zu tun haben, und wir lassen uns von irgendwelchen Kirchenvolksbegehrern keine Vorschriften machen." Bei einer späteren Veranstaltung,  bei der sich Erzbischof Kothgasser über die Dialogunwilligkeit des Papstes (JPII) beklagte, erzählte ich ihm diese Geschichte. Er schaute mich groß an und sagte nur: "Ja, aber das würde sehr viel Zeit kosten."  Ich habe auch dialogunwillige Pfarrer erlebt.


Ich habe inzwischen das norwegische Buch "Ingen vei utenom" (Kein Weg darum herum) von jenem Mann gelesen, der vom früheren Bischof von Trondheim, Georg Müller, als Kind missbraucht worden war.  Nicht die Tat selbst, aber deren Folgen werden in diesem Buch eindrucksvoll geschildert. Als der Autor sich als erwachsener Mann schließlich an Vertreter der Kirche wandte, wurde die Sache von kirchlicher Seite vorbildlich behandelt und der Bischof musste zurücktreten. Bemerkenswert ist, dass sowohl der Bischof von Oslo, Bernd Eidsvig, in seinem Vorwort zu dem Buch als auch der Autor selbst betonen, dass die Vorbeugung gegen zukünftige Übergriffe den Vorrang vor der Entschädigung der Opfer haben müsse. Bei uns habe ich leider eher den umgekehrten Eindruck. Geld für Entschädigungen ist leichter aufzutreiben als die Kirchenleitung zu echten Reformen zu veranlassen. Der "Wink Gottes mit dem Zaunpfahl" wird geflissentlich ignoriert.

 

Friedrich Griess

13. Jänner2011